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Madame empfängt. Ursula Neeb
Читать онлайн.Название Madame empfängt
Год выпуска 0
isbn 9783839234723
Автор произведения Ursula Neeb
Издательство Автор
Gerlinde spürte auf einmal ein unangenehmes Brennen und Kribbeln am ganzen Körper, und es wurde ihr so kalt, dass sie zu schlottern anfing. Mit klappernden Zähnen wollte sie ihren Begleiter um Hilfe bitten, doch sie brachte keinen Ton hervor. Sie kriegte kaum noch Luft und hatte das Gefühl zu ersticken. In wilder Panik wollte sie die Kutschentür öffnen, doch sie konnte sich nicht mehr rühren.
Gerlindes Todeskampf dauerte zehn Minuten. Bei vollem Bewusstsein durchlebte sie die schlimmsten Todesqualen. Sah mit schreckgeweiteten Augen, die ihre Pein nur allzu deutlich widerspiegelten, wie ihr Begleiter sie die ganze Zeit mit regem Interesse beobachtete, dass er einen Schreibblock gezückt hatte, auf dem er sich eifrig Notizen machte.
Das Letzte, was sie vor ihrem Tod wahrnahm, war die grausame Kälte, die von ihm ausging, und viel zu spät erkannte sie, dass es kein Mensch war, der mit ihr in der Kutsche saß, sondern eine Bestie. Eine Bestie ohne jegliches Mitgefühl.
2
Das Dienstmädchen, Gerlinde Dietz, wurde von dem Droschkenkutscher Heinrich Schuch am Samstagabend gegen halb sechs tot in der Kutsche aufgefunden. Der aufgeregte Mann entschied sich, die Polizei zu verständigen, und fuhr mit der Ermordeten in der Kutsche vom Lorberg zurück nach Frankfurt. Der Beamte, der an diesem Sommerabend in der Amtsstube der Hauptwache Dienst tat, reagierte unwillig auf Schuchs Anliegen: »Für Mord und Totschlag bin ich net zuständig«, erklärte er dem Droschkenkutscher bärbeißig.
»Und wer ist dafür zuständig?«, erkundigte sich Schuch.
»Der Herr Oberinspektor Brand, der ist aber momentan net da.«
»Und wo ist der Herr Oberinspektor? Hätten Sie vielleicht die Güte, ihn herzuholen? Ich hab nämlich da draußen eine Leiche in der Kutsche, und keine Lust, die noch ewig spazieren zu fahren!«, entgegnete der Droschkenkutscher aufgebracht.
»Der ist beim Nachtmahlen drüben im ›Gesegneten Häuschen‹ am Römer. Ei, ich kann aber jetzt net fort, den holen gehen. Die Wache muss ja besetzt bleiben. Da müssen Sie halt warten, bis der wiederkommt. Des kann aber noch ein bisschen dauern, denn der ist grad erst vor einer Viertelstunde fortgegangen.«
»Also, das geht doch werklich net! Was seid ihr dann für Schlafmütze hier! Da werd ich mich beim Bürgermeister beschweren. Ich hab meine Zeit ja auch net gestohlen.«
»Ei, jetzt halte Sie aber mal die Füße still! Ich geh mal gucken, ob ich draußen einer von de Graumänner4 rummachen seh.«
Nachdem dieser Vorstoß tatsächlich von Erfolg gekrönt und ein Mann der freiwilligen Bürgerwehr unterwegs war, um den Inspektor zu benachrichtigen, dauerte es noch eine gute halbe Stunde, bis dieser endlich in der Hauptwache eintraf.
Oberinspektor Klaus Brand wirkte weniger wie eine Amtsperson, sondern eher wie ein in die Jahre gekommener Lebemann. Seine Kleidung war von nachlässiger Eleganz, und Schuch fiel auf, dass er nach Wein roch. Offenkundig verärgert darüber, bei seiner Vesper gestört worden zu sein, war sein Ton gegenüber Schuch gereizt. Er forderte ihn auf, zunächst einmal zu beschreiben, wie sich alles zugetragen hatte, und stopfte sich in aller Ruhe eine Tabakspfeife.
Der Droschkenkutscher berichtete, dass die junge Frau um kurz vor halb fünf bei ihm eine Kutsche angemietet und im Voraus bezahlt habe. Als Fahrtziel habe sie den Lorberg oberhalb des Dörfchens Bornheim angegeben. Kurz vor der Abfahrt sei dann noch ein Mann zugestiegen.
»Können Sie den beschreiben?«, erkundigte sich Brand.
