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Dein Reich komme. Jürgen Kroth
Читать онлайн.Название Dein Reich komme
Год выпуска 0
isbn 9783429063702
Автор произведения Jürgen Kroth
Жанр Документальная литература
Серия Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
Издательство Bookwire
Für den praktisch-theologischen Diskurs im Allgemeinen, für den pastoraltheologischen im Speziellen hat sich das Regelkreismodell von Rolf Zerfaß49 als besonders geeignet erwiesen, die Theologie auf die Wirlichkeit hin zu verpflichten. Es stellt sich folgendermaßen dar:
Bei jedem praktisch-theologischen Handeln ist die Situation der Beteiligten (beteiligte Subjekte, SeelsorgerInnen, LehrerInnen etc.) Ausgangspunkt der Planung (1). Diese Situation wird unter Zuordnung zu einer für diese Situation relevanten praktisch-theologischen Disziplin analysiert (4, 6) und in Interdependenz (2, 3, 5) elementar theologisch reflektiert. Mit Hilfe dieser Schnittmenge (7, 8) ist eine praktisch-theologische Theorie für eine ebensolche Problemstellung (9) zu erstellen, die ein Handlungsmodell (10) für die Praxis 1 innerhalb der gewählten Problemstellung anbietet. Aufgrund der Anwendung dieses Modells wird die Praxis 1 zu Praxis 2 (11) verändert, die dann wiederum als Ausgangspunkt einer weiteren Regelkreisverwendung zur Praxis 1 wird.
Ein stärker noch empirisch ansetzender Versuch wie der von Johannes A. van der Ven, der eine explizite Vermittlung von Theologie und Empirie vorsieht, treibt diesen Ansatz noch weiter, indem er fordert, die Theologie müsse insgesamt empirisch werden in Analogie zur Rezeption historischer und philosophischer Methoden in Exegese und systematischer Theologie. Unter dem Stichwort der Intradisziplinarität entfaltet er sein Programm, das er selbst folgendermaßen kennzeichnet:
„Das Modell der Intradisziplinarität beinhaltet, daß die Theologie selbst empirisch werden muß, das heißt, daß sie ihr traditionelles Instrumentarium, bestehend aus literarhistorischen und systematischen Methoden und Techniken, in die Richtung einer empirischen Methodologie erweitern muß. Man kann diese Erweiterung mit dem Begriff Intradisziplinarität umschreiben, da er sich im allgemein-wissenschaftstheoretischen Sinn auf die Übernahme von Konzepten, Methoden und Techniken der einen Wissenschaft durch eine andere und auf die integrierende Aufnahme dieser Elemente in diese andere Wissenschaft bezieht. Solche intradisziplinären Prozesse kommen in allen Wissenschaftsgebieten vor: in den Naturwissenschaften, den Sprach-, Geschichts- und Sozialwissenschaften, den philosophischen und theologischen Wissenschaften. Intradisziplinarität fördert die Innovation in diesen Wissenschaften. (…) Gerade die Geschichte der Theologie ist ein Beispiel par excellence von intradisziplinärer Übernahme, Aufnahme und Integration. Um einige willkürliche, aber markante Beispiele zu nennen: Die Moraltheologie von Thomas ist ohne die aristotelische Ethik undenkbar, die Tübinger Schule der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts ohne den philosophischen Idealismus unmöglich, die theologische Systematik Tillichs ohne die Tiefenpsychologie und die Existenzphilosophie unbegreifbar, die Fundamentaltheologie von Rahner ohne Hegel nicht nachvollziehbar und die politische Theologie von Metz ohne die Frankfurter Schule nicht verstehbar.“50
Urs Eigenmann entwickelt ein Konzept, das inhaltlich der hier vorgelegten Arbeit sehr vertraut ist, weil es ähnliche theoretische Bezugspunkte und von einer verwandten theologischen Option geprägt ist und das in der schematischen Darstellung folgendermaßen aussieht51 :
Eine weitere konzeptionell verwandte Arbeitsweise findet sich in dem Grundlagenwerk von Clodovis Boff zu Theologie und Praxis.52 Boff unterscheidet darin drei Vermittlungsebenen: die sozialanalytische, die hermeneutische und die praktische Vermittlung. In der sozialanalytischen Vermittlung stellt sich die zentrale Frage nach den Ursachen, Mechanismen und dem Verständnis des gesellschaftlichen Phänomens der Unterdrückung. Im zweiten Schritt einer hermeneutischen Vermittlung stellt sich die Frage nach Gehalten der jüdischchristlichen Tradition angesichts solcher Unterdrückungserfahrungen und vor allem auch nach deren Überwindungsstrategien. Insbesondere biblische Perspektiven sind bei der Beurteilung der sozialanalytisch ermittelten Situation wichtig, ebenso aber auch sozialethische Kategorien. Im dritten Vermittlungsschritt zeigt sich die besondere Relevanz der Praxis, denn sie ist Ausgangspunkt wie auch Zielpunkt dieses Verfahrens. Dabei ist Praxis in dem Ansatz von Clodovis Boff keine neutrale Beschreibung von Handlungsansätzen, sondern präformiert durch inhaltliche Perspektiven von Gerechtigkeit, Solidarität und Liebe.
