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beinhalte. Der philosophische Begriff Wert bedeute eine persönliche Bindung an das jeweils Intendierte und sei gegenüber dem unklareren Konzept Sinn (meaning) zu bevorzugen: Werte bezeichneten, was letztlich im Leben zähle (vgl. Scheurich 2003, S. 357) f.). Solch ein philosophisches Wertekonzept und eine entsprechende Anamnese sei sorgsam neutral gegenüber religiösen wie säkularen Weltanschauungen, während Spiritualität unweigerlich einen Einschlag Richtung übernatürlichem Glauben habe. Religiöser Glaube sei weder zu überhöhen noch abzuwerten, sondern schlicht unter den zahllosen persönlichen Werten einer Person einzuordnen (vgl. ebd., S. 356) f.). Eine säkulare Medizinphilosophie bedeute Neutralität, aber nicht Ignoranz gegenüber persönlichen Werten und Weltanschauungen: „It has been argued, convincingly I think, that respecting the full humanity of patients calls for some inquiry into their ultimate concerns, religious or otherwise.“ (ebd., S. 358)116

      Ähnlich plädiert der emeritierte Philosophieprofessor Trevor Hussey (2009, 2011) für eine „naturalistische Sicht“ in der Krankenpflege. Naturalismus verbinde eine metaphysische und eine epistemologische Behauptung: Es existiere nur die natürliche Welt und nichts Über- oder Nicht-Natürliches. Von der natürlichen Welt könnten wir nur durch Wissenschaft und Alltagsverstand Kenntnis erlangen (vgl. Hussey 2009, S. 72). Die Vokabel Spiritualität sei vage und nicht hilfreich und deshalb zu vermeiden: Wenn sie als Abkürzung für alle Erfahrungen, Gedanken und Aktivitäten gebraucht würde, die wertbezogen große persönliche Bedeutung hätten, sei die Gefahr eines – unnötigen – übernatürlichen Anklangs unvermeidlich (vgl. ebd., S. 74), 79). Die Vielfalt religiöser und spiritueller Annahmen (bei Patienten wie Pflegenden) sowie die Intensität, mit der diese häufig vertreten würden, bildeten ein Rezept für Missverständnisse, wenn beide Seiten eine Situation durch das gefärbte Glas ihres eigenen Glaubenssystems betrachten würden (vgl. ebd., S. 78). Glaubensvorstellungen anderer ließen sich jedoch – wie Märchen – verstehen, ohne ihrem Realitätsgehalt zustimmen zu müssen, und man könne sie als Aspekt des Natürlichen einordnen (vgl. Hussey 2011, S. 47), 50). Man müsse aber zu unterscheiden vermögen, wann eine Ansicht ernsten Schaden anrichten könnte (vgl. ebd., S. 50).

      Auch der Pflegewissenschaftler John Paley (2008a, 2008b) votiert scharf für eine „atheistische“ bzw. „naturalistische“ Perspektive: Das Konzept Spiritualität sei nicht nur künstlich und unnötig, sondern auch verdunkelnd, es verdecke andere, evtl. effektivere Zugänge zur Unterstützung von belasteten Patienten, und verwirre Patienten wie klinisches Personal (vgl. Paley 2008a, S. 9). Die Literatur zu Spiritualität-in-der-Pflege habe oft einen nicht-naturalistischen Einschlag (bias), der weithin unhinterfragt bleibe – existentielle Fragen sollten aber in einem ausschließlich naturalistischen und wissenschaftlichen Rahmen erforscht werden (vgl. ebd., S. 14). Religiöser/spiritueller Glaube etwa stelle schlicht einen speziellen Fall von positiver Illusion dar, nachweisbare gesundheitsgünstige Wirkungen ließen sich naturalistisch erklären (vgl. ebd., S. 11).117 Paley meint, dass unter dem Begriff Spiritualität ganz verschiedene Dinge zusammengeworfen würden (vgl. Paley 2008b, S. 177), um äquivalent zur sogenannten Medikalisierung (wenn nicht-medizinische Probleme als medizinische behandelt werden) durch eine „Nursification“ den Pflegenden einen eigenen Einflussbereich zu sichern, indem aus unvermeidlichen Konsequenzen des Patientseins pflegerisch zu versorgende psycho-soziale Bedürfnisse und nun auch spirituelle Bedürfnisse (spiritual needs) gemacht würden (vgl. ebd., S. 180 f.).

      Die Kritiker benennen Grenzen und Schwachpunkte eines weiten Spiritualitätsbegriffes sowie ethische und weltanschauliche Bedenken für seine Verwendung im Gesundheitsbereich. Sie wurden ausführlich vorgestellt, weil diese Punkte nicht übergangen werden sollen – im Gegenteil, sie helfen, wichtige Aspekte nicht zu übersehen. Entscheidend ist freilich, welche Konsequenzen für den konkreten Umgang man jeweils zieht. Möglicherweise ist das weite Konzept von Spiritualität als Öffnung eines Horizonts in einigen Kontexten ja doch nützlich, und das damit Gemeinte und Intendierte wäre trotz aller Definitionsprobleme ernst zu nehmen.

