Скачать книгу

und den Reichstag. Die „Denkschrift“ hebt auf eine naturrechtlich legitimierte, moralische Verpflichtung katholischer Eltern zur religiösen Erziehung ihrer Kinder als „heilige Pflicht“ ab. Unveräußerliche Pflicht der Kirche (im Sinne einer ihr eigens übertragenen göttlichen Pflicht) sei es, zum einen die Eltern in dieser ihrer Pflicht anzuleiten und zum anderen auch selbst Kinder durch Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen „zu guten Christen“ heranzubilden. Dem Staat, so stellen die Bischöfe unmissverständlich fest, sei es nicht erlaubt, Eltern und Kirche in der Ausübung dieser Pflichten und Rechte zu behindern.

      Das Schreiben endet mit zwölf Forderungen, die an dieser Stelle zunächst zusammengefasst werden, um die gesamte Schrift nachfolgend auf ihre Substanz hin zu untersuchen.

      •Die Katholische Volksschule als gleichberechtigte Schule gegenüber der „Simultanschule“ ist für katholische Schüler auch dann einzurichten, wenn aufgrund regionaler Bevölkerungszusammensetzung Katholiken die Minderheit darstellen. In diesem Fall ist ein geordneter Schulbetrieb auch dann als solcher anzuerkennen, wenn dadurch einklassige Konfessionsschulen entstehen. Bestehende Konfessionsschulen sind in ihrem Bestand zu sichern.

      •Der Katholische Religionsunterricht ist an „Minderheitenschulen“ dann einzurichten, wenn mindestens zehn katholische Kinder diese Schule besuchen.

      •An Katholischen Konfessionsschulen verantworten gläubige, katholische Lehrer den Unterricht. Zu deren Ausbildung erhält die Kirche das Recht einer konfessionellen Lehrerausbildung unter „wohlwollender“ finanzieller Unterstützung der öffentlichen Hand, damit eine ausreichende Anzahl an konfessionell ausgebildeten Lehrern zur Verfügung steht. Die Entscheidung über die Eignung zur Erteilung des Religionsunterrichts und die Überwachung der „Erziehung im katholischen Geiste“ obliegen der Kirche bzw. zumindest im Sinne einer Mitwirkung. Eltern und Kirche verfügen über ein „Beschwerderecht“.

      •Die Schulbücher sind auf ihre „Konfessionsverträglichkeit“ hin zu überprüfen.

      •Es sind Zeiten und Räume einzurichten, die die Ausübung religiöser Praxis erlauben.

      Die „Denkschrift“ umschreibt aus der Sicht der Katholischen Kirche das Idealbild einer kirchlichen Schule, einer Schule, die durchzogen ist von kirchlicher Lehre und Praxis, die sich in starken religiösen Überzeugungen, Grundsätzen und Übungen ausdrückt. Es entsteht das Leitbild einer „Glaubensschule“, deren Ziel eine kindliche Charakterbildung durch die Vermittlung der kirchlichen „Gnadengaben“ ist. Der Religionsunterricht bildet in diesem Kontext die Mitte allen unterrichtlichen Geschehens; er durchzieht die gesamte unterrichtliche Gestaltung. Zugespitzt könnte man formulieren: Jeder Unterricht ist immer auch Religionsunterricht, denn Unterricht verfolgt das Ziel eines „Einübens in den Glauben“.

      Aus dieser Zielsetzung ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit einer kirchlich verantworteten und gestalteten Lehrerbildung.88 Der Lehrer ist gegenüber dem Kind Zeuge und Sämann des Glaubens, indem er über Gott, die Lehre der Kirche und die religiösen und sittlich-moralischen Pflichten spricht. „Dadurch kommt erquickende Wärme in das Erziehungswerk hinein, so daß sich die Seele des Kindes zu freudigem Aufhorchen und frohgemutem Folgen erschließt.“89

      In Kapitel 4 der Denkschrift begründen die Bischöfe die Notwendigkeit einer konfessionellen Ausrichtung der Schule mit den (aus ihrer Sicht zu bedauernden) starken Unterschieden in der religiösen Lehre und Praxis. Zeithistorisch bemerkenswert sind der Hinweis und die Aufforderung zu einer Erziehung zu religiöser Toleranz, die ein Einüben in die Achtung vor dem anderen und die Liebe zum Nächsten gebiete. Zu religiöser Toleranz ist derjenige am ehesten fähig, so die Bischöfe, der eingeübt ist in sein eigenes Bekenntnis, der erfahren hat, wovon zu sprechen ist, der in Achtung vor dem anderen einen eigenen Standpunkt vertreten kann. Allerdings: Vor dem Hintergrund des in der Denkschrift eingeforderten „Rechts der Eltern auf Beschwerde“ wirken diese Ausführungen im vorliegenden Dokument wenig stringent: „Lehrkräfte an katholischen Schulen, welche die Erteilung des Religionsunterrichtes aus grundsätzlicher Gegnerschaft gegen die katholische Religion ablehnen oder während des Unterrichtes oder in der Öffentlichkeit durch Äußerungen oder Handlungen eine unkatholische Gesinnung bekunden, sind auf Beschwerde der Kirche oder der Erziehungsberechtigten von konfessionellen Schulen zu entfernen.“90 Hier spiegelt sich deutlich die von Misstrauen durchzogene Haltung gegenüber Menschen anderer Überzeugungen wider.

