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1918 waren die Schulen hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur und ihrer inhaltlichen Programmatik an eine durch Klassen und Stände bestimmte Sozialordnung gebunden. Die meisten Kinder besuchten die einklassige Volksschule. Daneben gab es private oder öffentliche, häufig in eine weiterführende Schule integrierte Vorschulen oder auch Privatunterricht.40

      Auf die Entwicklung dieser Volksschule wirkten sich nach den Erfahrungen der Revolution von 1848 vornehmlich die stark regulativen Maßnahmen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV,41 prägend aus. Dabei kam namentlich der religiösen Erziehung eine besondere Bedeutung zu. Einen eindrucksstarken Einblick gewährt diesbezüglich Friedrich Paulsen in seiner „Kritik an einer Landschule um 1850“: „Hatte sich einer in ein, zwei Jahren, es konnten auch drei oder vier und mehr werden, durch die Tabellen[42] durchgearbeitet, dann kam er in den Katechismus, zuerst den kleinen, hierauf den großen, um endlich die Frucht der Lesekunst zu genießen, das Auswendiglernen.“43 Und 1908 schreibt er: „Wie sie war? Sie war in ihrem Ursprung Bekenntnisschule. […] Was sie ist? Ein Mittelding zwischen der alten Bekenntnisschule und der neuen Volkserziehungsanstalt. […] Immerhin so, dass das kirchliche Bekenntnis noch als der anerkannte Maßstab aller Wahrheit gilt, dass das alte Ziel: bekenntnisfeste Glieder der Kirche zu erziehen, an keinem Punkt aufgegeben ist.“44

      Dieses Zitat verdeutlicht exemplarisch, dass die am Bekenntnis ausgerichtete „Volksschule“ längst schon vor „Weimar“ infrage gestellt wurde. Die Problematik einer an einem Bekenntnis orientierten Grundschule kann also durchaus als „pränatales“ Erbe betrachtet und interpretiert werden, als eine Art „Mitgift“, die sie in ihre eigentliche Gründungsphase bereits mit einbrachte.

      Nach der Novemberrevolution von 1918 trat am 06.02.1919 in Weimar die im Januar 1919 gewählte Weimarer Nationalversammlung (kurz: W.N.) zusammen. Sie war in erster Linie mit der Aufgabe betraut, eine Reichsverfassung zu kreieren und zu erlassen sowie den von den Siegermächten vorgelegten Versailler Vertrag zu verhandeln. Parteipolitisch bildeten in der W.N. die SPD, das Zentrum und die linksliberale DVP die Mehrheitskoalition, Parteien also, die schulpolitisch und religiös unterschiedlich verortet und motiviert waren. Die Weimarer Verfassung wurde schließlich am 31.07.1919 verabschiedet. Am 21.05.1920 löste sich die W.N. auf und wurde nach den Reichstagswahlen im Juni 1920 vom Reichstag abgelöst. Die „Weimarer Koalition“ verlor bei diesen Wahlen bereits die Mehrheit, konnte sich in Preußen allerdings bis 1932 halten.45 In dieser kurzen Zeitspanne zwischen der W.N. und den Reichstagswahlen zum deutschen Reichstag liegt die Gründungsphase der Grundschule als Bekenntnisschule, denn in eben jener Periode ihrer Geschichte wurden die einschneidenden Entscheidungen für ihre weitere Entwicklung getroffen. Dabei traten unterschiedliche Vorstellungen und Vorschläge zur Ausgestaltung der Schullandschaft zutage. In den Ländern und im Reich überschlugen und entluden sich teils heftige und kontrovers geführte Diskussionen. So heißt es in einem programmatischen Aufruf der preußischen Regierung vom 13.11.1918: „Ausbau aller Bildungsinstitute, insbesondere der Volksschule, Schaffung der Einheitsschule, Befreiung der Schule von jeglicher Bevormundung, Trennung von Staat und Kirche.“46 Im Gefolge dieser Programmatik sind dann die Verfügungen der preußischen Minister Haenisch und Hoffmann zu lesen, wonach:

      •die Schulaufsicht künftig nicht mehr bei den Kirchen liegt, sondern auf staatliche „Kreisschulinspektoren“ übertragen wird (Verordnung vom 27.11.1918),47

      •die Verpflichtung der Lehrer zur Erteilung von Religionsunterricht entfällt48 und

