Скачать книгу

Die meisten Professoren, allesamt Jesuiten, hatten im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) diese, kurz gesagt »fundamentalistisch« geprägte Theologie, mit einer wortwörtlichen Bibelauslegung, hinter sich gelassen. Ziemlich geräuschlos, weil sie keine Revolution hatten ausrufen müssen, sondern an die große katholische Theologie der Vergangenheit, die Ursprünge des Christentums, die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte anknüpfen konnten. Sie nahmen eine in Rom etwas vergessene oder vernachlässigte Tradition wieder auf, wie es auch die Bischöfe und Theologen des Konzils taten. Darunter auch der deutsche Professor Joseph Ratzinger, später Erzbischof von München, Kardinals-Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, der Nachfolge-Institution jener Behörde, die einst Galilei zum Widerruf gezwungen hatte, und Papst Benedikt XVI. Er machte kein Hehl daraus, dass die »Römische Theologie«, wie sie im »Fall Galilei« zum Zuge kam, eine Verengung des Katholischen bedeutete.

      ZWEI NEUE PROZESSE

      Nach dem Ende des Prozesses vor dem römischen Tribunal im Juni 1633, nach der Abschwörung Galileis und dem Urteil der Inquisition zu Haft und Buße beginnen zwei neue Prozesse; die Mythologisierung des Astronomen und die Revision durch die Kirche. Beide unmerklich, sehr langsam. Galilei lebte ja noch. Im Unterschied zu dem anderen berühmten oder berüchtigten Kopernikaner, Giordano Bruno (geb. 1548), an dessen Scheiterhaufen am 17. Februar 1600 auf dem Campo de’ Fiori sich die Römer noch erinnern konnten. Dessen Verbrennung war – auch nach päpstlichem Urteil, so von Johannes Paul II. im März 2000 – ein »Unrecht«.

      Aber dessen »Ketzerei« war von ganz anderer Art: Schmähungen, als ungeheuerlich empfunden, gegen Christus und das Christentum; provozierende Blasphemie, noch dazu mit schändlichem Antisemitismus, wenn Giordano schreibt:

      »Wenn also … einer (Jesus Christus) aus dem unwürdigsten und schmutzigsten Geschlecht der Welt, ein Mensch von niedrigster und gemeinster Natur und Denkart als Zeus angebetet wird, so … erwerben sich, die ihn anbeten, dadurch Geringschätzung und Tadel. Niemals also wird ein Schurke deshalb ehrwürdiger erscheinen, weil er mit Hilfe feindlicher Genien zum Affen und zum Popanz dient für den blinden Pöbelglauben.« Bruno nennt Jesus »einen verächtlichen, gemeinen und unwissenden Menschen … durch welchen alles entwürdigt, geknechtet, in Verwirrung gebracht und das Unterste zuoberst verkehrt, die Unwissenheit an Stelle der Wissenschaft … der echte Adel zu Unehren und die Niederträchtigkeit zu Ehren gebracht« worden sei. Die Juden seien »eine so pestilenzialische, aussätzige und gemeingefährliche Rasse, dass sie schon vor ihrer Geburt ausgerottet zu werden verdienen«. (aus »Die Vertreibung der triumphierenden Bestie«.) Diese Worte rechtfertigen nicht ein Todesurteil, sind freilich auch nicht denkmalswürdig. Sie zeigen, dass Galilei ein ganz anderer war.

      Knapp 70 Jahre alt, wird Galilei nach der Verurteilung »zu formaler Haft« – »Kerker« wird es nicht – in den Palazzo der toskanischen Gesandtschaft zu Rom gebracht, kommt im toskanischen Siena unter die gastfreundliche »Aufsicht« des Erzbischofs, einer seiner Bewunderer, und nimmt dann seine Wohnung in einer geräumigen Villa oberhalb von Florenz, in Arcetri. Er ist kein freier Mann, verurteilt und soll auch als Strafe die sieben Bußpsalmen beten – was er an seine Ordensschwester-Tochter delegiert. Keine Frage, »er hatte viel zu leiden durch Männer und Institutionen der Kirche« (Johannes Paul II., 1979). Aber er kann arbeiten, beobachten, forschen, schreiben, bis seine Augen schlechter werden; seinem Sekretär diktieren. Vor allem sein naturwissenschaftliches Hauptwerk, die »Discorsi, über zwei neue Wissenszweige«, die 1638 im holländischen Leiden veröffentlicht werden. Er stirbt zu Hause, in der Villa zu Arcetri, am 8. Januar 1642, im Alter von knapp 78 Jahren. Seine sterblichen Überreste finden zunächst eine provisorische Grablege.

      War damit der »Fall Galilei« abgeschlossen? Zumindest war es wohl still geworden um den Italiener. Die Urteile der Römischen Inquisition beschwerten weiter nördlich ebenso wenig wie einige Jahre später der (missverständliche) Protest Papst Innozenz’ X. gegen den Westfälischen Frieden am Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648). Die Naturwissenschaften und neue, von den Kirchen emanzipierte Philosophien der europäischen Gelehrten nahmen ihren Lauf, einen immer schnelleren.

