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und darin weiter zu erforschen […]. Im Sinne der Gesundheitsforschung gehört dazu auch, wahrzunehmen, welche Bezeichnungen Patienten in welcher Form auf sich selbst anwenden, um Sprachfähigkeit für die ärztliche, therapeutische und pflegerische Praxis zu entwickeln (ebd.).

      Utsch hält Spiritualität für den grundlegenderen Begriff:

      Der Begriff Spiritualität dient also als eine anthropologische Kategorie, die existenzielle Lebenshaltungen insbesondere in Situationen der Bedrohung des Lebens beschreibt. Religionsübergreifend wird mit der Spiritualität des Menschen sein unbestimmbares Wesen als prozessorientiert und zeitlich offen untersucht, seine Beziehungsgestaltung zu sich selber, zum sozialen Umfeld, zur Transzendenz und sein Selbstverständnis als ein verwundbares und endliches Wesen. (ebd., S. 35)

      Klein dagegen betrachtet Religion/Religiosität als fundamentaler. Er versteht das Anliegen, Spiritualität von Religion/Religiosität zu unterscheiden als „darin begründet, dass die Bewusstheit für die geistige/geistliche/existenzielle Dimension des Lebens benannt werden soll, ohne dabei auf den Religionsbegriff zurückzugreifen, der […] als vorbelastet empfunden wird“ (ebd., S. 37), obwohl die Semantik des „Religiös-Seins“ wissenschaftlich durchaus dafür geeignet wäre (vgl. ebd., S. 38).

      Der ev. Theologe und Ethiker Ulrich H. J. Körtner plädiert „für einen sorgfältigen und kritischen Umgang mit dem Begriff der Spiritualität im Allgemeinen wie in der Medizin im Besonderen“ (Körtner 2014, S. 339). Alles Mögliche könne unter Spiritualität firmieren, auch Esoterik und Alternativmedizin (vgl. ebd., S. 340), so dass Spiritualität in moderner Spielart oft eine unbestimmte Heilserwartung und esoterische Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit und Überwindung aller Gegensätze bedeute (vgl. ebd., S. 342). Körtner hat deshalb – unter Verweis auf T. Roser (s. o. S. 51) – Verständnis für „Anschlussfähigkeit in pluralistischen Lebenswelten und Diskursen“, hält aber „das Bemühen um begriffliche Unterscheidungen sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus pragmatischen Gründen für notwendig.“ Nicht jede energetische oder monistische Deutung sei einfachhin gleichwertig (vgl. ebd., S. 347). „Nicht nur die religiöse Vorstellung von einem strafenden Gott oder ewigen Höllenqualen, sondern auch bestimmte Formen von Esoterik und Alternativmedizin können gesundheitsschädliche Folgen haben.“ (ebd., S. 352) Er hält einen materialistischen „Reduktionismus, der die Sinnfrage und die Dimension der Transzendenz“ ausblende, „für ebenso problematisch wie manche Konzeptionen von Ganzheitlichkeit, die alle Krankheiten auf psychische oder spirituelle Ursachen zurückführen wollen“, und zieht deshalb eine mehrdimensionale Konzeption vor: „Erkenntnistheoretisch wie praktisch muss um des Lebens willen die Eindimensionalität zugunsten der Mehrdimensionalität überwunden werden. Anstelle einer fragwürdigen Ganzheitsmedizin ist nach meinem Dafürhalten ein Konzept von integrativer Medizin zu stellen, das auf Mehrdimensionalität zielt.“ (ebd., S. 353) Um dabei den einen ganzen Menschen wahrzunehmen: „Gesundheit und Heil, Heilung und Erlösung, Sein und Sinn betreffen den in sich unteilbaren Menschen, der mehr ist als die Summe seiner anatomischen, psychischen und mentalen Teile.“ (ebd., S. 354) Spiritualität habe in Medizin und Pflege „ganz wesentlich mit der Ressource Vertrauen zu tun, ohne die therapeutische und pflegerische Prozesse nicht gelingen können“: Selbstvertrauen (auch des Personals), Vertrauen in andere und in die Heil- und Pflegekunst, für manche auch Vertrauen aus dem Glauben „an Gott als Tiefendimension unseres Daseins“: „Zur Spiritualität gehört es, diese Tiefendimension menschlichen Vertrauens und Hoffens freizulegen, nach Quellen des Vertrauens zu suchen. Zur Spiritualität gehört ebenso, sich den vielfältigen Ängsten, den eigenen wie den fremden, zu stellen“ (ebd., S. 355). Suche nach Ressourcen wie kritische Unterscheidungen dürften also gleichermaßen wichtig sein.

      Erhard Weiher findet ansprechende Formulierungen, die – aus reicher praktischer Erfahrung als Klinikseelsorger heraus – anschaulich machen, was ganz individuell Spiritualität insbesondere in Krankheit bedeuten kann. Zunächst gibt er eine formale, noch unspezifische Definition: „Spiritualität ist eine innerste Gestimmtheit, ein bewusster oder nicht bewusster innerer Geist, der das Alltagsleben transzendiert, aus dem heraus Menschen ihr Leben empfinden, sich inspiriert fühlen und ihr Leben gestalten.“ (Weiher 2014, S. 24) Manche Autoren sehen existentiell und spirituell im Gesundheitswesen als deckungsgleich, Weiher unterscheidet aber so: „›Existentiell‹ heißt: Die Ereignisse, die einen Menschen betreffen, berühren ihn nicht nur von außen, sondern auch in seinem Inneren. […] ›Existentiell‹ meint dann weit mehr als nur ein Gefühl. Es meint die Betroffenheit des Daseins als Mensch überhaupt, die Erfahrung, dass das Selbst ungesichert, in seinem Dasein begrenzt und vom Tod bedroht ist.“ (ebd., S. 28) Dagegen meint Spiritualität den deutenden Umgang damit:

      Die spirituelle Dimension meint im Unterschied zur existentiellen eher die persönliche innere Ausrichtung des Menschen, mit der er den Fragen begegnet, die sich von der Existenzerfahrung her ergeben. Während Ersteres dem Menschen widerfährt (ihn existenziell betrifft), ist Spiritualität der Bedeutung suchende Umgang damit: die innere Lebenseinstellung und das ganz persönliche Ringen um Sinngebung und Hoffnung, mit dem der Patient auf die existentielle Herausforderung ein hilfreiches Gegengewicht sucht. Existentielle Fragen und Herausforderungen verlangen letztlich nach einer Deutung. (ebd., S. 28) f.)

      Als zentrales Symbol für das Größere und Innerste des Lebens schlägt Weiher den Begriff Geheimnis vor, in dessen Beachtung sich vielleicht alle gesundheitsbezogenen Berufe finden könnten: „Spiritualität ist jede – positive wie negative – Erfahrung, bei der sich der Mensch mit dem Geheimnis des Lebens – als heiligem Geheimnis – in Verbindung weiß.“ (ebd., S. 29) Der Kontakt damit und die innersten Überzeugungen würden sich bei vielen Menschen in ethischen Kategorien ausdrücken:

      Spiritualität trägt nicht nur wesentlich zur ethischen Urteilsbildung bei, indem sie die innersten Beweggründe eines Menschen aktiviert und moduliert. In den Beweggründen und Sinnorientierungen eines Menschen drückt sich zugleich auch der »Geist« aus, in dessen Kraft die Betroffenen schwierige Entscheidungen und deren leidvolle Folgen tragen können. (ebd., S. 64)

      Das geschieht in Krisen oft auch bei Personen, die im Alltag nicht bewusst „spirituell“ leben: „Gerade bei schwerer Krankheit und in der Nähe des Todes tritt die Spiritualität der Betroffenen aus den Alltagshaltungen heraus. Sie ist dann mehr als nur spiritueller Hintergrund. Es werden die langfristigen Lebensziele und Grundüberzeugungen wach und es wird deutlich, was dem Menschen zutiefst wichtig ist.“ (ebd., S. 66) Spiritualität kommt nicht nur aus einem selbst, sondern letztlich aus der Begegnung mit dem Außen:

      Spiritualität ist mehr als ein Ergriffensein wie bei einem Konzert. Spiritualität in einem anspruchsvollen Sinn generiert und verdichtet sich beim Zusammentreffen von eigenen, individuellen Sinnentwürfen mit der »Sinn-Antwort«, die dem Menschen vom ganz Anderen, vom Geheimnis, vom Heiligen her entgegenkommt. Am Crashpunkt entsteht Spiritualität. (ebd., S. 152)

      Das gälte es kompetent wahrzunehmen und zu begleiten.

      Im Jahr 1992 wurde auf Beschluss des Deutschen Ärztetages das Fach „Psychiatrie“ in „Psychiatrie und Psychotherapie“ umbenannt und damit „der Tatsache Rechnung getragen, dass für die fachärztliche Behandlung des Gesamtspektrums psychischer Erkrankungen Psychotherapie, neben Pharmako- und Soziotherapie, einen unverzichtbaren Bestandteil darstellt.“ (Berger u. Schramm 2004, S. 140) Zunehmend wichtiger würden störungsspezifische Ansätze, was natürlich nicht bedeute, „dass die individuellen Problemfelder des Patienten außer acht gelassen werden.“ (ebd., S. 141) Durch psychische Erkrankungen wiesen Menschen im Vergleich zur prämorbiden Unterschiedlichkeit oft dem Störungsbild entsprechend „große Ähnlichkeit im Verhalten, emotionalen Erleben und in kognitiven Abläufen“ auf (vgl. ebd.). Und weiter:

      Mit Abklingen des akuten Krankheitsbildes lösen sich auch die symptombedingten Ähnlichkeiten der Patienten auf und machen wieder einer stärkeren Individualisierung Platz, die veränderte psychotherapeutische Strategien erfordert. Dann dominieren oft, wie bei leichteren Krankheitsbildern, die Wünsche des Patienten nach Selbsterkenntnis und Klärung zwischenmenschlicher Beziehungen den Therapieauftrag (ebd.).

      Die

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