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      Leider störte plötzlich eine weibliche Stimme die ruhige halbe Stunde, welche der Landdoktor und die Hebamme miteinander teilten. »Grüß Gott, Sebastian! Hallo, Anna.« Miriam Holzer stand vor der Bank, in der einen Hand eine modische, große Handtasche, in der anderen mehrere Schnellhefter. »Sebastian, wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen!«

      »Genau genommen das letzte Mal vor drei Tagen, als du in der Praxis warst«, antwortete Sebastian Seefeld trocken.

      Miriam lachte leise auf und schüttelte mit einer gekonnten Bewegung ihre wunderhübsch kolorierte Blondmähne über die Schulter zurück. »Ich habe so viel Arbeit, da fliegen die Tage nur so dahin«, zwitscherte sie und wedelte mit den Schnellheftern. Der Blick aus ihren großen, blauen Augen galt jetzt Anna. »Nicht jede Berufstätige hat das Glück, Kaffeepäuschen einlegen zu können, wenn es grad gut passt!«

      Sebastian lächelte seine alte Klassenkameradin freundlich an. »Ja, es passt ausgesprochen gut mit Anna und mir.«

      »Ähm, Sebastian.« Miriam trat dichter zu ihm und senkte die Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. »Liegen dir meine Untersuchungsergebnisse schon vor?«

      Doktor Seefeld blieb unverändert freundlich, obwohl ihm Miriams Gehabe auf die Nerven zu gehen begann. Sie sprach von den Ergebnissen einer simplen Blutuntersuchung, als handle es sich um Proben bei einer höchstwahrscheinlich ernsthaften Erkrankung. Diese Frau ließ wirklich keine Gelegenheit aus, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

      »Bitte ruf in der Praxis an. Gerti oder Caro werden dir deine Werte durchsagen«, antwortete er bestimmt.

      »Aber, Sebastian, ich will nicht von einer deiner Helferinnen …«

      »Aber was macht der denn!« Annas überraschter Ausruf unterbrach Miriams Protest.

      Alle Blicke flogen zu einem Auto, das sich ganz offensichtlich durch die engen Gassen auf den Marktplatz verirrt hatte und sich hupend und nicht gerade im Schritttempo seinen Weg zu bahnen versuchte. Nach seinem Fahrstil zu urteilen, schien der Fahrer schwer irritiert und gereizt zu sein, er schrammte an zwei Blumenkübeln entlang, streifte den Bordstein und setzte den Wagen mit einem hässlichen, metallischen Knirschen auf einen buckeligen Stein auf. Mit einem Ruck kam das Auto zum Stehen, die Tür flog auf, und ein Mann sprang auf die Straße. »Verdammtes Provinznest!«, brüllte er. »Eure Verkehrsführung ist lebensgefährlich!«

      Mit zwei, drei langen Schritten war Doktor Seefeld neben dem Mann und musterte ihn eindringlich. »Sind Sie verletzt?«

      »Was? Nein! Aber mein Auto, gucken Sie sich mein Auto an!«

      »Das ist nur ein Blechschaden. Seinen Sie froh, dass Sie niemanden in einen Unfall verwickelt haben!«

      »Was? Nur ein Blechschaden? Nur?« Der Mann steigerte sich in einen regelrechten Wutanfall hinein. »Sehen Sie diesen Wagen? Das ist ein Oldtimer, nicht einfach irgendein Auto und …«

      »Und Sie sollten sich jetzt beruhigen!« Doktor Seefeld warf seine natürliche Autorität in die Waagschale, um das öffentliche Aufsehen, das der Mann erregte, möglichst klein zu halten. »Kommen Sie mit zu der Bank dort drüben, damit Sie den Reparaturdienst und Ihre Versicherung anrufen können. Alles andere wird sich finden.«

      »Mann, Sie haben vielleicht Nerven! Was, glauben Sie, kann der Reparaturdienst eines Provinznestes für meinen Wagen tun?«, höhnte der Mann.

      »Das Rad haben wir bereits erfunden, und wir arbeiten auch nicht mehr mit Feuerstein und Faustkeilen«, antwortete Sebastian trocken. »Rufen Sie die Autowerkstatt an, dort wird man Ihnen weiterhelfen können.«

      Der Mann schien tatsächlich durch Sebastians Ruhe und Humor etwas besänftigt zu sein und zückte sein Handy. Als er feststellte, dass sein Akku leer war, holte er tief Luft und wollte zu einem neuen Ausbruch ansetzten, aber Anna schnitt ihm resolut das Wort ab. »Gehen Sie in die Buchhandlung! Die Besitzerin lässt Sie sicher telefonieren, und falls Sie es brauchen, werden Sie sich auch von dort ein Taxi rufen können.«

      Der Mann knurrte etwas, was mit gutem Willen als flüchtiger Dank ausgelegt werden konnte, und verschwand im ›Lesezeichen‹.

