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ich diesen de Sade. Er beschreibt in seinen Werken ganz abscheuliche Dinge. Bei der Lektüre einer seiner Romane ist mir übel geworden. Immerhin saß er wegen seiner Abhandlungen 27 Jahre im Gefängnis und seine letzten Lebensjahre verbrachte er in der Irrenanstalt, wo er meines Erachtens auch hingehörte. Trotzdem, Heinrich, du hast mir sehr geholfen. Vielen Dank. Und jetzt will ich dich auch nicht mehr länger aufhalten.« Sidonie reichte Doktor Hoffmann die Hand, die dieser formvollendet küsste, worauf er die Besucherin zur Tür geleitete.

      »Halte mich auf dem Laufenden, meine Liebe. Und wenn ich dir in der Angelegenheit irgendwie weiterhelfen kann, so melde dich bitte jederzeit«, verabschiedete sie der Doktor zuvorkommend.

      H

      Am Dienstagvormittag um Viertel nach elf Uhr betätigte Sidonie Weiß den schweren eisernen Türklopfer am Portal der Villa Saltzwedel am Sachsenhäuser Mainufer. Es war ein milder, sonniger Herbstmorgen, und die Vögel in dem weitläufigen englischen Garten zwitscherten fröhlich. Dem jungen Dienstmädchen, das Sidonie kurze Zeit später die Tür öffnete, erklärte die Dichterin, nachdem sie sich vorgestellt hatte, dass sie die Eheleute Saltzwedel zu sprechen wünsche.

      »Treten Sie ein, Madame, und nehmen Sie einstweilen in der Halle Platz. Ich sage der gnädigen Frau Bescheid«, antwortete die Bedienstete und entfernte sich.

      Nach etwa fünf Minuten kehrte die Magd zurück und bat das Fräulein, ihr zu folgen. Sie geleitete Sidonie den langen Flur entlang bis zu einer hohen Flügeltür, trat nach kurzem Anklopfen ein und meldete ihrer Herrschaft die Besucherin.

      »Madame empfängt«, bedeutete sie Sidonie und hielt ihr die Tür auf. In dem großen, ganz in Pastellgelb gehaltenen Salon wirkte die zierliche Pauline Saltzwedel fast ein wenig verloren. Beim Eintreten des Fräuleins erhob sie sich von ihrem Stuhl am Fenster, legte ihren Stickrahmen zur Seite, trippelte Sidonie entgegen und reichte ihr zur Begrüßung die Hand.

      Was für ein winziges, kaltes Händchen, ging es Sidonie durch den Sinn, als sie Frau Saltzwedels zaghaften Händedruck erwiderte.

      »Frau Weiß, welche Freude, Sie kennenzulernen. Ich habe viele Ihrer Gedichte gelesen und darf Sie vielleicht später noch um eine Widmung bitten«, wisperte die Dame und errötete wie ein schüchterner Backfisch.

      »Gerne, Madame Saltzwedel. Es wird mir eine Ehre sein!«, erwiderte Sidonie freundlich.

      »Aber ehe ich Sie damit behellige, was führt Sie zu mir?«, fragte Pauline Saltzwedel und streifte Sidonie mit einem ängstlichen Blick aus ihren großen, himmelblauen Augen. Mit ihrem kleinen, runden Gesicht und der schmalen, spitzen Nase wirkte sie wie ein verschrecktes Vögelchen auf Sidonie. Vorsichtig eröffnete ihr das Fräulein, dass sie plane, einen Kriminalroman über den Giftmord an Gerlinde Dietz zu schreiben und momentan mit Recherchen im Umfeld der Ermordeten beschäftigt sei.

      »Ach, dazu kann ich Ihnen leider gar nichts sagen. Mein Mann hat mit dem Herrn Polizeiinspektor auch schon ausführlich über die Anna gesprochen und mich angewiesen, den Herrschaften von der Presse mitzuteilen, dass wir mit der Angelegenheit nicht mehr behelligt werden möchten«, erwiderte Frau Saltzwedel abwehrend und nestelte nervös an ihrem Handarbeitsbeutel.

      »Ich kann gut verstehen, dass es Sie verdrießlich stimmt, wenn man Sie wegen des tragischen Vorfalls immer wieder aufsucht, aber ich habe nur ein paar Fragen an Sie und möchte auch nicht lange stören. Und wie Sie wissen, bin ich nicht von einer Journaille. Was mich allerdings eben gewundert hat, ist, dass Sie von einer gewissen ›Anna‹ gesprochen haben. Hieß das Dienstmädchen denn nicht ›Gerlinde‹ mit Vornamen?«

      »Ach so. Ja, mein Mann pflegt unseren Bediensteten immer eigene, gut einprägsame Vornamen zu geben, damit man sich nicht immer wieder auf andere Namen einstellen muss. Unser neues Dienstmädchen heißt wieder ›Anna‹«, erklärte Pauline Saltzwedel und kicherte nervös.

      »Ihren Herrn Gatten würde ich gerne einmal kennenlernen. Vielleicht ist es ja möglich, dass er gelegentlich ein wenig Zeit für mich erübrigen kann.« Bei Sidonies leichthin geäußerten Worten zuckte die Hausfrau zusammen, als habe sie sich soeben verbrannt.