Der jüngste Vorschlag einer Variation des Schemas ‚sehen – urteilen – handeln‘ stammt von Herbert Haslinger.53 Es geht ihm dabei dezidiert um einen Reflexionsprozess der Pastoraltheologie und nicht um einen pastoraltheologisch fundierten methodischen Vorschlag für pastorales Handeln in welcher Form auch immer. Das unterscheidet seinen Ansatz grundlegend von den bisherigen und auch von dem im Anschluss noch darzulegenden hier präferierten.
Grundlegend sei, dass jede Reflexion der Pastoraltheologie mit irgendeiner lebensweltlich geprägten Form von Praxis beginne. Eine Theologie „vom Nullpunkt an“54 sei daher als Fiktion zu verabschieden. Diese Praxis aus der Lebenswelt sei allerdings noch eine vorreflexive Erlebnisform, die von den Menschen „mehr oder weniger diffus, routiniert, zumindest unproblematisiert“55 erfahren würden.
Erst ein wie auch immer gearteter Reflexionsbedarf mache nun eine pastoraltheologische Reflexion nötig; im strengeren Sinne sei sogar die Aufgabe der Pastoraltheologie, diesen Reflexionsbedarf überhaupt erst aufzuspüren und aufzuzeigen. Dabei sei es auch eine wichtige Aufgabe, gerade jene Bereiche zu erkunden, die in den lebensweltlichen Praxisformen gerade nicht thematisiert werden, weil sie verdrängt, vergessen, ausgeblendet oder verschwiegen werden. „Aus der diffus erlebten, unproblematisierten Lebenswirklichkeit wird eine bewusst wahrgenommene und in Blick auf mögliche Problemlagen hinterfragte Lebenswirklichkeit.“56
Im Anschluss an die Wahrnehmung der Lebenswelt wählt Haslinger im nächsten Schritt ganz bewusst eine andere Formulierung als im klassischen Dreischritt, weil ihm der Anspruch des Urteilens zu sehr den „anmaßenden Habitus einer Urteilsinstanz“57 vertrete, den die Theologie zu verabschieden habe. Auch hat er damit einen deutlichen in die zukünftige Praxis weisenden Akzent vor Augen. „Die hier angesiedelten Reflexionsgänge sollen dem neu zu konzipierenden Handeln ein Fundament in der Form verleihen, dass man sich der dafür geltenden Prinzipien, Werte, Normen, Rahmenbedingungen und Ziele vergewissert.“58
Die daran anschließende Orientierung möchte wiederum in Differenz zum klassischen Vorschlag eine verhaltenere Vorgehensweise in den Mittelpunkt stellen, indem sie aufgrund der vorigen Schritte Perspektiven angeben möchte, die zur Orientierung dienen können, aber keinesfalls unmittelbar praktische Dimensionen haben sollen.
Im letzten Schritt werden dann neue Situationen anvisiert. Nicht allerdings von der Pastoraltheologie, sondern von den Subjekten, die mit Hilfe der pastoraltheologischen Reflexion selbst neue Lebenswirklichkeiten schaffen möchten. „Der Reflexionsprozess findet demnach seinen Zielpunkt in einer Praxis der Menschen, die wieder in einer Lebenswirklichkeit eingebettet ist und dort ‚auch wenn in der neuen Situation weiterhin theologische und humanwissenschaftliche Inhalte als Deutungskategorien im Hintergrund virulent sind, ohne ständigen Reflexionsbedarf routiniert, unproblematisiert und somit alltagsweltlich stabilisierend stattfinden kann.“59
Wenn in der vorliegenden Arbeit dennoch einem anderen Ansatz gefolgt wird, dann nicht aus einer etwaigen Geringschätzung der empirischen Methode, erst recht nicht aufgrund einer angenommenen Suprematie der Theorie über die Wirklichkeit, sondern aufgrund der Verbundenheit mit dem in Mater et magistra angeregten methodischen Dreischritt, der allerdings noch zu verfeinern war. Denn das Schema „Sehen – Urteilen – Handeln“ ist auf jeden einzelnen Schritt selbst noch einmal anzuwenden und zugleich um eine weitere Aktivität anzureichern: Es reicht nämlich offenkundig nicht aus, die richtigen Wahrnehmungen und Urteilsstrukturen zu besitzen. Richtige Erkenntnis führt eben nicht zwangsläufig zu adäquater Praxis. Es bedarf also eines weiteren Schrittes, der hier mit ‚wollen‘ bezeichnet wird.60 Menschen sind offenkundig nur dann mit ihrem Handeln identisch, wenn sie auch wirklich wollen, was sie tun sollen. Wie aber gelingt diese Integration? Am ehesten durch die