Скачать книгу

zu sein schien.

      »Ja, die bin ich.«

      »Ich soll das hier für Sie abgeben«, antwortete er und legte eine große, flache Schachtel auf den Tresen. »Es ist von der Firma Graubner.«

      »Vom Dirndlgeschäft in der Lindenstraße?«, wunderte sich Elli. Verblüfft schaute sie den hübschen perlgrauen Karton mit der blauen Schleife an. »Aber ich erwarte keine Lieferung aus dem Geschäft. Ich habe dort nichts eingekauft.«

      »Davon weiß ich nichts. Ich habe nur den Auftrag bekommen, das bei Ihnen abzuliefern«, antwortete der Bote. »Es gehört auch ein Brief dazu.«

      Elli nahm das Papier entgegen und las.

      Meine liebe Elli,

      bitte erlaube mir, Dir ein Geschenk zu machen. Dieses Dirndl haben wir im Vorübergehen im Schaufenster gesehen, erinnerst Du Dich? Sieht es nicht so aus, als habe es nur auf Dich gewartet? Viel Freude beim Tragen, Du Schöne!

      Ich erwarte Dich am Sternwolkensee.

      Henning

      »Oh!« Sie ließ den Brief sinken und strahlte den Boten an. »Alles in Ordnung, vielen Dank!«

      Der junge Mann verließ ihr Geschäft, und Elli öffnete den Karton. Sie ahnte, was sich unter den Schichten von Seidenpapier verbarg: das Trachtenkleid, das sie im Fenster bewundert hatte und von dem sie wusste, dass sie es sich nicht würde leisten können.

      Es war ein Festtagsdirndl aus edlem, schwarzem Stoff. Das Mieder war mit einem Balkonettausschnitt und Schalkragen gearbeitet und mit winzigen Blüten bestickt. Über dem üppig fallenden Rock bauschte sich eine zart gemusterte Schürze aus grünem Seidentaft. Das Dirndl war einfach hinreißend und würde Elisabeths Farben – das sahnige Weiß ihrer Haut, die blau-grauen Augen, die rote Haarpracht – zum Strahlen bringen.

      »Es ist perfekt! Danke, Henning!«, flüsterte sie glücklich und drückte das Prachtstück an sich.

      So überraschte sie Til Tilsner, als er das ›Lesezeichen‹ betrat. Unwillkürlich musste er lächeln. »Wissen Sie, eigentlich habe ich überhaupt keine Vorliebe für heimischen Trachten, aber ich muss zugeben, dass dieses Dirndl wirklich wunderschön aussieht.« Er machte eine kleine Pause und betrachtete Elisabeth mit einem Blick aufrichtiger Bewunderung. »Was aber auch an Ihnen liegt; Sie erwecken das Kleid zum Leben.«

      »Oh!« Elli errötete. »Vielen Dank, das haben Sie sehr schön gesagt.« Hastig legte sie das Kleid wieder in den Karton zurück. Mit einem herausforderndem Blick fuhr sie fort: »Was allerdings nicht verwundert, immerhin sind Sie Schriftsteller und wissen mit Worten umzugehen.«

      Der Mann seufzte. »Das hab ich nun davon! Man legt meine Worte auf die Goldwaage.«

      Elli hörte den Unterton leichter Enttäuschung, und ihre Bemerkung tat ihr leid. Vielleicht hatte der Mann einfach nur nett sein wollen? Sie wechselte rasch das Thema. »Es sind unglaublich viele Anmeldungen zu Ihrem Abend gekommen, obwohl noch nicht einmal ein genaues Datum feststand. Da können Sie mal sehen, wie sehr man Sie auch hier in dieser Gegend schätzt.«

      »Ich habe schon gehört, dass wir in die Gemeinderäume umziehen müssen, und ich fühle mich geschmeichelt.« Er grinste überraschend jungenhaft und sympathisch. »Passt der nächste Donnerstagabend?«

      Elli schaute in ihren Kalender und nickte. »Ja, dann steht uns der große Raum zur Verfügung. Ich bereite alles vor und denke, Sie werden zufrieden sein.«

      »Das glaube ich auch.« Sein Blick wanderte durch das Geschäft. »So wie Sie Ihre Buchhandlung eingerichtet haben, werden Sie es schaffen, einen nüchternen Gemeinderaum zu verschönern.«

      »Danke!« Elli freute sich über dieses Kompliment.

      Til Tilsner griff einen der wenigen königsblauen Flyer auf, die noch auf dem Ladentisch lagen. »Werden Sie dieses Lichterfest auch besuchen?«

      Elli hörte den kleinen spöttischen Unterton. »Ich gehe gemeinsam mit Freunden, und wir alle freuen uns sehr darauf. Es ist ein traditionelles Fest, das die Menschen hier mit viel Liebe vorbereiten«, antwortete sie bestimmt.

