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Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Galileio Galilei
Читать онлайн.Название Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme
Год выпуска 0
isbn 9783843804387
Автор произведения Galileio Galilei
Жанр Математика
Издательство Bookwire
Aber zur Ikone der wissenschaftlichen Freiheit gegen die Macht der Religiösen und Ideologen wurde er, wenn wir richtig urteilen, erst spät, viel später, im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, besonders im deutschen Sprachraum und im geistespolitischen Betrieb Italiens. Just zu jener Zeit, als es besonders im Deutschen Kaiser- und im italienischen Königreich, aber auch in Frankreich zu heftigen Spannungen zwischen Kirche und Staat, zwischen den Autoritäten des römisch-katholischen Glaubens und denen der Wissenschaften kam. Just zu jener Zeit, als die Franzosen aus der Alten Welt in die Neue nach New York die – symbolhaft hochpolitische – Freiheitsstatue schickten und die Amerikaner sie dort im Oktober 1886 einweihten. Als man im Hochgefühl des neuen Fortschrittsglaubens den alten christlichen Glauben ins Endlager der Geschichte entsorgen wollte und 1889 in Rom, dem Papst zu Trotz und zur Herausforderung, ein Denkmal für Giordano Bruno errichtete, einen Zeitgenossen Galileis, den, wie man seinen Schriften entnimmt, bösesten Schmäher des Juden Jesus und des Christentums. Diese – was zu zeigen sein wird – neue Erkenntnis, diese neue Sicht auf den »Fall« und »Skandal Galilei« fordert geradezu eine eingehende Beschäftigung mit dem »Dialog« und dem Widerruf.
KONKURRENZKAMPF UM MEINUNGSMACHT
Denn die Erhöhung Galileis zur mythischen, anti-kirchlichen Gestalt seitdem geschah nicht von selbst. Sie wird – das ist höchst spannend nachzuverfolgen – gefördert von einem höchst legitimen liberalen Zeitgeist und den daran Interessierten einerseits und der konträren Ausrichtung der römischen Kirchenführung mit den Päpsten an der Spitze andererseits. Es ist ein dramatischer Konkurrenzkampf um Meinungsmacht in Europa, um geistige Hegemonie in der Gesellschaft, Deutungshoheit für das Vergangene und Befugnisse für die Zukunft. So geht es dabei weniger um Parteinahme als vielmehr um die Beschreibung einer Mythologisierung. Ent-Mythologisierung, wenn gewünscht, kann dann nur aus dem Willen zur Aufklärung einsetzen.
Ein hessischer Mathematiker, Emil Strauss (1859–1892), Lehrer an der »Israelitischen Realschule Philanthropin« zu Frankfurt am Main, übersetzt gerade in jenen Jahren Galileis geistespolitisches Hauptwerk, »Dialogo sopra i due massimi sistemi« zum ersten Mal (!) ins Deutsche und veröffentlicht es als »Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das Ptolemäische und Kopernikanische« 1891 in Leipzig. In den 90 Jahren danach (bis 1982) erschienen nach einer Zählung des englischen Übersetzers, Stillman Drake, rund 3.000 Bücher und Artikel zu Galilei. Das geschah wohl kaum wegen neuer astronomischer Erkenntnisse, sondern wegen des Groß-Konflikts kontroverser Geistesmächte über Galilei hinaus. »Keine andere Übersetzung des Dialogs hat größeren Einfluss auf die Wissenschaftsgeschichte«, so Drake.
Dem deutschen Eifer war im liberalen, antiklerikalen Italien eine innere Vergangenheitsbewältigung vorausgegangen. Ein Gelehrter aus Padua, Antonio Favaro (1847–1922), nahm sich geistesgeschichtlich – aus Lokalpatriotismus, weil an der dortigen Universität Kopernikus (zwei Jahre lang Medizin) studiert und Galilei (18 Jahre lang Mathematik) gelehrt hatte – des »Falles Galilei« an; seit 1878 mit Dutzenden von Veröffentlichungen, vor allem dann als »Direktor der National-Edition der Werke Galileo Galileis«. Papst Leo XIII. (1878–1903) gab die außergewöhnliche Erlaubnis zur Öffnung der Geheimarchive mit Galileischen Prozessakten; in der Hoffnung, den Streit zwischen Glauben und Forschung gütlich, weil in diesem Punkt nicht so erheblich, beilegen zu können. Ein Irrtum!