      »Er ist aber beruflich sehr eingespannt und hat nur wenig Zeit.«

      »Ihrem Gatten gehört doch die Schwanen-Apotheke im Steinweg, wenn ich mich nicht täusche?«

      »Ja, und dort ist er vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Und wenn er nicht wenigstens zum Mittagsessen nach Hause käme, würde ich ihn manchmal tagelang nicht sehen.«

      »Ach, dann wird er ja bald eintreffen! Wenn Sie gestatten, möchte ich nur ein paar Worte mit ihm wechseln und Sie beide dann nicht mehr länger belästigen«, insistierte das Fräulein unbeirrt und lächelte Frau Saltzwedel entwaffnend an.

      »Wie Sie wünschen. Er muss jede Minute kommen. Bitte entschuldigen Sie mich einstweilen. Ich muss in der Küche und im Esszimmer nach dem Rechten sehen. Auf das Personal kann man sich kaum verlassen. Sie wissen bestimmt, wie das ist. Darf ich Ihnen vielleicht etwas bringen lassen? Einen Tee, einen Kaffee?«

      »Nein, nein, nur keine Umstände.« Das Fräulein blickte Pauline Saltzwedel nach, die hektisch den Salon verließ und sie in ihrem bauschigen, goldgelben Seidenkleid mit den voluminösen, rüschenverzierten Puffärmeln an ein aufgeregtes Stubenküken erinnerte.

      Wenig später war aus einem der benachbarten Räume eine aufgebrachte männliche Stimme zu vernehmen, die in ärgerlichem Stakkato auf jemanden einredete. Man hörte eine Tür schlagen, und vom Flur her näherten sich energische Schritte. Gleich darauf wurde die Salontür aufgerissen und Ottmar Saltzwedel stürmte herein. Ohne ein Wort des Grußes polterte er los: »Meine liebe Dame, der Fall Gerlinde Dietz ist für uns ein für alle Mal abgeschlossen. Falls es Ihnen meine Gattin in ihrer Langmut nicht klar genug zu verstehen gegeben hat, so sage ich es Ihnen noch einmal ganz deutlich: Wir möchten damit nicht mehr behelligt werden, weder von Journalisten noch von sonstigen Vertretern der schreibenden Zunft. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis, liebes Fräulein Weiß. Glauben Sie mir, wir können Ihnen sowieso nicht mehr dazu sagen, als das, was unlängst in jeder Zeitung zu lesen war. Bitte entschuldigen Sie mich jetzt, ich darf Sie hinausbegleiten.« Sidonie spürte bei dem unhöflichen Gebaren des Apothekers eine Woge der Empörung in sich aufsteigen.

      »Mein lieber Herr Saltzwedel, ich verbitte mir ganz entschieden diesen Ton«, erwiderte sie eisig. »Im Übrigen habe ich durchaus Grund zu der Annahme, dass gerade Sie mehr dazu zu sagen haben, als das, was in den Zeitungen zu lesen war.«

      »Wie kommen Sie denn darauf?«, schnarrte Saltzwedel konsterniert.

      »Ganz einfach, weil Sie ein, sagen wir mal, verfängliches, kleines Geheimnis haben, das die Ermordete, Gerlinde Dietz, mit Ihnen geteilt hat.«

      Der bullige, kahlköpfige Mann wurde bei diesen Worten feuerrot im Gesicht. Die ohnehin schon nach vorne gewölbten, glasigen Augen schienen ihm förmlich aus den Höhlen zu quellen. Er schnaubte wie ein wütender Stier. Doch irgendetwas schien ihn plötzlich zurückzuhalten. Anstatt sich auf das nicht weniger aufgebrachte Fräulein zu stürzen, trabte er zum Kamin und begann, die Porzellanfiguren auf dem Sims zu verrücken. Während er mit den Fingern immer wieder über die Marmoroberfläche fuhr und diese dann genau begutachtete, als wolle er Staubspuren ausmachen, presste er keuchend hervor, ohne das Fräulein dabei anzublicken, dass sie ihn doch bitte heute Abend um sieben Uhr in der Apotheke im Steinweg Nummer 19 aufsuchen möge, denn hier könne man sich nicht ungestört unterhalten.

      »Aber bitte zu niemandem ein Wort. Und bitte entschuldigen Sie doch meinen Auftritt«, flüsterte Ottmar Saltzwedel dem Fräulein eindringlich zu, um sie gleich darauf höflich zur Tür zu geleiten.

      H

      Als Sidonie und Johann an jenem Abend vor der Schwanen-Apotheke vorfuhren, verließen die drei Apothekergehilfen gerade den Laden, und Ottmar Saltzwedel stand im Begriff, hinter ihnen die Tür abzusperren. Als er des Fräuleins und ihres Begleiters ansichtig wurde, hielt er inne und ließ sie ein.

      In Anbetracht der heiklen Umstände und Saltzwedels cholerischem Wesen hatte Sidonie es vorgezogen, Johann um Beistand zu bitten.

      »Johann

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