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auch nicht, mein Guter! Aber warum soll das bei Homosexuellen denn anders sein? Auf, lass uns jetzt da reingehen. Du brauchst dich auch nicht zu fürchten, ich bin ja bei dir«, beschwichtigte Sidonie ihren Freund belustigt und drängte ihn aus der Kutsche, als sie vor dem ›Süßen Weck‹ angekommen waren.

      Es war halb sechs, und die Dämmerung hatte an diesem verregneten Abend früher eingesetzt. In der abgelegenen Gegend war kaum jemand unterwegs. Lediglich ein paar junge Männer hielten sich am Rande der Gärten auf. Als sie Sidonie und Johann wahrnahmen, huschten sie verschreckt hinter die Büsche.

      »Das sind bestimmt auch welche von denen«, bemerkte Johann abfällig und schloss den obersten Knopf seines Gehrocks. »Und daran, dass sie sich so davonstehlen, wenn jemand kommt, siehst du, dass sie alles andere als ein reines Gewissen haben.«

      »Was heißt denn hier ›reines Gewissen‹? Die Leute haben Angst! Hast du nicht letzte Woche in der Zeitung gelesen, dass man einen jungen Mann, der in den Wallanlagen immer auf Kundenfang gegangen ist, halb tot geprügelt hat?«

      »Ja, das hab ich«, entgegnete Johann kleinlaut. »Aber trotzdem halte ich es für eine Schnapsidee, hierherzukommen. Im wortwörtlichen Sinne. Da wollte sich dieses betrunkene Gör doch nur einen Schabernack mit uns machen. Ein Freudenmädchen unter lauter Päderasten! Die wird sich vor Kundschaft kaum retten können.«

      »Also, jetzt reicht es mir aber bald mit dir. Wenn du nur am Nörgeln bist, dann steig in deine Kutsche und fahr heim.«

      »Und lasse dich allein, hier draußen bei diesen Perversen. Nichts da, ich erfülle meine Pflicht als Kavalier und bleibe bei dir. Wie ich dich kenne, bist du doch sowieso durch nichts zu bewegen, dein Vorhaben aufzugeben.« Resigniert bot er Sidonie den Arm und schritt mit ihr die Stufen zur Eingangstür hinauf.

      »Richtig, mein Lieber! Und du solltest dich vielleicht fürs Erste von deinen Vorurteilen verabschieden und die Dinge einfach auf dich zukommen lassen. Schließlich bist du kein verknöcherter Philister. Wo also bleibt deine liberale, weltmännische Gesinnung?«

      »Diesbezüglich, meine Liebe, lasse ich dir momentan gerne den Vortritt. Bitte nach Ihnen, die Dame!«, flötete ›Don Johann‹ schlitzohrig und öffnete seiner gestrengen Begleiterin galant die Tür.

      Als Sidonie und Johann den Gastraum betraten, wurden sie von den anwesenden Gästen mit verhaltenem Argwohn beäugt. Im Gegensatz zum Weinlokal auf dem Klapperfeld herrschte hier reger Betrieb. An sämtlichen Tischen des engen, verräucherten Schankraumes saßen Leute. Einige Gäste drängten sich um die langgezogene Theke. Das Publikum bestand zum überwiegenden Teil aus Männern unterschiedlichen Alters. Aber auch ein paar Frauen waren anwesend.

      Beherzt näherte sich das Fräulein einem Tisch, an dem noch freie Stühle waren, und fragte höflich, ob sie und Johann Platz nehmen dürften. Die beiden Herren stimmten zu und rückten ein wenig zur Seite. Ihr Gespräch verstummte auf der Stelle, und sie senkten betreten den Blick.

      »Bitte entschuldigen Sie die Störung, meine Herren! Wir sind auf der Suche nach einer Dame namens Irmgard Stocklossa. Uns wurde gesagt, dass sie möglicherweise hier ist und vielleicht können Sie uns weiterhelfen?«, wendete sich Sidonie, um das beklommene Schweigen aufzulockern und eventuelle Missverständnisse zu zerstreuen, an ihre Tischnachbarn.

      »Ach, die Irmgard suchen Sie. Die ist gerade vorhin gekommen. Ich glaube, die steht da vorne an der Theke«, antwortete einer der Herren zuvorkommend und wirkte mit einem Mal merklich entspannter.

      »Herzlichen Dank und noch einen angenehmen Abend.« Sidonie erhob sich und eilte mit Johann im Schlepptau zielstrebig in Richtung Tresen. Die Betreiber der Wirtschaft, die Gebrüder Weck, beleibte, glatzköpfige Zwillinge von etwa 40 Jahren, musterten die Neuankömmlinge argwöhnisch und erkundigten sich nach ihren Wünschen.

      »Zwei Gläser Portwein und, wenn möglich, auch eine Zigarre«, bestellte Johann, der zunehmend wieder an Selbstbewusstsein gewann. »Außerdem suchen wir eine Dame namens Irmgard Stocklossa. Die soll hier am Tresen stehen, wurde uns gesagt.«

      »Irmgard, dein Typ wird verlangt, komm doch mal her!«, rief einer der Brüder zur linken Thekenecke hin. Gleich darauf näherte sich eine junge Dame und blickte den Wirt, der auf Sidonie und Johann deutete, fragend an.