IN SO EKLATANTER WEISE VERKEHRT
Denn in seiner Einleitung bemerkt Strauss, weit mehr in die Zukunft als in die Vergangenheit blickend: »Von Seiten der katholischen Kirche ist vielleicht manche grausamere und schädlichere Maßregel getroffen worden als das Verbot der kopernikanischen Lehre; keine jedoch, die in so eklatanter Weise als verkehrt von den Gegnern der Kirche nachgewiesen werden kann, keine, deren Unrichtigkeit von ihr selbst so ohne Weiteres zugegeben werden muss und zugegeben wird.« Dieser »Dialog«, der hier nun neu vorgelegt wird, war eben jenes Werk, das Galilei verleugnen musste und zu dem es in der Abschwörung vor der Inquisition von 1633 heißt (Übersetzung von Emil Strauss, 1891):
»Da ich aber ein Buch geschrieben und in Druck gegeben, in welchem ich die nämliche bereits verdammte Lehre erörtere und mit vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe anführe, ohne eine Widerlegung derselben beizufügen, und da ich mich dadurch diesem heiligen Officium der Ketzerei stark verdächtig gemacht habe, schwöre ich, dass ich in Zukunft niemals mehr etwas sagen oder mündlich oder schriftlich behaupten will, woraus man einen ähnlichen Verdacht gegen mich schöpfen könnte.
Ich, besagter Galileo Galilei, habe abgeschworen, geschworen und versprochen und mich verpflichtet wie vorstehend, und zur Beglaubigung habe ich diese Urkunde meiner Abschwörung, die ich Wort für Wort verlesen, eigenhändig unterschrieben.
Rom im Kloster der Minerva am 22. Juni 1633.
Ich, Galileo Galilei, habe abgeschworen wie vorstehend, mit eigener Hand.«
Die Sonne ging auch an jenen Tagen auf und unter, wie alle Menschen sagen. Aber die Erde bewegte sich. Und Galileo Galilei kehrte in seine toskanische Heimat zurück und konnte sein naturwissenschaftliches Hauptwerk, die »Discorsi e dimostrazioni matematiche«, nach geduldigen Forschungen, trotz eines Augenleidens bis zur Blindheit, vollenden und 1638 im holländischen Leiden veröffentlichen lassen. Der Hausarrest in Florenz, zu dem er verurteilt war, sei eher komfortabel ausgefallen, besagen Quellen. Aber darum geht es nicht.
VOM FALL GALILEI ZUM SKANDAL
Auch die ebenfalls in italienischer Sprache abgefassten »Discorsi« wurden erst 250 Jahre später, Ende des 19. Jahrhunderts, nun längst teilweise Allgemeingut der Wissenschaft, ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel »Unterredung und mathematische Demonstration über zwei neue Wissenszweige die Mechanik und die Fallgesetze betreffend« 1890 in Leipzig veröffentlicht. Wurde da erst, Ende des 19. Jahrhunderts und dann vehement im 20., der »Fall Galilei« zum »Skandal«? Mit endlosen historischen Kontroversen und einigen öffentlichkeitswirksamen Werken in Literatur, Filmen und Hörspielen. Deren berühmtestes Stück, »Leben des Galilei«, schrieb Bertolt Brecht 1938 im dänischen Exil. Damit rückte er, ganz aktuell, die kirchliche Inquisition in die Nähe des Nazi-Regimes mit Gestapo und Konzentrationslager, aber auch der stalinistischen Sowjet-Diktatur mit Schauprozessen und unmenschlichem Gulag. Beidem war zweifellos Galileis Villa-Arrest vorzuziehen, meinte Brecht. Ihm schwante, dass als Resultat wissenschaftlichen Bemühens nun auch die Atombombe drohe, ungebremster Forscherdrang werde die Selbstvernichtung der Menschheit ermöglichen.
VERMINTES GELÄNDE
Was es mit all dem auf sich hat, wollen wir zum 450. Geburtstag Galileis genauer wissen und klarer im Überblick durchschauen. So wie er in Physik und Astronomie ungeachtet der Vor-Urteile und Vor-Antworten alles gründlicher untersucht hat. Allerdings: Wir betreten hinreichend vermintes Gelände. Der Autor und die Leser. Alle, die sich Galileo Galilei nähern wollen. Einem – wir bekräftigen es noch einmal – wahrhaft Großen der europäischen Naturwissenschaft, einem Bedeutenden der abendländischen Geistesgeschichte. Der allerdings auch – das sei ebenfalls unumwunden festgestellt – ein Umstrittener ist, weil er selbst voll Ehrgeiz zu heftigem Streit und Konkurrenzkampf bereit war, im Bemühen um neue Erkenntnisse, im Kampf um die »richtige« Wahrheit, mit Kollegen und mit der damaligen »Obrigkeit«, der Kirche. Einer, der bis heute von anhimmelnden wie abschätzigen Urteilen umgeben ist. Der von Mythen und Legenden umschleiert ist, von demütigen Entschuldigungen mehrerer Päpste rehabilitiert, und immer noch ein Stachel des Ungeklärten im scheinbar längst Bekannten zu sein scheint. Der Publizist Ingo Langner etwa hat dies in einem Gespräch mit dem ehemaligen Chef-Historiker des Vatikans, Kardinal Walter Brandmüller, noch einmal herausgearbeitet (»Der Fall Galilei und andere Irrtümer. Macht, Glaube und Wissenschaft«, Augsburg 2006).
Galilei – ein Streitfall, auch nach Jahrhunderten. Und das ist gut so. Diesen Skandal wollen wir darstellen. Das ist spannend und ganz modern. Mit Entrüstung, Empörung, Verdammung und der umsichtigen Suche nach einem fairen