»Dazu kann ich nicht viel sagen. Ich hab doch vorne auf dem Kutschbock gesessen und der kam von hinten. Ich hab von oben eigentlich nur gesehen, dass er einen hellen Zylinderhut aufhatte, und dann ist er auch schon in der Kutsche verschwunden.«
»Das ist ja mehr als dürftig«, erwiderte der Inspektor vorwurfsvoll.
Schuch zuckte mit den Achseln und brummelte, dass er es nicht ändern könne. Der Inspektor befahl ihm, weiter zu berichten.
»Dann war weiter nix mehr, und als wir auf dem Lorberg angekommen sind, hab ich von oben an die Kutsche geklopft und laut gerufen, dass wir da sind. Doch da hat sich nix gerührt. Da hab ich einen Augenblick gewartet und noch mal gerufen. Und als sich dann immer noch nix gerührt hat, bin ich vom Kutschbock gestiegen und hab nachgeguckt, und da hab ich die Frau drinnen liegen sehen. Das war kein schöner Anblick, das kann ich Ihnen sagen. Die hat so verkrümmt dagelegen und ihr Gesicht war furchtbar aufgedunsen! Ganz furchtbar! Und da hab ich mir gleich gedacht, dass da was net stimmen kann, und bin hierhergefahren.«
»Haben Sie den Mann noch gesehen?«
»Nein, der war längst über alle Berge. Ist bestimmt während der Fahrt ausgestiegen. Davon hab ich aber nichts mitgekriegt.«
»Gut, dann gehen wir jetzt zur Kutsche, damit ich mir die Tote ansehen kann. Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen, das von Belang sein könnte?«
»Ich weiß ja nicht, ob das wichtig ist, aber ich hab die Frau schon öfter gefahren. Die war immer in Herrenbegleitung, und manchmal ging es da drinnen in der Kutsche auch ein bisschen galant zu, wenn Sie wissen, was ich meine.« Schuch senkte verschämt den Blick.
»Nein, das weiß ich nicht!«, entgegnete der Inspektor barsch und ersuchte den Kutscher um eine genauere Aussage.
»Ei ja, wenn Sie’s genau wissen wollen, die war’n da drinnen halt am Pimpern.«
»Und war das immer der gleiche Mann, der mit der Frau in die Kutsche gestiegen ist, oder waren das verschiedene Männer?«
»Das waren, soweit ich mich erinnern kann, immer verschiedene Männer.«
»Also handelt es sich bei der da draußen um ein liederliches Frauenzimmer. Ich guck mir die jetzt mal an. Vielleicht ist die ja gar nicht tot, sondern hat einfach nur zu viel Branntwein gesoffen. Das wär ja nicht das erste Mal, bei solchen Weibern!« Brand erhob sich widerwillig von seinem Schreibtischstuhl.
Nach einer kurzen Begutachtung der Toten ließ der Inspektor das anatomische Institut des Senckenbergianums verständigen, um die Leiche abzuholen und zu sezieren. Die Handtasche, ein violetter Pompadourbeutel aus Satin, die neben der Leiche auf der Kutschenbank lag, hatte Brand an sich genommen. Darin befanden sich ein Fläschchen Rosenöl, ein Taschentuch, eine Geldbörse mit 25 Kreuzern, ein Hornkamm sowie ein Schlüsselbund. Sonstige Dinge, die Hinweise auf die Identität der Toten hätten liefern können, waren nicht vorhanden.
Am Montagmorgen erstattete der Städtische Leicheninspektor, Heinrich Hoffmann, Bericht, demzufolge die Tote an einer Atemlähmung gestorben war, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem toxischen Stoff verursacht worden war. Da sich allerdings keinerlei Rückstände im Blut und den Organen nachweisen ließen, mutmaßte der Leichenbeschauer, es müsse sich um ein Gift mit sehr kurzer Zerfallszeit handeln. Diesbezüglich mochte sich Doktor Hoffmann jedoch noch nicht genauer festlegen. Es gäbe mehrere Möglichkeiten, die er aber erst genauer prüfen müsse.
Nachdem eine natürliche Todesursache bei der gesunden jungen Frau laut Doktor Hoffmann eindeutig auszuschließen war, stellte sich für den ermittelnden Polizeiinspektor die Frage, ob es sich hier um eine Selbst- oder Fremdtötung handelte.
Bereits am Tag darauf klärte sich für den Inspektor glücklicherweise auf, wer die Tote war. Ihre Herrschaft, das Ehepaar Saltzwedel, hatte, nachdem ihr Dienstmädchen bereits den zweiten Tag abgängig war, eine Vermisstenmeldung eingereicht. Die Identifizierung der Leiche durch den Herrn Apotheker Ottmar Saltzwedel erwies, dass es sich bei der jungen Frau tatsächlich um die Kammerjungfer Gerlinde