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Madame empfängt. Ursula Neeb
Читать онлайн.Название Madame empfängt
Год выпуска 0
isbn 9783839234723
Автор произведения Ursula Neeb
Издательство Автор
Doch so eine fällt ja nicht einfach vom Himmel!
Während Johann sich noch konzentrierter seiner Lektüre widmete, wurde ihm plötzlich von hinten auf die Schulter getippt. Er schreckte auf und wendete den Kopf ungehalten in Richtung des Störenfrieds, wollte gar schon seinen Unmut kundtun, als er Sidonie Weiß erblickte. Nicht nur ihre äußere Erscheinung wirkte derangiert, auch ihre Stimmung schien alles andere als aufgeräumt zu sein, und so hielt Johann, der Sidonie aus Kindertagen kannte, zunächst einmal die Luft an, besann sich auf seine guten Umgangsformen und lud die Freundin und den Knirps, der neben ihr stand, freundlich ein, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Bei dem ob der unüblichen Damenpräsenz durchaus konsterniert dreinschauenden Kaffeehauskellner bestellte er einen Kaffee Mélange für das Fräulein und eine heiße Trinkschokolade für den Jungen und wartete gespannt, den missbilligenden Mienen der anderen Kaffeehausgäste gegenüber gleichgültig, was Sidonie ihm zu berichten hatte. Denn es musste schon etwas Besonderes vorgefallen sein, wenn eine Dame, selbst eine, die es mit den Konventionen nicht so genau nahm wie das Fräulein, in die Männerdomäne des Kaffeehauses eindrang. Und wie es ihre Art war, kam Sidonie auch gleich zur Sache: »Hast du morgen Nachmittag Zeit? Ich muss unbedingt ein bestimmtes Lokal aufsuchen, und da brauche ich eine Begleitung.«
Johann, der seine liebgewordenen Gewohnheiten so zu schätzen gelernt hatte, dass ihm jegliche Störungen derselben verhasst waren, fühlte sich von des Fräuleins Stippvisite zwar einigermaßen überrumpelt, es lag ihm jedoch fern, Sidonie dafür zu schelten, wie er es bei jedem anderen getan hätte. Dazu war sie ihm viel zu lieb, und er konnte ihr eigentlich auch nicht gut etwas abschlagen. Dennoch gab er sich zunächst reserviert. Man springt ja schließlich nicht gleich, wenn der andere pfeift.
»Liebe Sido, hättest du vielleicht die Güte, mir erst einmal auseinanderzusetzen, worum es überhaupt geht?«, erkundigte er sich bedächtig.
»Ganz einfach: Der taugt keinen Schuss Pulver, dieser Kriminalinspektor Brand! Also habe ich mich entschieden, im Falle des ermordeten Dienstmädchens Gerlinde Dietz eigene Ermittlungen anzustellen«, entgegnete Sidonie aufgebracht. Anschließend berichtete sie Johann von Rudis Erlebnis auf dem Roßmarkt, dass sie den Jungen zu einer Zeugenaussage in der Hauptwache gedrängt und wie der Inspektor darauf reagiert hatte.
»Na ja, diese Gerlinde Dietz ist halt nur ein kleines Dienstmädchen gewesen, und dann hat die sich auch noch für Geld mit Herren eingelassen. Wegen so einer legt sich unsere liebe Polizei doch nicht ins Zeug. Ganz abgesehen davon, dass sie das ohnehin nicht gerne tut, denn die Frankfurter Polizeibehörde besteht nun einmal zu einem Großteil aus Schlafmützen, das, meine Liebe, ist hinlänglich bekannt. Mehr als den werten Herren vom Bundestag lieb ist. Man denke dabei nur an den Wachensturm vor drei Jahren, den unsere geschätzten Ordnungshüter ja vollends verschlafen haben. Schließlich hat unser lieber Herr von Metternich, dem die laxe Haltung der hiesigen Gendarmerie aufs Äußerste missfällt, nicht umsonst seine eigene Geheimpolizei eingesetzt, damit niemand in der Stadt es wagt, seine Zensur zu durchbrechen. Und unser Polizeisenator Hessenberg macht allenthalben keinen Hehl daraus, dass er ein Demokrat ist. Kein schlechter Mann übrigens, dieser Hessenberg. Sag mal, willst du dich nicht vielleicht bei ihm über Brand beschweren?«
»Das kann ich später immer noch tun. Einstweilen würde ich vorschlagen, wir zwei gehen morgen in den Adam’schen Weingarten und stellen dort weitere Erkundigungen an. Wenn sich die Dietz da wirklich mit ihrem Mörder getroffen hat, dann haben ihn auch noch andere gesehen. Vielleicht kennt ihn ja sogar jemand oder weiß Genaueres über ihn zu sagen. Außerdem ist morgen Samstag, und da haben viele Dienstmägde ihren freien Tag. Die kennen sich doch häufig untereinander. Ich denke, da können wir vielleicht auch in anderen Lokalen, wo die immer verkehren, etwas in Erfahrung bringen!«, entgegnete das Fräulein und trug Johann auf, für den braven Rudi noch einen Kakao zu bestellen. Als der Kellner das Getränk brachte, orderte sie, mit der Bemerkung, sie genieße es, endlich einmal ein Kaffeehaus von innen zu sehen, für sich noch eine weitere Mélange.
H
Es regnete in Strömen, als Sidonie und Johann an jenem Samstagnachmittag aus der Kutsche stiegen und sich dem Weinlokal des Herrn Adam auf dem Klapperfeld näherten.
»Bei dem Sauwetter ist da bestimmt nicht viel los. Wer geht denn schon bei so einem Wetter aus dem Haus, wenn er nicht muss«, bemerkte Johann verdrießlich, als sie unter dem Regenschirm durch den verwaisten Weingarten zur Gaststube eilten. Er sollte Recht behalten, denn in dem kleinen Lokal befand sich tatsächlich nur eine Handvoll Gäste. Johann und Sidonie blickten sich ein wenig zögerlich um, bevor sie sich an einem der Tische niederließen.
»Suchen die Herrschaften vielleicht jemanden?«, erkundigte sich der Wirt, als er an den Tisch trat, um die Bestellung aufzunehmen.
»Ei, die suchen bestimmt de heiliche Geist!«, tönte von der Theke eine heisere Frauenstimme, was von den übrigen Gästen mit lautem Gelächter quittiert wurde.
»Thekla, halt gefälligst dein Schandmaul, sonst fliegst du raus!«, raunzte der Wirt in Richtung der Ruferin und entschuldigte sich verlegen bei den Neuankömmlingen.
»Nicht der Rede wert. Das stört uns nicht weiter. Ich bin auch bei Weitem nicht so moralinsauer, wie ich ausschaue«, erwiderte Sidonie mit verschmitztem Lächeln. »Aber Spaß beiseite: Sie haben recht, Herr Wirt, wir suchen tatsächlich jemanden.«
»Kann ich Ihnen da behilflich sein?«
»Das können Sie, und möglicherweise auch Ihre Gäste. Sie erinnern sich vielleicht an das Dienstmädchen, das kürzlich tot in einer Kutsche aufgefunden worden ist. Wir haben Grund zu der Annahme, dass die junge Frau sich kurz vor ihrem Tod hier in diesem Lokal mit einem Herrn getroffen hat, der möglicherweise auch ihr Mörder war. Wenn von Ihnen jemand die Jungfer Dietz kannte oder vielleicht dazu etwas sagen kann, so lassen Sie es mich doch bitte wissen«, richtete sich Sidonie höflich an alle Anwesenden.
»Wieso kümmern Sie sich denn darum? Da ist doch eigentlich die Polizei für zuständig. Oder war’n sie mit der vielleicht verwandt?«, erkundigte sich die junge Frau, die zuvor mit schwerer Zunge die vorlaute Bemerkung gemacht hatte, während sie sich erhob und leicht schwankend auf Sidonie und Johann zuging. Mit beiden Händen stützte sie sich auf den Tisch und stierte Sidonie aus glasigen Augen an.
»Ich bin in dich verschossen, in deine Sommersprossen …«, summte sie feixend, worauf sie vom Wirt rüde aufgefordert wurde, die Gäste nicht zu belästigen. Sidonie bat ihn jedoch, er möge die junge Frau ruhig gewähren lassen, und gab unbeirrt zur Antwort: »Ich kümmere mich darum, weil ich den Eindruck habe, dass sich sonst niemand darum kümmert. Und weil alle denken, das war ein schlimmes Frauenzimmer, die Gerlinde Dietz, und da gehört’s ihr nicht anders. Ich denke hingegen, es wird höchste Zeit, dass ihr Mörder endlich gefasst wird.«
»Ich bin auch ein schlimmes Frauenzimmer«, lispelte Thekla bedrohlich schwankend.
»Vor allen Dingen ein betrunkenes. Komm, setz dich, Kind, und iss einen Happen mit uns«, forderte das Fräulein Thekla auf.
»Ich will nix essen. Aber einen Branntwein tät ich noch trinken.«
»So siehst du aus. Nix da, Herr Wirt, bringen Sie bitte für das junge Fräulein eine kräftige Brühe oder was Sie sonst an Essbarem dahaben.«
»Eine Erbsensuppe hätt ich da, Fräulein Weiß.«
»Prima, bringen Sie uns doch bitte drei Portionen. Und woher kennen Sie meinen Namen?«
»Ich habe mehrere Bücher von Ihnen gelesen. ›Das Gespenst vom Römerberg‹, ›Der Fürst vom Rabenstein‹ und ›Der Mord im Siechenhaus‹. Die haben mir so gut gefallen, dass ich sie immer wieder lese. Im Sommer komm ich ja nicht dazu, da habe ich zu viel zu tun. Aber im Herbst und im Winter, wenn es hier ruhiger wird, nehm ich mir die wieder vor«, antwortete Herr Adam lächelnd.
»Das ehrt mich. Es gibt für mich kein schöneres