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da kann ich Ihnen, glaub ich, nicht viel weiterhelfen. Die Ermordete war mir wissentlich nicht bekannt. Wann soll denn das Treffen gewesen sein?«, fragte Herr Adam.

      »Das war am Samstag, den 25. August, gegen vier Uhr nachmittags. An diesem Tag, so erinnere ich mich noch, war sehr schönes Wetter. Das ermordete Dienstmädchen hatte braune Haare und dunkle Augen. War eine junge, zierliche Person und muss sehr hübsch gewesen sein. Der Mann wurde mir nach einer zuverlässigen Zeugenaussage als groß und schlank beschrieben. Er soll vornehm gekleidet gewesen sein, trug wahrscheinlich einen Gehrock mit Zylinder. Er hatte einen dunklen Backenbart und möglicherweise eine Brille mit dunklen Gläsern auf.«

      »Vor 14 Tagen also. Ja, an dem Samstag herrschte eine ganz schöne Hitze, und wir hatten hier großen Betrieb. Es wurde zum Tanz aufgespielt, und die Leute haben sich, im Gegensatz zu heute, regelrecht auf die Füße getreten. Da kann ich mich kaum an einzelne Gäste erinnern. Man ist den ganzen Tag nur am Rumrennen. So ein Paar, wie Sie es eben beschrieben haben, ist mir da nicht weiter aufgefallen. Der Mann muss ja von seiner Kleidung her ein besserer Herr gewesen sein. Von der Sorte kommen viele hierher im Sommer, wenn was los ist. Die wollen sich hier genauso amüsieren wie alle anderen und sind meistens auf ein schnelles Abenteuer aus. Tut mir leid, aber da kann ich Ihnen leider überhaupt nichts sagen.« Der Wirt schüttelte bedauernd den Kopf.

      »Aber ich«, meldete sich Thekla zu Wort.

      »Was mischst du dich denn da ein, du Suffeule! Du hängst zwar den lieben langen Tag hier rum, und wenn du nicht gerade einen abschleppst, der dir deine Sauferei finanziert, bist du doch die meiste Zeit viel zu besoffen, um was mitzukriegen!«, blaffte der Wirt die junge Frau an.

      »Hör bloß auf, mich so runterzuputzen, Georg. Wenn du so Leute wie uns nicht hättest, dann könntest du deine Kaschemme doch dichtmachen«, entrüstete sich Thekla, der die Tränen in die Augen stiegen.

      »Ja, und wenn ihr alle endlich eure Deckel bezahlen würdet, wäre ich ein gemachter Mann!«, raunzte Herr Adam zurück.

      »Bitte, Kind, sag doch, was du sagen wolltest«, wandte sich Sidonie an Thekla. «Wir sind dankbar für jeden Hinweis.« Die Betrunkene konnte nun nicht mehr länger an sich halten und fing bitterlich zu weinen an. Nachdem sie sich mit dem Ärmel über Augen und Nase gewischt hatte, fasste sie sich wieder und schien auch nüchterner geworden zu sein.

      »Für Leute wie mich ist es nicht selbstverständlich, wie ein Mensch behandelt zu werden. Sie machen das, und deswegen will ich Ihnen was verraten«, murmelte Thekla leise und rückte näher an das Fräulein heran. Als Sidonie ihren Branntweinatem roch, mochte sie sich unwillkürlich abwenden, stattdessen jedoch legte sie den Arm um Theklas hagere Schultern und forderte das Mädchen auf, zu reden.

      »Also, ich kenn da jemand. Die heißt Irmgard. Irmgard Stocklossa«, berichtete Thekla sichtlich um eine deutliche Aussprache bemüht. »Wir waren zusammen im Fürsorgeheim in der Bleichstraße, und wir gehen dem gleichen … Gewerbe nach, Sie wissen schon, was ich meine. Also, die Irmgard, die hat mir letztens erzählt, dass sie die gekannt hat. Die, wo da umgebracht worden ist. Und ich mein, die hätt auch gesagt, dass sie die vorher noch hier gesehen hat. Sie wollt halt net gleich uff die Hauptwach rennen und es Maul aufreißen. Am besten wird’s sein, Sie schwätzen mal mit der. Sie können der auch ruhig sagen, dass Sie das von mir wissen. Vielleicht haben Sie Glück und treffen sie in der Breiten Gass, beim ›Süße Weck‹6. Da geht die nämlich öfter hin.«

      »Was erzählst du dann für einen Blödsinn, Thekla«, unterbrach sie Herr Adam, der die ganze Zeit über die Ohren gespitzt hatte, gereizt. »Beim ›Weck‹, da verkehren doch hauptsächlich die warmen Brüder. Das weiß doch jeder! Du willst doch die Herrschaften nicht veräppeln, oder?«

      »Ach, Georg, du hast doch keine Ahnung!«, fuhr ihm Thekla übers Maul. »Weibsleut gehen da auch hin. Die halt vor Freiern mal ein bisschen Ruhe haben wollen, und das soll ja vorkommen! Bring mir lieber noch ein Schnaps, und halt dich gefälligst da raus!«