      »Reizender Zeitgenosse!«, sagte Sebastian kopfschüttelnd.

      Anna lachte. »Ja, er macht seinem Ruf tatsächlich alle Ehre.«

      Interessiert schaute der Arzt sie an. »Du kennst den Mann?«

      »Aus den Zeitungen«, antwortete Anna. »Das ist Til Tilsner!«

      »Was? Der berühmte Krimiautor?« Miriam spitzte sofort die Ohren.

      »Genau der!«

      »Til Tilsner hier in Bergmoosbach!« Miriam sah ergriffen aus. »Das muss man sich mal vorstellen!«

      »Seine Vorstellung eben fand ich nicht so bewundernswert«, stellte Sebastian klar. »Der Mann mag ja gute Krimis schreiben, aber an seinem Benehmen muss er noch arbeiten.« Der Landdoktor musste jetzt dringend wieder in seine Praxis und verabschiedete sich von den beiden Frauen. Auch Anna ging, und Miriam stieg im eleganten Stöckelschritt über die Eingangsstufe zum ›Lesezeichen‹ hinauf. Die Familie Holzer war tonangebend in der Gemeinde, und es verstand sich von selbst, dass sie Kontakt zu dem berühmten Autor aufnehmen würde! Da war es nur gut, ihn sich schon einmal aus der Nähe anschauen zu können.

      Til Tilsner hatte in denkbar schlechter Laune Ellis Geschäft betreten. Für die Schönheit und besondere Atmosphäre des Ladens hatte er überhaupt keinen Blick, er sah nur eine dörfliche Buchhandlung. Und eine junge Frau in einem schwarzen Kleid, das ihre helle Haut und die rote Haarkrone zum Leuchten brachte. »Könnte ich bitte Ihr Telefon benutzen? Mein Handy ist außer Funktion, und ich muss einen wichtigen Anruf erledigen«, sagte er ohne ein einziges Wort der Begrüßung.

      Elli musterte ihn von Kopf bis Fuß. Sie hatte ihn sofort erkannt und fand sein Auftreten unmöglich. »Ihnen auch einen guten Tag!«, antwortete sie herausfordernd. »Es ist doch immer wieder nett, wenn Kunden mit einem freundlichen Gruß zur Tür hereinkommen.«

      »Ich bin kein Kunde«, blaffte Til Tilsner, »ich möchte nur kurz telefonieren.«

      »Öffentliche Telefone finden Sie in der Post am Bahnhof. Über den Marktplatz und dann einfach geradeaus, das können Sie gar nicht verfehlen«, antwortete Elli mit funkelnden Augen.

      »Was? Sie sind …« Plötzlich stockte der Mann. Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und durch die Haare. Seine angespannten Schultern sackten herab, und er holte einmal tief Atem. »Bitte entschuldigen Sie!«, sagte er zögernd. »Ich glaube, ich habe mich ziemlich unmöglich verhalten. Ich …, es geht mir nicht gut, aber das ist keine Entschuldigung für Unhöflichkeit. Sind Sie so freundlich und lassen Sie mich Ihr Telefon benutzen, bitte?«

      Ellis Zorn verrauchte. »Bitte, setzten Sie sich doch, Sie sehen wirklich ziemlich blass aus. Sie hatten eben Ärger mit unseren Grenzsteinen, nicht wahr? Ist Ihnen wirklich nichts passiert?«

      »Danke, es geht schon.« Til Tilsner gelang ein kleines Lächeln, von dem er gar nicht wusste, wie verloren und gleichzeitig hinreißend es aussah. »Ich glaube, in erster Linie bin ich wütend auf mich selbst, weil ich meinen Wagen festgefahren habe.«

      »Kann doch jedem mal passieren.« Elli zuckte mit den Schultern und reichte ihm das Telefon. »Rufen Sie halt die Werkstatt an, und Ihr Auto ist im Handumdrehen wieder fit.«

      Til Tilsner schaute sie zweifelnd an. »Das ist ein Wagen aus dem Jahr 1962! Wo sollen denn in diesem Kaff die Ersatzteile herkommen?«

      Elli zog spöttisch die Augenbrauen hoch. »Internet? Postvertrieb? Wir Hinterwäldler können das, vertrauen Sie uns!«

      »So etwas Ähnliches hat der Mann da draußen auch gesagt«, murmelte der Autor, und dann konzentrierte er sich auf seinen Anruf.

      Inzwischen hatte Elli Zeit, den eigenwilligen Besucher genauer zu mustern. Til Tilsner war groß und schlank, er hatte markante Gesichtszüge, braune Augen und dunkle Haare. Unwillkürlich fielen Elli die Worte Annas über die Ähnlichkeit zwischen Henning und diesem Fremden wieder

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