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Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Galileio Galilei
Читать онлайн.Название Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme
Год выпуска 0
isbn 9783843804387
Автор произведения Galileio Galilei
Жанр Математика
Издательство Bookwire
• Pius IX. (1792, 1846–1878) setzt noch mehrere drauf. Mit dem Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens (1854), mit dem »Syllabus« von 1864, einer Zusammenfassung aller – nach seinem Verständnis – Zeitirrtümer, mit der Erklärung des Ersten Vatikanischen Konzils (1869/70) über die päpstliche Unfehlbarkeit, mit dem Verbot an die italienischen Katholiken, sich im neuen einigen Königreich politisch zu betätigen, ruft er den offenen »Kulturkampf« aus, den Großen Krieg zwischen Kulturen, der religiösen und der »liberalen«. Der kirchliche Kreuzzug fand seine Gegner.
Da war es ein probates Kriegsmittel, den »Fall Galilei«, der bekannt war und immer bekannter wurde, aus den Archiven zu holen und zum Skandal hochzutreiben. Hier war offensichtlich: Die Römische Kirche konnte als wissenschaftsfremd, fortschrittsfeindlich und bibel-töricht beiseitegeschoben werden. Am Nasenring der Inquisitionserklärung – sie dreht sich nicht, die Erde – konnte man die Kirche durch die Manege ziehen.
EIN KULTURKAMPF
Mit dieser Alternative war der Kulturkampf kulturell für die Kirche verloren. Politisch fand man Kompromisse, weil die Katholiken Bürger der Staaten waren und immer noch eine »Volkskirche« bildeten. Diese suchte Pius X. (1835, 1903–1914) zu festigen. Mit Geschick. Auch indem er die Ambivalenz der Moderne aufwies und deren menschliche Verlierer, die mit dem Fortschritt Nicht-Mitgekommenen, umwarb. Er wandte sich gegen das Eindringen des »Modernismus« in die Kirche, zwar mit überholten Mitteln, doch nicht ohne Erfolg. Für die Bibelauslegung – mit einer eigenen vatikanischen Kommission – erließ er Bestimmungen, die hinter den historischen Erkenntnissen zurückblieben und den Ruf der Römischen Theologie weiter herabsetzten. Die Römische Kirche unter den Päpsten hielt durch und wuchs, weil in Europa die Moderne durch Kriege und Wahnsinnsideologien in Trümmer ging.
Der »Skandal Galilei« verschärfte sich, weil die Gegner nicht lockerließen. Pius XII. (1876, 1939–1958) beauftragte zum 300. Todestag Galileis, 1942, durch die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, den italienischen Kirchenhistoriker und Priester Pio Paschini, den »Fall Galilei« noch einmal gründlich zu erforschen. Als die Arbeit vorlag, erschien ihre Veröffentlichung dem Papst und führenden Kurialen peinlich, blamabel, bestenfalls unnötig; warum sollten sie sich in Rom selbst bloßstellen. Erst die Bischöfe des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) waren dazu bereit. In der Pastoralkonstitution »Gaudium et Spes« (»Freude und Hoffnung«) schrieben sie: »Deshalb sind gewisse Geisteshaltungen, die einst auch unter Christen wegen eines unzulänglichen Verständnisses für die legitime Autonomie der Wissenschaft vorkamen, zu bedauern. Durch die dadurch entfachten Streitigkeiten und Auseinandersetzungen schufen sie in der Mentalität vieler die Überzeugung von einem Widerspruch zwischen Glauben und Wissenschaft.« Damit jedermann wusste, dass vor allem der »Fall Galilei« gemeint war, ehrten sie Paschini und sein 1964 im Vatikan erschienenes zweibändiges Werk, »Vita e opere di Galileo Galilei«, durch eine Fußnote. Immerhin. Die Progressiven beklagten damals noch die Mentalität der Konservativen, die nicht die Schuld der Kirche eingestehen wollten und die Wahrheit scheuten.
JOHANNES PAUL II. UND BENEDIKT XVI.
Aber um die historischen Tatsachen ging es längst nicht mehr. Sondern darum, ob die Gegenkräfte der Kirche den »Skandal Galilei« wachhalten wollten. Auch noch in einer Zeit, die wissenschaftlich längst – spätestens seit der Relativitätstheorie von Albert Einstein (1879–1955) – über die Heliozentrik hinausgewachsen ist, weil überhaupt kein Zentrum des Universums mehr angenommen werden kann. Johannes Paul II. (1920, 1978–2005) entschloss sich (1979, zum 100. Geburtstag von Einstein!), noch einmal eine noch gründlichere Untersuchung anzuordnen und 1992, zum 350. Todestag Galileis, höchstamtlich eine förmliche Rehabilitierung Galileis auszusprechen.