      »Na dann, viel Spaß!« Der Schriftsteller zuckte leicht mit den Mundwinkeln. »Ich mag diese zur Schau gestellte Heimatverbundenheit nicht.«

      »Das ist Ihr gutes Recht. Aber Sie haben nicht das Recht, sich über die lustig zu machen, welche sich auf das Ereignis freuen!«, antwortet Elli scharf.

      »Ich bitte Sie, Sie nehmen das tatsächlich ernst? Diesen lauschigen Sommerabend am See, Kerzen, Musik und Trachtenromantik? Das ist doch alles nur ein Produkt der Tourismusbranche.«

      »Sie sollten sich besser informieren!«, fauchte Elli. »Das Lichterfest am See gibt es bereits seit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, und es hat einen historischen Ursprung. Ganz gewiss wird es nicht gefeiert, um Touristen das Geld aus der Tasche zu ziehen!«

      Til Tilsner schaute sie nachdenklich an. »Es scheint Ihnen wirklich etwas zu bedeuten.«

      »Tut es auch!« Die junge Frau zog ihr schönes Kleid aus der Schachtel und hielt es sich demonstrativ an. »So viel zum Thema Trachtenromantik!«, sagte sie böse. »Morgen Abend werde ich das Dirndl tragen, und Ihre Meinung dazu ist mir keinen Pfifferling wert!«

      »Na dann, viel Vergnügen!« Der Schriftsteller deutete eine kleine, spöttische Verbeugung an und verließ das Geschäft.

      »Was ist bloß los mit diesem Kerl!«, schimpfte Elli halblaut vor sich hin, während sie ihr Dirndl sorgfältig wieder einpackte. »Wechselt übergangslos vom netten Mann zum arroganten Ekelpaket.«

      »Hoppla! Wer hat Sie denn so verärgert?«, fragte Sebastian Seefeld. Er stand plötzlich am Tresen und wollte die Briefkarten bezahlen, die er sich draußen aus dem Ständer ausgesucht hatte.

      »Ach, bloß dieser Krimiautor. Ich kann seine Sprunghaftigkeit nicht verstehen, wie kann jemand nur so launisch sein! Gibt es dafür eigentlich eine medizinische Bezeichnung?«, fragte sie, halb im Spaß.

      »Oh, unberechenbares Verhalten kann viele Ursachen haben«, antwortete der junge Landdoktor. »Es kann seelische Gründe oder körperliche Beschwerden als Auslöser haben. Die Bandbreite ist sehr groß.«

      »Wie gut, dass ich keine Ärztin bin!«, seufzte Elli. »Ich glaube, dazu fehlt mir die Geduld.«

      Sebastian Seefeld lachte leise. »Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen«, antwortete er. »Hätten Sie keine Geduld und kein Einfühlungsvermögen, könnten Sie keine Buchhandlung führen.«

      »Auch wieder wahr.« Elli grinste. »Außerdem ist dieser Tilsner nur für kurze Zeit hier, und da schaffe ich es schon, mich mit ihm gutzustellen. Ich denke jetzt ganz einfach nicht mehr an ihn, sondern freue mich auf morgen!«

      »Guter Plan!« Sebastian Seefeld verabschiedete sich mit einem freundlichen Gruß. »Bis morgen Abend, Frau Faber.«

      »Bis dahin, Doktor.«

      *

      Ein herrlicher Tag, weiß-blau wie der bayerische Sommerhimmel, neigte sich dem Abend entgegen. In Bergmoosbach schlossen die Geschäfte, Afra machte ihren Kiosk dicht, und vom neuen Friseursalon ›Die Schere‹ gingen die letzten Kundinnen beschwingt nach Hause zurück. Jung und Alt machte sich bereit, zum alljährlichen Lichterfest an den Sternwolkensee zu gehen.

      Elisabeths rote Haarflut war zu einer traditionellen Flechtfrisur gebändigt, in die sie ein grünes Seidenband eingeflochten hatte. Das edle Dirndl passte wie angegossen und unterstrich ihre außergewöhnliche Schönheit. Beim Gedanken an Henning verspürte die junge Frau eine Leichtigkeit dort, wo früher Zorn und dann Gleichgültigkeit gewesen waren.

      »Was glaubst du, was er sagen wird, wenn er mich in meinem neuen Kleid sieht?«, fragte sie Dante, der zufrieden auf ihrem Bett lag und ihrem munteren Treiben zuschaute. Elli drehte sich vor dem Spiegel, band ihr Schürzenband dreimal neu, ehe sie mit der Schleife zufrieden war, und befestigte zum Schluss winzige, antike Diamantohrringe, ein Erbstück ihrer Ur-Großmutter. Noch

Скачать книгу