      • Der Engländer Isaac Newton, ein Jahr nach Galilei, am 4. Januar 1643 geboren, 1727 gestorben, findet als Physiker und Mathematiker nicht den Willen Gottes, sondern die Gesetze der Natur.

      • René Descartes (1596–1650) und Baruch de Spinoza (1632–1677) interessieren sich als erste von vielen modernen Denkern nicht für die in der Bibel berichteten Launen Gottes, sondern für klare Gedanken und schlüssige Ideen.

      • Die Jesuiten als Erzieher der Eliten im katholischen Europa suchen Papsttreue und moderne Erkenntnisse zu verbinden.

      • Die Anfang des 18. Jahrhunderts in Konkurrenz zum Christlichen sich erhebende Bewegung der Freimaurerei mit vielen prominenten Anhängern weist auf, dass die Kirchen die intellektuelle Führerschaft in Europa – von der mittelalterlichen Vormundschaft zu schweigen – einbüßt.

      SKANDAL UND REVISION

      Nun war man auch in Rom und Florenz soweit. Benedikt XIV. aus Bologna (1675, 1740–1758), den Erfordernissen der Zeit aufgeschlossen, gestattete 1741 den Druck der ersten Gesamtausgabe der Werke Galileis und widerrief 1757 prinzipiell den Bann gegen das heliozentrische Weltbild. Schon zuvor, 1737, hatte man in der Florentiner Stadtkirche Santa Croce für Galilei ein prachtvolles Grabmal geschaffen, am Anfang des linken Seitenschiffs prominent gegenüber jenem für Michelangelo und Dante. Also hatte sich der Konflikt zwischen Galilei und der Römischen Kirche aufgelöst?

      Die bekannte Enzyklopädie der Aufklärung, die »Encyclopédie« von Diderot und d’Alembert, hat in ihren 35 Bänden zwischen 1751 und 1780 kein eigenes Stichwort für Galilei (im Gegensatz zu »Copernic« und »Kepler«), erwähnt ihn unter »Astronomie« und nennt ihn »le grand Galilé«, aber macht kein Aufhebens von seinen Inquisitionsprozessen. Auch ein knappes Jahrhundert später berichtet ein deutsches »Conversations-Lexikon zum Handgebrauch« (Leipzig, 1846) ohne Aufregung: »Da diese (Galileis) Entdeckungen die Eifersucht u. den Unwillen der heftigen Aristoteliker erregten, (und) wegen der Behauptung, die Erde drehe sich um die Sonne, musste (G.) d. Strenge der Inquisition fühlen. Noch lauter erhob sich die Stimme der Ketzerei gegen ihn, als er 1632 seine ›Gespräche über die zwei größten Systeme, das Ptolomäische u. Kopernikanische‹ herausgab, worin er die Gründe beider Systeme vorträgt, ohne dass er sich für eins entscheidet, obschon seine Hinneigung zu dem Kopernikanischen nicht zu verkennen ist. Vor die Inquisition zu Rom gefordert, musste er seine Lehre abschwören …« Da geht es nur als Kuriosum durch, dass erst 1822 ein Kleriker, der Kanoniker Giuseppe Settele, die kirchliche Druckerlaubnis für ein Buch mit dem heliozentrischen System als bewiesen erhielt.

      FORTSCHRITTSGLÄUBIG UND RELIGIÖS-MODERN KONSERVATIV UND REAKTIONÄR

      Man lebte gleichsam mit einem theologischen (populären, alltagstauglichen) Geozentrismus – der Fortschritt wurde dadurch nicht aufgehalten – und einem wissenschaftlichen (elitären) Heliozentrismus. Es war weniger die vielbeschworene Aufklärung, die nun im 18. Und 19. Jahrhundert den Widerruf Galileis im fernen Jahr 1633 der Kopernikanischen Wende – was war seitdem nicht alles gewendet worden! – als Skandal empfand. Vielmehr gerieten die jeweils moderne Gesellschaft und die dem Traditionellen verhafteten christlichen Gemeinschaften, doch vor allem die Römische Kirche, immer mehr in Gegnerschaft. Sie suchten ihre Stellung wechselseitig zu sichern, durch vielerlei Mittel, durch Propaganda und Macht, durch Bündnisse mit den Mächtigen, durch Angriffe auf den Gegner. In der Französischen Revolution (1789) brach das Ancien Regime zusammen, die enge Verbindung zwischen Thron und Altar verlor ihre Selbstverständlichkeit. Napoleon degradierte in großem Stil Kirche und Religion zu nützlichen politischen Herrschaftsmitteln. Im Rückpendel sahen die Päpste in den revolutionären modernen Parteien und ihren Anhängern Feinde. Die Römische Kirche suchte ihr Heil politisch in der Restauration mit konservativen Staaten und ideologisch im Bund mit reaktionären Kräften.

      • Pius VII. (1742, 1800–1823) ist in den Napoleonischen Stürmen über Europa zu diplomatischer Klugheit gezwungen; das Papsttum wird für seine Festigkeit als moralische Autorität

Скачать книгу