      Die kanadische Pflegewissenschaftlerin Barbara Pesut (2010) antwortet auf die von Paley (2008a) und Hussey (2009) vorgetragene „naturalistische“ Kritik: Spiritualität habe eine Berechtigung für die Bereiche Sinn und Moral, in denen nicht alles durch (Natur-)Wissenschaft zu beantworten sei,118 man dürfe angesichts spiritueller Pluralität auch keine einzelne Ontologie, Denk- oder Glaubensweise (wie z. B. Naturalismus) vorschreiben (vgl. Pesut 2010, S. 21) f.). Man müsse für den Pflegebereich jenseits von weltanschaulicher Polemik fragen, wie die Grundwerte Respekt, Würde und Sensibilität sich konkretisieren ließen auch für spirituelle Themen: „common values of respect, dignity, and sensitivity need to be defined in relation to the complex contexts of practice where diverse claims about spirituality enter into the realm of care-giving encounters.“ (ebd., S. 22)

      John Swinton und Stephen Pattison stimmen der Kritik an den Begriffen zunächst zu: Spiritualität oder Spiritual care würden in endlos unterschiedlicher und unklarer Weise benützt, sie hätten keinen Bezug zu festen Wesenheiten oder Objekten in Menschen oder in der Welt – aber trotz dieser Unschärfe sei die Sprache von Spiritualität im Gesundheitsbereich sinnvoll (vgl. Swinton u. Pattison 2010, S. 227). Sprachen seien – im Sinne Wittgensteins – nicht nur referentiell, sondern auch performativ und expressiv: deshalb sei es sinnvoll, ein „dünnes“, vages, funktionales Verständnis von Spiritualität im Kontext der Gesundheitssorge zu entwickeln (vgl. ebd.). Bei Krisen wie ernster Krankheit entstünden oft Spiritualitäts-, Sinn- oder Identitätsfragen – wie anfänglich oder undeutlich artikuliert auch immer: Äußerungen dieser Art sollten in ihrer Funktion und Richtung gehört und ernst genommen werden (vgl. ebd., S. 229). Eine Suche nach der „ursprünglichen“ Bedeutung von Spiritualität sei deshalb für den Gesundheitsbereich gar nicht nötig (vgl. ebd., S. 230). Viele Schlüsselbegriffe im Gesundheitswesen wie Ganzheit, Pflege oder Person würden ähnlich aufkommen, seien konstruiert und wandelbar – selbst alltägliche Worte wie „leadership, person, values, religion, art, love, and friendship are equally vague, contested, multi-, or poly-valent, but nonetheless important and necessary.“ (ebd., S. 230 f.) Eine sinnvolle Funktion von Sprache sei es ferner, jenseits der konkret beschreibbaren Dinge auch Grenzbereiche des Greifbaren zu bezeichnen (limit language)119 – das geschehe durch Spiritualität. Sie funktioniere tendenziell sogar als eine Weise, Abwesendes/Nicht-Vorhandenes (absences) mehr noch als Anwesendes (presences) zu benennen. Dazu könnten auch im säkularen biomedizinischen Ansatz teilweise vernachlässigte Fragen nach Sinn, Hoffnung, Bestimmung, Verbundenheit, Liebe, Gott … gehören, Dimensionen, die in der Krankheitserfahrung oft virulent würden und früher häufig in religiöser Sprache ausgedrückt wurden (vgl. ebd., S. 231 f.). Die Autoren empfehlen deshalb eine „dünne“ und vage Beschreibung von Spiritualität (anstatt von „dicht“ und reich),120 die eher durch klinischen Nutzen als durch konzeptuelle Klarheit bestimmt sei: Durch eine unscharfe Beschreibung könne man mehr sehen als man mit ganz engen Kategorien wahrnehmen würde, und so auf das achten, was Patienten im klinischen Umfeld oft fehle. Ein „dünnes“ Konzept brauche oft eine sehr dichte Antwort, die komplexes und nuanciertes Verstehen und Antworten beinhalte und auch interdisziplinäre Perspektiven nötig mache. Der Begriff Spiritualität könne als metaphorischer Container für ein ganzes Feld fungieren, als ein sensibilisierendes Konzept für existentielle Themen wie Sinn, Bestimmung (purpose), Bezogenheit (relationality), Hoffnung, Werte, Liebe, Gott, Transzendenz (vgl. ebd., S. 232–234).121

      Swinton (2012) weist darauf hin, dass Spiritualität im beschriebenen Sinne darauf ziele, im Gesundheitsbereich idiographisches Wissen122 um die einzelne Person als bedeutsame Dimension der Versorgung und legitime klinische Kategorie anzuerkennen – was in einer evidenzbasierten Kultur, die normalerweise nomothetischem Wissen123 Priorität einräume, einen Wandel der Sicht auf die Welt bedeute und damit nie eine einfache Aufgabe sei.124

      In einem der Grundsatzreferate bei der Third International

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