      •die Verpflichtung zum Schulgebet aufgehoben wird (Verordnung vom 29.11.1918).49

      Diese Verordnungen führten im Raum der Katholischen Kirche zu einem Sturm der Entrüstung und zu apologisierender Widerrede. Im gemeinsamen Hirtenschreiben vom 20.12.1918 wandten sich die preußischen Bischöfe postwendend an die Gläubigen. Sie beklagten eine drohende Trennung von Staat und Kirche, befürchteten finanzielle Einbußen, Enteignung, Macht- und Einflussverluste. „Aus den Schulen schwindet jegliche Religion. Lehrer und Lehrerinnen werden für ihr hohes Amt vorbereitet ohne Religions- und ohne Glaubensbekenntnis.“50 Dabei richteten die Bischöfe ihren Appell besonders auch an die Vertreter der Vereine und Organisationen und riefen zum offenen Widerstand auf. Betrachtet, befragt und analysiert man nun die inhaltliche Seite der Auseinandersetzung, so muss resümierend festgehalten werden, dass seitens des Episkopats zwar ein ideeller und substanzieller Mehrwert einer katholischen Erziehung und Bildung eingeklagt wurde, ohne ihn allerdings explizit zu benennen. Es wurde verteidigt, gerungen und gestritten, ohne tatsächlich substanziell zu benennen, worin nun genau das Proprium christkatholischer schulischer Bildung und Erziehung liegt. Schließlich führte der massive Widerstand breiter Kreise innerhalb der Katholischen Kirche dazu, dass die Verordnungen zur Ausübung der Schulaufsicht rund zwei Monate später wieder außer Kraft gesetzt und die Verordnung vom 29.11.1918 gänzlich zurückgenommen wurde.51

      Diese Auseinandersetzung veranschaulicht, dass und warum die Episkopate fortan den staatlichen schulpolitischen Bestrebungen mit hoher Skepsis und großem Misstrauen begegneten.52 Die Katholische Kirche fürchtete deutlich um ihren gesellschaftlichen Einfluss vor allem im Raum von Schule und Erziehung.

      Dieser schulpolitische Streit trug sich nicht nur auf der Ebene von Staat und Kirche zu; er war auch Teil parteipolitischer Auseinandersetzungen im Rahmen divergierender schulpolitischer Auffassungen und der damit verbundenen kontroversen Debatten innerhalb der Mehrheitskoalition der W.N. Die SPD trat für die Aufhebung der Vorschulen und die Einführung nichtkonfessioneller Gemeinschaftsschulen ein, die Vertreter der Zentrumspartei forderten die Konfessionsschule und lehnten eine Einheitsschule ab, und die DVP, die sich offen zeigte in Bezug auf die Konfessionsschule, trachtete danach, das bestehende Schulsystem beizubehalten.53

      Letztlich gelang mit der Verabschiedung der Weimarer Verfassung von 1919 ein schulpolitischer Kompromiss:

      •Das „Elternrecht und die Elternpflicht zur Erziehung“ fanden im Artikel 120 der Weimarer Reichsverfassung ihre Grundlegung.54

      •Die Schulaufsicht wurde unter staatliche Aufsicht gestellt, allerdings mit der Option, die politischen Gemeinden daran zu beteiligen.

      Besondere Beachtung soll nun dem Artikel 146 der Weimarer Verfassung geschenkt werden:

      „(1) Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten. Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf. Für diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe, für die Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend.

      (2) Innerhalb der Gemeinden sind indes auf Antrag von Erziehungsberechtigten, Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten, soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb […] nicht beeinträchtigt wird. Der Wille der Erziehungsberechtigten ist möglichst zu berücksichtigen. Das Nähere bestimmt die Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen eines Reichsgesetzes.“55

      Mit Blick auf die Fragestellung sind drei Aspekte entscheidend, die bis heute Rechtsbzw. Diskussionsgrundlage einer auf das Bekenntnis ausgerichteten Grundschule sind, wie noch in Kapitel 3 zu sehen sein wird:

      a)Die „Grundschule“ wird eine für alle Kinder gemeinsame Grundstufe des Schulwesens.

      b)Das „Religionsbekenntnis“ der Eltern ist für die Aufnahme eines Kindes in eine Schule nicht maßgebend.

      c)Bekenntnisschulen sollen auf Antrag der Eltern eingerichtet werden können, soweit dies einen geordneten Schulbetrieb möglich macht. Der Elternwille hat möglichst Berücksichtigung zu finden.

      Was bedeutete dies nun für das preußische Schulsystem, in dessen Rechtsnachfolge das Land NRW steht, mit Blick auf die Fragestellung dieser Arbeit? Landé, preußischer Ministerialrat, unterscheidet in seinem Kommentar zur Reichsverfassung aus dem Jahr 1929 drei territoriale Rechtsgebiete. Preußen gehörte mit wenigen regionalen Ausnahmen zum „Bekenntnisschulgebiet“. Eine Bekenntnisschule – so Landé – kann

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