Darin heißt es zusammenfassend: »Ausgehend vom Zeitalter der Aufklärung bis in unsere Tage, hat der Fall Galilei eine Art Mythos gebildet, in dem das dargelegte Bild der Ereignisse von der Wirklichkeit weit entfernt war. In dieser Perspektive war dann der Fall Galilei zum Symbol für die angebliche Ablehnung des wissenschaftlichen Fortschritts durch die Kirche oder des dogmatischen ›Obskurantentums‹ gegen die freie Erforschung der Wahrheit geworden. Dieser Mythos hat in der Kultur eine erhebliche Rolle gespielt und dazu beigetragen, zahlreiche Männer der Wissenschaft in gutem Glauben denken zu lassen, der Geist der Wissenschaft und ihre Ethik der Forschung auf der einen Seite sei mit dem christlichen Glauben auf der anderen Seite unvereinbar. Ein tragisches gegenseitiges Unverständnis wurde als Folge eines grundsätzlichen Gegensatzes von Wissen und Glauben hingestellt. Die durch die jüngeren historischen Forschungen erbrachten Klärungen gestatten uns nun die Feststellung, dass dieses schmerzliche Missverständnis inzwischen der Vergangenheit angehört.«
NEUER HUMANISMUS – MAHNUNG
Da kann man nicht so sicher sein. Gewiss, die Römische Kirche hat ihren Ur-Irrtum eingesehen, bereut und eingestanden. Wie schon Galilei 1613 in einem Brief (an Benedetto Castelli) schreibt: »Wenn schon die Schrift nicht irren kann, so können doch einige ihrer Erklärer und Deuter in verschiedener Form irren.« Da sind die christlichen Kirchen nun vorsichtig. Was der kundige Jesuiten-Kardinal Roberto Bellarmino (1542–1621) schon 1615 (Brief an R. A. Foscarini) wünschte. Was fundamentalistischen Religionsführern wohl noch bevorsteht. Was Kardinal Ratzinger, den Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation, im März 2000 zum feierlichen Schuldeingeständnis für seine Inquisitionsbehörde bewog, »dass auch Menschen der Kirche im Namen des Glaubens und der Moral in ihrem notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit mitunter auf Methoden zurückgegriffen haben, die dem Evangelium nicht entsprechen«.
Aber letztlich geht es im »Skandal Galilei« darum, wer die Erklärung der Welt und ihrer Daseinsgründe mit Autorität für sich beanspruchen darf. Das ging 1633 der Römischen Kirche daneben. Joseph Ratzinger versuchte verschiedentlich als Kardinalstheologe diesen Anspruch der Kirche sogar mit Berufung auf die Philosophen Ernst Bloch und Paul Feyerabend auch im »Fall Galilei« zu retten. Das wollten ihm als Papst jene nicht durchgehen lassen, die sich dem Anspruch der Kirche durch Skandalisierung widersetzen. So protestierten noch im Januar 2008 Professoren und Studenten der römischen Universität »Sapienza«, von Päpsten gegründet (1303), gegen eine geplante Vorlesung des Papstes.
Benedikt XVI. sagte seinen Besuch ab. Er schickte den Protestierern jedoch seine – nicht gehaltene – Rede. Darin erkennt er ein für allemal die Unabhängigkeit der Universität, von Wissenschaft und Forschung an, in jedem politischen Regime, von jedweder Obrigkeit: »In ihrer Freiheit von politischen und kirchlichen Autoritäten kommt der Universität ihre besondere Funktion gerade auch für die moderne Gesellschaft zu, die einer solchen Institution bedarf.« Er entschuldigt sich noch einmal, definitiv: »Manches, was von Theologen im Laufe der Geschichte gesagt oder auch von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von der Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns heute.« Und er fordert einen »neuen Humanismus für das dritte Jahrtausend«, der jedoch »die Weisheit der großen religiösen Traditionen als Realität zur Geltung zu bringen« müsse; man dürfe sie nicht »im Namen einer säkularistisch verhärteten Rationalität« und werde sie »nicht ungestraft in den Papierkorb der Ideengeschichte werfen«.
So ist es wohl. Damit könnte auch der »Skandal Galilei« zu den Akten gelegt werden. Denn der »Fall« ist es längst. Doch Galileo Galilei bleibt auch 450 Jahre nach seiner Geburt die unverdrängbare Freiheitsstatue der Menschheit, als Mahnung an jede politische und religiöse Obrigkeit, dass die Wahrheit sich nie unterdrücken lässt.
Heinz-Joachim Fischer
VORWORT
Der Dialog Galileis über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme