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– in vielerlei Lebenssituationen – je neu zu suchen: „Lebenssinn ist nicht etwas einmal ‚Gefundenes‘, das wir dann besitzen, sondern Lebenssinn ist dynamisch. Lebenssinn muss in der Auseinandersetzung mit den jeweils gegebenen Lebensumständen immer wieder neu gefunden, besser gesagt, konstruiert werden.“ (ebd., S. 752 f.) Im englischen Sprachraum hat Roy F. Baumeister einflussreiche Beiträge zum Thema meaning of life veröffentlicht. Zusammen mit Kathleen D. Vohs bringt er auf den Punkt: „The essence of meaning is connection.“ (Baumeister u. Vohs 2005, S. 608)98 Verbindungen herstellen und wahrnehmen: das scheint für Sinn entscheidend, statt „sinnloser“ Fragmentierung. Viele Menschen haben ein Bedürfnis danach.99

      Der Philosoph Winfried Löffler meint im Blick auf die diesbezügliche Empirie: „Ebenfalls empirischer Natur, aber in vielen Fällen wohl zu bejahen ist die Frage nach dem positiven Beitrag eines Lebenssinnes zur Erfahrung eines erträglichen oder gar gelingenden Lebens.“ (Löffler 2011, S. 1995) Doch er unterstreicht zu Recht, dass die Sinnfrage durchaus nicht immer gestellt wird:

      Zahlreiche Menschen stellen sich die Sinnfrage nicht, oder sie leben de facto ohne oder mit einer Mehrzahl von höchsten, in sich sinnvollen Zielen ohne definierte Priorität, etwa: Gesundheit, Arbeitszufriedenheit, erfüllende Freizeitgestaltung, Wohlergehen der eigenen Kinder und Kindeskinder. Logisch gesehen ist gegen eine solche Lebensweise auch gar nichts einzuwenden: Solange man nie in die Situation gekommen ist, sich real oder gedanklich zwischen seinen verschiedenen – und zwar zwischen allen! – solchen höchsten Zielen entscheiden zu müssen, spricht nichts gegen die Annahme mehrerer höchster Ziele. (ebd.)100

      In Krisen oder unter Belastungen kann jedoch die Frage nach den vorrangigen Zielen und Werten schnell sehr virulent werden!101

      Im deutschsprachigen Raum hat sich für die empirische Sinnforschung besonders Tatjana Schnell (2008, 2009, 2010, 2011a, 2011b, 2016) einen Namen gemacht. Lebenssinn lässt sich meist nicht einfach nennen: „Individueller Lebenssinn ist somit eher dem Prozessals dem deklarativen Wissen zuzuordnen. Daher ist nicht zu erwarten, dass er bewusst und abrufbar vorliegt. Dennoch können Menschen im Allgemeinen eine Aussage darüber treffen, ob sie ihr Leben als sinnerfüllt oder sinnlos wahrnehmen.“ (Schnell 2009, S. 103) Lebenssinn konkretisiert sich in bzw. bildet sich aus verschiedenen Inhalten.102 Schnell operationalisierte in ihrem Modell Lebenssinn in verschiedenen Lebensbedeutungen. In einer repräsentativen deutschen Stichprobe103 fand sie einen beträchtlichen Anteil von

      existentiell Indifferenten, die ca. ein Drittel der Gesellschaft ausmachen. Sie erfahren ihr Leben nicht als sinnerfüllt, leiden aber – nach ihrer Selbstauskunft – auch nicht darunter. Allerdings gibt es in ihrem Leben wenig, was ihnen bedeutsam erscheint. […] Auch, wenn sie keinen Sinn in ihrem Leben sehen und sich nicht als Teil eines größeren Ganzen verstehen, können sie doch ein zufriedenes Leben führen – ohne ausgeprägte Leidenschaften und ohne Bedürfnis, sich selbst und ihre Möglichkeiten weiter auszuloten. (Schnell 2008, S. 16)

      „Eine Mehrheit von 61 % zählen zum Typ ‚hohe Sinnerfüllung, niedrige Sinnkrise‘, während 4% […] unter einer Sinnkrise leiden, aber keine Sinnerfüllung aufweisen.“ (ebd., S. 14) – Eine nützliche Unterscheidung hinsichtlich des Bezugs zu Transzendenz wird von Schnell (2011a) als horizontale bzw. vertikale Selbsttranszendenz formuliert.104 Ihre Ergebnisse zu „Religiosität und Spiritualität als Quellen der Sinnerfüllung“ fasst sie so zusammen: In Deutschland

      ist der Bezug zu einer vertikalen, überweltlichen Selbsttranszendenz längst nicht verschwunden. Für fast die Hälfte aller Befragten nimmt der nicht-institutionalisierte Glaube an eine andere Wirklichkeit (Spiritualität) einen zentralen Platz in ihrem Selbst- und Weltverständnis ein; für über ein Drittel besitzt Explizite Religiosität eine hohe Zentralität. Beide Orientierungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit den höchsten Ausprägungen an Sinnerfüllung einhergehen. Dies wird darauf zurückgeführt, dass bei beiden Lebensbedeutungen die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Bedeutungshaftigkeit und Orientiertheit in besonderem Maße unterstützt werden. (Schnell 2011b, S. 269)105

      Religionssoziologische Daten zeigen also, dass für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung – bei weitem nicht für alle! – religiöse bzw. spirituelle Orientierungen und Lebensbedeutungen durchaus eine Rolle spielen.

      Die Verwendung des Begriffs Spiritualität im oben beschriebenen weiten Sinne – sei es im Bereich der religionspsychologischen oder -soziologischen Forschung, sei es im Gesundheitsbereich – trifft auf vielfältige Kritik von verschiedenen Seiten.

      Für etliche Autoren ist der Begriff zu schwammig und breit, er werde unklar verwendet. Der kath. Theologe Erwin Möde beobachtet einen wissenschaftlichen und (kultur-)politischen „Erosionsdruck auf den christlich-metaphysischen Bedeutungsgehalt“ von Spiritualität, diese werde „akzeptier- und assimilierbar jenseits des dezidiert Religiösen“: „Die Zielorientierung solch ‚letzter Sinnbezüge‘ bleibt gewollt offen und ungesagt, um dadurch als Leerstelle und Projektionsfläche möglichst viele Interessen und Gestimmtheiten bündeln zu können. ‚Spiritualität‘ als ‚wertebewusste Existenzweise‘ wäre schließlich als passende Formel für Zivilreligion und Gesellschaft ebenso konsensfähig wie banal.“ (Möde 2007, S. 19) Der ev. reform. Theologe Frank Mathwig benennt angesichts heterogener Konnotationen des Spiritualitätsbegriffs auf andere Autoren zurückgreifend diesen polemisch als „Megatrend oder Megaflop?“ (R. Polak), „Containerbegriff“ (A. Giebel), zu den „Plastikwörtern“ gehörend (U. Pörksen) (vgl. Mathwig 2014, S. 26).

      Die ev. Theologin Isolde Karle befürchtet einen empfindlichen Verlust:

      Den größten Verlust, der mit einem vagen und unbestimmten Religions- oder Spiritualitätsbegriff einhergeht, sehe ich darin, dass er zu einer Entkonkretisierung und inhaltlichen Entleerung religiöser Sprache beiträgt. […] Religion ist in ihrer historisch gewachsenen Gestalt immer auf konkrete Inhalte, Rituale und Sozialformen bezogen und kommunikativ verfasst. Wird Religion abstrakt und vage definiert, wird sie entkörperlicht und entsinnlicht, formalisiert und schematisiert. Übrig bleibt ein fleischloses Gerippe, dem das Wesentliche verloren ging. (Karle 2010, S. 552)106

      Dieses Anliegen ist durchaus berechtigt. Durch die Öffnung eines weiten Horizonts soll das konkrete Gute nicht im Allgemeinen aufgelöst werden.

      Die kath. Pastoraltheologin Doris Nauer beschreibt in ihrer Monographie zum Thema Spiritual Care in einem Unterkapitel „Das zugrundeliegende Spiritualitätsverständnis“ (Nauer 2015, S. 49–55). Als kritische Anfrage diskutiert sie dieses unter der Überschrift Verengter oder zu weiter Spiritualitätsbegriff? (ebd., S. 94–98): Der Begriff sei zu eng, wenn er „auf rein innerweltliche, sprich horizontale Inhalte begrenzt wird“ (ebd., S. 95), es verbiete „sich nahezu, im Spiritualitätsverständnis die vertikale Linie der Erfahrung von Transzendenz / Gott / Göttlichem zu vernachlässigen oder gar auszublenden.“ (ebd., S. 96) Wirklich weit wäre ein Spiritualitätsbegriff „erst dann, wenn ausdrücklich die außerweltlich-vertikale Perspektive, sprich der persönliche Bezug zum Transzendenten, Göttlichen, Heiligen, Numinosen und Geheimnsivollen mit ins Spiel kommt.“ (ebd., S. 95)

      Nauer beruft sich öfters auf die Religionswissenschaftlerin Birgit Heller, die Spiritualität nicht von Religion trennen will: In der Begriffsdebatte meint sie, „dass die Trennung von Spiritualität und Religion in eine Sackgasse führen muss. Spiritualität verdunstet, wenn sie sich nicht von anthropologischer Existenzialität unterscheidet.“ (Heller u. Heller 2014, S. 49) Der weite Begriff von Spiritualität sei offen, aber schwammig:

      Die Begriffsoffenheit wird positiv auf die Personzentrierung im modernen Gesundheitswesen und die individuellen Ausprägungen selbstbestimmter Spiritualität bezogen. Das eigentliche Problem der terminologischen Unbestimmtheit besteht aber doch darin, dass Spiritualität teilweise so weit gefasst wird, dass darunter nur mehr eine vage Sinnsuche oder eine existenzielle Lebenseinstellung verstanden wird. (ebd., S. 50)

      Für

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