Скачать книгу

aufgenommen und Rudi vom Inspektor aufgefordert worden war, seine Aussage zu machen, begann der Junge, dem die Situation offensichtlich wenig behagte, mit seinem Bericht: »Also, ein paar Tage, bevor man das tote Dienstmädchen in der Kutsche gefunden hat, hat mich auf dem Roßmarkt so ein Mann angesprochen. Der war ganz vornehm angezogen und hat einen Zylinder aufgehabt …«

      »Moment, Moment. Wir brauchen das genaue Datum und die Uhrzeit. Wenn du uns das nicht zu sagen vermagst, kannst du dir das Ganze auch schenken«, unterbrach ihn Brand gereizt.

      »Des muss der Montag gewesen sein, der Montag vor dem Samstag, wo des passiert ist«, murmelte Rudi unsicher.

      »›Der Montag vor dem Samstag‹«, äffte Brand den Jungen nach. »Was soll denn das heißen? Damit können wir hier gar nichts anfangen. Nenne mir Ross und Reiter, oder geh wieder! Wir sind doch hier nicht in der Dummenschul!«, herrschte er Rudi an.

      »Das war am Montag, den 20. August 1836, gegen zwölf Uhr mittags. Bitte mäßigen Sie Ihren Ton, sonst werde ich mich bei Ihrem Vorgesetzten, Polizeisenator Hessenberg, mit dem ich gut bekannt bin, in aller Form über Sie beschweren!«, maßregelte ihn das Fräulein scharf wie einen ungezogenen Schuljungen.

      »Mit Verlaub, Fräulein Weiß, sind Sie die Zeugin, oder ist es der Junge?«

      »Der Junge ist der Zeuge, wie wir es am Anfang auch angegeben haben. Aber Sie lassen ihn ja gar nicht zu Wort kommen, sondern machen ihn mit Ihrer aufbrausenden Art ganz konfus.«

      »Also gut. Kleinhans, schreiben Sie bitte mit: Am Montag, den 20. August, um zwölf Uhr mittags, sprach den oben aufgeführten Zeugen, Rudolf Schickel, auf dem Platze des Roßmarktes ein Mann an. Punkt. Fahre er nun fort«, forderte Brand den Jungen auf.

      »Also, der Mann hat mich gefragt, ob ich mir vielleicht ein paar Kreuzer verdienen will. Da hab ich dann ja gesagt, denn ich kann das Geld gut gebrauchen.«

      »Das denk ich mir, mein lieber Schickel, das denk ich mir«, mokierte sich der Inspektor. »So, und jetzt bitte eine genaue Personenbeschreibung!«

      Rudi konzentrierte sich kurz, bevor er, sichtlich um Genauigkeit bemüht, antwortete: »Der Mann war groß und schlank und hat einen schwarzen Zylinder und einen schwarzen Gehrock angehabt, mit dunkelgrauen, langen Hosen. Er hat wie ein vornehmer Herr ausgesehen und auch so gesprochen. Nur dem seine Stimm hat sich so komisch angehört. Die war ganz hell, fast wie bei einer Frau. Er hat einen dunklen Backenbart gehabt und war ziemlich blass. Seine Augen hab ich nicht richtig sehen können, denn er hatte eine Brille mit so dunklen Gläsern auf. Seine Haarfarbe auch nicht, denn der hat ja auch einen Hut aufgehabt. Der Mann war vielleicht so alt wie mein großer Bruder, der ist im Juli 20 geworden. Sonst ist mir noch aufgefallen, dass er sehr unruhig war und sich die ganze Zeit umgeguckt hat, und wie er mir dann das Geld gegeben hat, hat er ganz schön gezittert. Also, er hat gesagt, dass ich da rübergehen soll, zur Blumen-Nelly, und der sagen soll, dass er ein Dienstmädchen haben will. Die darf aber nicht älter als 20 sein, soll dunkle Haare und braune Augen haben und darf nicht ›verlebt‹ oder ›billig‹ aussehen, sondern ›frisch‹ und ›adrett‹, so hat er sich, glaub ich, ausgedrückt. Die Nelly soll mir dann sagen, ob sie so jemanden kennt, und dann mit der Mamsell ein Treffen ausmachen. Er käm dann morgen um die gleiche Zeit wieder zum Roßmarkt, und ich sollte das dann mit der Nelly ausmachen. Also bin ich am nächsten Tag wieder hin und hab ihn auch getroffen. Dann bin ich gleich zur Nelly an den Blumenstand. Die hat mir dann gesagt, sie hätt mit einer Dienstmagd, die genauso wär, wie der Herr es will, gesprochen, und die hätt am kommenden Samstag ihren freien Nachmittag, der Herr müsst nur noch eine Uhrzeit vorschlagen und sagen, wo sie hinkommen soll. Und wenn alles klappt, müsst er ihr für ihre Vermittlung 20 Kreuzer bezahlen. Der Mamsell müsst er dann noch mal 50 Kreuzer geben. Der Mann hat einen Augenblick überlegt und dann als Treffpunkt den Weingarten vom Herrn Adam auf dem Klapperfeld vorgeschlagen. Er wär um vier Uhr dort. Die Jungfer sollt sich separat an einen Tisch setzen und als Erkennungszeichen ein Veilchenbukett am Hut tragen, er würd sie dann ansprechen. Dann hat er mir das Geld für die Nelly gegeben und noch mal fünf Kreuzer für mich und ist dann verschwunden.« Rudi schaute den Inspektor abwartend an. Als dieser keine Reaktion zeigte, fügte er hinzu, er habe sich halt so seine Gedanken gemacht, wo doch das ermordete Dienstmädchen genau an diesem Samstag tot in der Kutsche aufgefunden worden sei und weil das mit der Uhrzeit ja auch hinkommen könne.