      Was bleibt? Die Denkschrift von 1920 ist ein zeithistorisches Dokument, ein Spiegelbild des theologischen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses der Katholischen Kirche dieser Zeit. Sie versucht, aus den Verhältnisbestimmungen von Kind, Eltern, Lehrer, Staat, Kirche im Feld von Schule die Forderung nach einer konfessionellen Beschulung der katholischen Kinder abzuleiten. Die vorgetragenen theologischen und kirchenpolitischen Argumentationslinien haben sich mit den Texten des II. Vatikanischen Konzils überholt, wie noch zu zeigen sein wird. Die beschriebenen Seins- und Verhältnisbestimmungen zwischen Staat, Kirche und Gesellschaft tragen heute andere Bedeutung.91 Hinübertragen in die Problematik dieser Arbeit lassen sich jedoch Fragen, die die Denkschrift aufwirft und die für eine Katholische Grundschule des 21. Jahrhunderts neu Beantwortung finden müssen. Es sind dies die Fragen

      •nach der Bedeutung „religiöser Erziehung“ in Orthodoxie und Orthopraxie für unser Zusammenleben in Staat und Gesellschaft,

      •nach dem Verhältnis von Schule und Kind (so beginnt die Denkschrift) und einer subjektbetonten Erziehung,

      •nach der Bedeutung einer gemeinsam verantworteten, wertegebundenen Erziehung in Schule und Elternhaus als Voraussetzung für gesellschaftliches Zusammenleben und

      •nach einer „Einübung“ in eine religiöse Praxis im Sinne einer Performation von Religion, ohne die ein wirkliches Verständnis derselben kaum möglich ist.

       2.2.2Hirtenworte der deutschen Bischöfe zur Schulfrage

      In den Jahren 1919 und 1920 und auch in den Folgejahren setzten sich deutsche Bischöfe in ihren Fastenhirtenbriefen mit Fragen einer christlichen Erziehung der Kinder und Jugendlichen auseinander. Sie brachten darin ihre Sorge und Angst um eine schwindende Einflussnahme auf die schulische Erziehung zum Ausdruck und ermunterten die katholischen Eltern zum Widerstand gegen die als antikirchlich empfundenen staatlichen Bestrebungen. Diese Hirtenbriefe sind Zeugnisse einer Kirche, die sich als bedrohte „Kontrastgesellschaft“ perzipiert und die um ihren gesellschaftlichen Einfluss fürchtet. Sie spiegeln und prägen das Bild eines separierenden Katholizismus, der am Ideal einer „Katholischen Schule mit katholischen Lehrern für katholische Kinder“ festhält. Die Untersuchung und Rekonstruktion dieser historischen Zeugnisse wird eine (Kontrast-)Folie bilden, auf deren Grundlage das Konzept einer zu entwickelnden KGS des 21. Jahrhunderts entstehen kann. Konsequent ist also auf dieser Spur zu fragen: Was war kirchliche Hintergrundmusik, und was waren die historischen Absichten in der Auseinandersetzung um eine auf Konfessionalität ausgerichtete Grundschule?

      Exemplarisch sei an dieser Stelle der Hirtenbrief des Bischofs von Paderborn, Dr. Karl Joseph Schulte, aus dem Jahr 1919 aufgegriffen. Dieses Rundschreiben, das zu Beginn der Fastenzeit in allen Kirchen des Bistums verlesen wurde, stellt in Inhalt und Duktus ein prägnantes, vorkonziliares Schriftstück dar. Es ist Ausdruck starker Besorgnis und massiver Ängste um eine schwindende kirchliche Einflussnahme und Autorität: „Wenn nicht bald Unglaube, Leidenschaft und Leichtsinn von ihrem Zerstörungswerk ablassen, muss man dann nicht fürchten, daß die letzten Dinge noch viel ärger werden als die ersten?“92 Sieht man einmal von der doch recht emotionalen Konnotation dieser Einlassung ab, wie sie sicher auch dem Predigtstil der Zeit geschuldet ist, stellt sich hier dennoch die Frage, ob – jenseits der Sorge um mögliche Kontrollverluste über die Erziehung der Kinder – in diesem Schreiben Hinweise aufzuspüren sind, die eine substanzielle und materielle Antwort auf mögliche Propria einer Katholischen Grundschule gegenüber einer Gemeinschafts- bzw. Simultanschule aus Sicht der Diözesankirche aufscheinen lassen. Lässt sich vielleicht aus den kirchlicherseits

Скачать книгу