      Kurz darauf servierte Herr Adam seinen Gästen eine wohlschmeckende Erbsensuppe mit Speck. Dennoch war Johann der Einzige am Tisch, der seinen Teller leer aß. Das Fräulein, zu angespannt, um die Mahlzeit zu genießen, ließ mehr als die Hälfte übrig. Und Thekla, der, obgleich sie seit Tagen kaum etwas gegessen hatte, der Sinn eher nach Branntwein stand als nach fester Nahrung, rührte lustlos in ihrem Teller herum und rang sich schließlich dazu durch, ganze drei Löffel Suppe zu sich zu nehmen. Im Gespräch mit dem Mädchen erfuhr das Fräulein, dass Thekla gerade einmal 16 Jahre alt war und bereits seit drei Jahren anschaffen ging. Den größten Teil ihres Verdienstes setzte sie in Branntwein um. Sidonie hatte den Eindruck, dass Thekla trotz ihrer Jugend mit dem Leben bereits abgeschlossen hatte, was die Dichterin sehr traurig stimmte. Nachdem Johann die Rechnung beglichen hatte, bedankte sich Sidonie höflich bei Herrn Adam und bei Thekla für ihr Entgegenkommen. Bevor sie aufbrachen, streichelte sie dem jungen Mädchen über die Wange und flüsterte ihr zu: »Wenn dir mal der Sinn nach einem Glas Milch steht, Mädchen, dann komm vorbei. Ich wohne in der Töngesgasse Nummer 15. Es würde mich sehr freuen.«

      H

      Als Sidonie und Johann in die Kutsche stiegen und Johann dem Kutscher als Ziel die übel beleumundete Wirtschaft in der Breiten Gasse angegeben hatte, zog er ein missmutiges Gesicht. Sidonie, die das bemerkte, erkundigte sich bei ihrem alten Jugendfreund, was ihm nicht behagte.

      »Ach, Sido, du weißt genau, dass ich dir gerne jede Gefälligkeit erweise. Aber dass wir uns jetzt auch noch in den Schlupfwinkeln der Invertierten herumtreiben müssen, will mir gar nicht gefallen«, brummelte der Lebemann unwirsch.

      »Lieber Johann, jetzt bleib doch bitte auf dem Teppich. Meinst du, die Herren in diesem Etablissement warten nur darauf, dass der berühmt-berüchtigte ›Don Johann‹ seinen Fuß über die Schwelle setzt, um sogleich über ihn herzufallen und ihn ans andere Ufer zu zerren?«, konterte Sidonie spöttisch. »Mir ist durchaus bekannt, was man sich über Homosexuelle so erzählt. Es wird gerne behauptet, dass sie Schmuck und glitzerndes Geschmeide, Puder und Parfüm lieben, mit den Hüften wackeln wie eine Frau und ebenso eitel sind. Angeblich neigen sie zu Geschwätzigkeit, Klatschsucht, Wankelmut und Doppelzüngigkeit und sind von niederträchtiger Wesensart. Früher habe ich diese Vorstellungen mehr oder weniger geteilt. Wenn ich Invertierte auch nicht direkt als sündige Frevler verurteilen mochte, so war ich doch der Meinung, dass es sich bei ihnen um abartige, kranke Menschen handelt, womöglich auch erblich belastet, denen geholfen werden muss. Inzwischen bin ich aber skeptisch, ob das alles so zutrifft.«

      »Nun ja, meine Liebe, ich denke schon, dass da etwas Wahres dran ist«, entgegnete Johann ausweichend. »Erst kürzlich hatte ich die Gelegenheit, in einem seriösen, wissenschaftlichen Journal den Aufsatz eines namhaften Anthropologen zu lesen, der sich mit dieser ›Spezies‹ beschäftigte. In dem Artikel wurden die typischen körperlichen Merkmale von Invertierten beschrieben. Demnach erkennt man sie bereits an der eigentümlichen Beschaffenheit des Gesäßes. Sie neigen dazu, aufgeworfene, wulstige Lippen zu haben und helle Stimmen …«

      »Ja, und am liebsten tragen sie Frauenkleider und treffen sich zum Damenkränzchen. Da habe ich allerdings ganz andere Erfahrungen gemacht. Ein Schriftstellerkollege, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte, hat mich kürzlich zum Tee eingeladen. Er ist ein guter Freund des Dichters Lord Byron, der aus seiner Veranlagung bekanntlich keinen Hehl macht. Auch über meinen jungen Kollegen wird gemunkelt, dass er einen Hang zum eigenen Geschlecht hegt, was er mir gegenüber auch einmal ein wenig verstohlen andeutete. Jedenfalls traf ich in seinem Hause andere, ähnlich veranlagte Herren, und ich kann von ihnen wirklich nur das Allerbeste berichten. Sie alle waren in höchstem Maße kultiviert und gebildet und mir gegenüber von einer Zuvorkommenheit, wie ich sie selten erlebt habe. Keineswegs aber wirkten sie auf mich krank oder gar monströs, und ich frage mich, warum man einen solchen Abscheu vor ihnen hat. Ich denke, mein lieber Johann, deine Abneigung vor diesen Menschen liegt zu einem guten Teil auch in der Furcht begründet, von ihnen begehrt und umworben zu werden. Nur, dass in diesem Falle der Spieß einmal umgedreht ist und es dir ebenso ergehen könnte wie den armen Weibsbildern.«

      »Also, das muss ich mir nicht sagen lassen! Eine jede Frau, die mit mir eine Affäre eingegangen ist, tat dies aus freien

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