      Der Inspektor fragte Rudi, ob dies alles sei, und erklärte in amtlichem Tonfall, ohne ein einziges höfliches Wort an den Zeugen und seine Begleiterin zu richten, die Befragung für beendet.

      Als sich Sidonie daraufhin erkundigte, was er denn nun weiterhin in dem Fall zu tun gedenke, wurde sie vom Inspektor dahingehend beschieden, dass er die Angelegenheit prüfen werde. Das allerdings, so äußerte er süffisant, möge sie nur seine Sorge sein lassen.

      5

      Um elf Uhr trank Johann Konrad Friedrich genüsslich seinen ersten ›Frankfurter‹5 und zündete eine Zigarre an, um sich in Ruhe der morgendlichen Zeitungslektüre widmen zu können, was für ihn einem heiligen Ritual gleichkam. Die Herren an den übrigen Tischen im separaten Raucherzimmer des großen Kaffeehauses in der Bleidenstraße taten es ihm gleich, und so war der Raum erfüllt von dichten Rauchschwaden, denn im Gegensatz zu öffentlichen Orten war es den Gästen hier erlaubt, dem Tabakgenuss zu frönen. Einige Kaffeehausbesucher spielten Schach, andere debattierten, lasen Journale oder schrieben. In der Hauptsache waren hier Angehörige der besseren Gesellschaft vertreten. Nicht wenige der Anwesenden brachten in dem altehrwürdigen Kaffeehaus, das ein wenig versteckt hinter der Katharinenkirche lag, den ganzen Tag zu. Für Künstler, Schriftsteller und Gelehrte war es ein Ort schöpferischer Muße, der ihnen Gelegenheit zu Rückzug und Austausch bot. Das Interieur der weitläufigen Räumlichkeiten war von großer Eleganz und Behaglichkeit und erfüllte so die gehobenen Ansprüche seiner Besucher. Der Kaffee, in vielerlei Varianten angeboten, sowie das Gebäck und die Speisen waren von feinster Qualität. Zudem war das Kaffeehaus eine wahre Nachrichtenbörse. Hier erfuhr man alle Neuigkeiten aus Frankfurt und der großen, weiten Welt. Menschen der verschiedensten Nationalitäten gaben sich hier ein Stelldichein, und man vernahm neben der muttersprachlichen auch englische, französische und italienische Konversation. Das spiegelte sich auch in den Zeitungen und Zeitschriften wider, die den Gästen zur Verfügung standen. Nicht nur die gängigen Frankfurter Tageszeitungen wie das Frankfurter Intelligenzblatt, das Frankfurter Journal, die Frankfurter Kaiserliche Reichs-Ober-Post-Amts-Zeitung, das Frankfurter Konversationsblatt, die Didaskalia und das Journal de Francfort lagen hier aus, sondern auch eine reiche Auswahl der internationalen Presse war vertreten.

      Für Johann Konrad Friedrich war das große Kaffeehaus in der Innenstadt seit nunmehr fünf Jahren zu einem zweiten Zuhause geworden. Der in die Jahre gekommene Lebemann, der bereits viel herumgekommen war in der Welt, arbeitete hier an seinen Memoiren.

      Als Sohn einer wohlhabenden Frankfurter Kaufmannsfamilie trat er im Alter von 14 Jahren in den französischen Militärdienst ein und führte in Frankreich, Italien, Spanien und auf der griechischen Insel Korfu ein abenteuerliches Leben. Im Anschluss daran wechselte er zum Preußischen Heer, wo er den Rang eines Leutnants innehatte. Neben seiner Muttersprache sprach er fließend Französisch, Italienisch, Griechisch und Englisch. Schon immer hegte er eine große Vorliebe für die Literatur, insbesondere für Theaterstücke, und liebte es, zeitgenössische ausländische Klassiker ins Deutsche zu übersetzen, womit er sich ein Zubrot verdiente. Außerdem spielte Johann ausgezeichnet Klavier. Zu seinen auserkorenen Lieblingsstücken gehörte Mozarts ›Don Giovanni‹, gab er den Don Juan doch selbst oft genug im wahren Leben. In jungen Jahren ein wahrer Herzensbrecher, haftete ihm der Ruf des charmanten Verführers noch heute an, was ihm auch den Spitznamen ›Don Johann‹ eingetragen hatte. Schwarzlockig, mit dunklen, glutvollen Augen und eher klein gewachsen, konnte man ihn leicht für einen Italiener oder Südländer halten. Nicht wirklich schön, verfügte er doch über das gewisse Etwas, und bei seinen Verehrerinnen galt er als hervorragender Liebhaber. Im Alter von 30 Jahren nahm er Abschied vom Militär und kehrte in seine Heimatstadt Frankfurt zurück, wo er die Damenwelt im Klavierspiel unterrichtete und zahlreiche Affären mit Damen der guten Gesellschaft unterhielt. Oft war er verliebt gewesen, jedoch immer unverheiratet geblieben, und inzwischen war

Скачать книгу