      »Die Herrschaften hier haben nach dir gefragt«, erklärte er ihr knapp.

      »Sie sind Frau Irmgard Stocklossa?«, richtete Sidonie das Wort an die verwunderte Frau. »Bitte entschuldigen Sie die Störung, aber wir hätten ein paar Fragen an Sie. Eine Bekannte von Ihnen, ein Fräulein Thekla, die wir soeben im Weinlokal Adam auf dem Klapperfeld kennengelernt haben, war so freundlich, uns zu sagen, dass wir Sie möglicherweise hier antreffen würden. Mein Name ist Sidonie Weiß, und das ist Herr Johann Konrad Friedrich. Hätten Sie vielleicht einen Augenblick Zeit, dann erkläre ich Ihnen gerne, worum es geht.«

      »Viel Zeit habe ich nicht, in einer Stunde muss ich mich auf den Weg machen. Was wollen Sie denn von mir?«, fragte Irmgard beklommen.

      Sie war schlank und wohlproportioniert und insgesamt von großer Anmut. Das glänzende, rotblonde Haar war zu einem schlichten Knoten zusammengesteckt, und die feinen Gesichtszüge und der volle rote Mund waren von natürlicher Schönheit. Ihre Kleidung war dezent und geschmackvoll. Sidonie war erstaunt über Irmgards Erscheinung. Es schien so gar nicht zu ihr zu passen, dass sie als Prostituierte arbeitete. Auf das Fräulein wirkte sie eher wie das makellose Ebenbild einer vielversprechenden höheren Tochter. Sidonie teilte ihr mit, dass ihr die Aufklärung des Mordfalls Gerlinde Dietz besonders am Herzen liege und dass Irmgard ihr möglicherweise behilflich sein könne. Als Irmgard Sidonies Worte hörte, zuckte sie leicht zusammen und machte ein betroffenes Gesicht.

      »Gehen wir da hinten in die Ecke, da haben wir noch am ehesten Ruhe«, erwiderte sie und begab sich, gefolgt von Sidonie und Johann, an das Ende des Tresens. Lediglich ein junger Mann hielt sich dort auf, den Irmgard Sidonie und Johann als einen lieben Freund vorstellte. Als Sidonie der schönen Frau gleich darauf auseinandersetzte, dass es sich bei dem Herrn, mit dem Gerlinde noch kurz vor ihrem Tod im Weingarten auf dem Klapperfeld verabredet war, möglicherweise um ihren Mörder handelte, war Irmgard sehr bemüht, eine genaue Personenbeschreibung von Gerlindes Begleiter abzugeben, die sich im Wesentlichen mit Rudis Aussagen deckte.

      »Mehr kann ich leider nicht sagen. Ich weiß auch nicht, ob ich den Mann vorher schon einmal gesehen habe. Bekannt kam er mir jedenfalls nicht vor. Ein großer, schlanker Herr mit Gehrock und Zylinder … aber so sehen doch viele aus, besonders Herren der besseren Gesellschaft«, äußerte Irmgard nachdenklich und blickte auf ihren Begleiter, auf den die Beschreibung gleichermaßen zutraf. »Es ist schade um die Gerlinde, glauben Sie mir, und ich hätte Ihnen gerne mehr geholfen. Ich finde es auch gut, dass Sie sich um die Aufklärung des Falles kümmern, denn die Polizei scheint sich nicht sehr dafür zu interessieren. So ist das halt, wenn einer von uns so etwas widerfährt. Letztendlich denken doch alle, das geschieht ihr recht. Am meisten tut es mir um Gerlindes Buben leid. Die armen Würmchen stehen jetzt ganz allein da und sind ins Waisenhaus gekommen. Wenn Gerlinde das wüsste, würde sie sich im Grab rumdrehen. Wo sie ihre Kinder doch so geliebt hat! Sie waren ihr ein und alles, und ich bin mir sicher, sie war eine gute Mutter, und sie hat sie auch nicht abgeschoben, wie es in der Zeitung stand. Das musste sie wegen ihrer Stellung machen, denn welche Herrschaft lässt es schon zu, dass eine Dienstmagd ihre Kinder mitbringt. Das kümmert die doch nicht. Die ganze Plackerei, und das alles für die paar Kröten, die hinten und vorne nicht reichen, erst recht, wenn man daheim noch welche durchzufüttern hat. Und das haben die meisten. Kein Wunder, dass so viele von uns noch nebenbei was dazuverdienen müssen. Und die Gerlinde, das weiß ich, hat das alles nur für ihre Buben getan.« Irmgard hielt inne und wischte sich über die Augen. Der junge Mann an ihrer Seite nahm sie in den Arm und versuchte sie zu trösten, was zur Folge hatte, dass bei Irmgard alle Dämme brachen und sie sich bebend an seiner Schulter ausweinte. Dazwischen murmelte sie immer wieder: »Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr!«

      Johann und das Fräulein waren betroffen und wussten angesichts von Irmgards Gefühlsausbrüchen nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten. Johann räusperte sich betreten. »Können wir Ihnen vielleicht auf irgendeine Art und Weise helfen, junge Dame? Soll

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