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der Erde, wird ebenso wie die Vielfalt der Ökosysteme durch den Menschen so massiv beeinträchtigt, dass eine Million Arten bedroht sind und schätzungsweise jeden Tag 70 bis 200 Arten verschwinden (vgl. IPBES 2019). Dies ist selbst angesichts der Vielzahl an Arten – geschätzt sind ca. 2 Millionen entdeckt (Biozahl 2006, 131 f.) – sehr hoch, dabei steht das Artensterben erst am Anfang und nimmt an Geschwindigkeit zu. Hier ist auch der Mensch selbst in seiner Ernährung betroffen, weil die Arten- und Genverluste auch die Vielfalt von angebauten Pflanzen und die ökologische Balance, die sich über lange Zeiträume der Evolution herausgebildet hat, grundsätzlich gefährden (vgl. auch Lovejoy & Hannah 2019).

      Wie lange weiß die Menschheit schon von dieser Gefährdung? Besonders auf dem Feld der Ökonomie, hier in Verbindung mit Fragen eines sozialen Wandels hin zu maschinell und später industriell produzierenden Gesellschaften, wurden Fragen der Nachhaltigkeit bereits seit dem 18. Jahrhundert thematisiert. In der politischen Ökonomie bei Adam Smith, John Stuart Mill, David Ricardo und Thomas Robert Malthus wurde angesichts der ersten Auswirkungen der Industriellen Revolution problematisiert, inwieweit es Grenzen des ökonomischen und demographischen Wachstums gibt. Dabei standen Fragen der Wechselbeziehungen zwischen Wohlstandsentwicklung, sozialer Gerechtigkeit und den Gefahren einer Überbevölkerung im Fokus der Analysen. Da sich die damaligen Thesen eines Untergangs der Gesellschaften durch Überbevölkerung aber nicht bewahrheiteten und der Agrarsektor durch verbesserte Methoden deutlich mehr produzieren konnte als zunächst gedacht, trat eine lange Phase des Vergessens nachhaltiger Problemlagen ein. Es dominiert seither mit der stetig wachsenden Ausbreitung des Kapitalismus ein Fortschrittsglaube, der sich über lange Zeiträume in tatsächlichen Zuwächsen im Wohlstand für die meisten Menschen bewahrheitet. Dieser Wohlstand ist aber sowohl innerhalb der Nationen unterschiedlich verteilt, was stets die Frage nach sozialer Gerechtigkeit aufwirft, als auch zwischen den Nationen sehr unterschiedlich entwickelt, was den reicheren Ländern durch Kolonialisierung und Ausbeutung deutliche Gewinne und den armen Ländern schlechte Ausgangslagen einbrachte, die bis heute fortwirken. Die Idee des Fortschritts aber vermag es, als umfassende Ideologie der Herausbildung der Wohlstands- und Überflussgesellschaften sowohl die Fragen einer grundsätzlichen Erneuerung des Kapitalismus in Richtung von mehr sozialer Gerechtigkeit als auch ein Umdenken im Blick auf die Natur und Umwelt zu verdrängen.

      In der gegenwärtigen Ausgangslage herrschen drei Wohlstandsstrategien vor:

      Erstens benötigt die Wirtschaft freie Märkte, sie kümmert sich um Gewinnsteigerungen, Ausbreitung der Gewinnchancen und verbreitet die Illusion, dass auch die Armen etwas vom Reichtum der Gewinner abbekommen (trickle down effects). Die Natur sieht sie vorrangig als einen Bereich, der zur Verfügung steht und den man bewirtschaften kann, aber nicht sonderlich schützen muss.

      Zweitens wird erwartet, dass wissenschaftlich-technologische Strategien immer weiteren Wohlstand und Sicherheit der Menschen garantieren. Es hat sich die selbstverständlich scheinende Ansicht herausgebildet, dass der Fortschritt auch relativ unabhängig von der ökonomischen oder ökologischen Sphäre durch Innovation, Wissenschaft und die Intelligenz des Menschen vorangetrieben werden kann. Die Natur wird vorrangig als ein Bereich erforscht, der den Menschen nützlich sein kann.

      Drittens wird es als eine Aufgabe der Politik gesehen, diese beiden Wohlstandswirkkräfte miteinander zu koordinieren, auszubalancieren und zu stimulieren. Natur oder Umwelt kommen dabei erst dann in den Blick, wenn die Zeichen einer Krise nicht mehr zu übersehen sind.

      Der Begriff der Nachhaltigkeit, zuerst von Carl von Carlowitz Anfang des 18. Jahrhunderts geprägt, um zu verdeutlichen, dass in der Forstwirtschaft nicht mehr Bäume abgeholzt werden sollten als nachwachsen, hat heute eine globale Dimension gewonnen. Erst mit der Veröffentlichung der berühmten Studie des Club of Rome 1972 rückte Nachhaltigkeit im heutigen Sinne in das Blickfeld der breiten Öffentlichkeit, obgleich es schon vorher hinreichend Signale für die Auswirkungen der gesellschaftlichen und vor allem ökonomischen Entwicklungen in Bezug auf die Biosphäre gab. Zu nennen wären nur die Atombomben und Atombombenversuche, Ölschäden durch Tankerunglücke, Boden- und Klimaschäden durch Urwaldabholzungen, der Einsatz von Pestiziden, der starke Verbrauch von Ressourcen, die zukünftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen werden, und viele andere mehr.

      Nachhaltigkeit meint seither insgesamt den Umstand, dass in einer Welt des zunehmenden Konsums bei enorm gestiegener Weltbevölkerung – für viele eine Welt des Wachstums mit steigendem Wohlstand, Zunahme der Konsumgüter und eines Überflusses –, eine Balance gefunden werden muss zwischen allen Entwicklungen, die Menschen anstoßen und betreiben, und den Wirkungen, die diese auf die Umwelt und für die Zukunft haben.

      Es ist ein unerfüllter Wunschtraum geblieben, dass alle menschlichen Handlungen in Harmonie oder jedenfalls in Beachtung von schädlichen Folgen zwischen Umwelt, Natur, anderen Lebewesen und den menschlichen Bedürfnissen und Wünschen auf eine lebenswerte Zukunft stehen. Als Kriterium gäbe es hier die Annahme, dass Nachhaltigkeit daran bemessen werden kann, inwieweit die globalen Bedürfnisse der Gegenwart es auch zukünftigen Generationen noch erlauben werden, ihre eigenen Bedürfnisse nach hohen qualitativen und sozialen Maßstäben leben zu können.6 Oder auf den Punkt gebracht: Ermöglichen wir zukünftigen Generationen ein Leben, das auch unseren Maßstäben von Lebensqualität genügen würde, oder hinterlassen wir ihnen eine geschädigte, schwierige, so eingeschränkt bewohnbare Welt, dass sie uns dafür verachten und hassen müssen?

      Nachhaltigkeit ist vor diesem Hintergrund keineswegs nur eine Frage der Abkehr von fossilen Brennstoffen, so wichtig die CO2-Problematik zur Begrenzung des Klimawandels in der Gegenwart auch ist. Heute geht es um sehr viele Bereiche und Felder der Nachhaltigkeit, die alle eine eigene Dynamik entfalten. Die Idee der Nachhaltigkeit ist ein Konstrukt, das zwar einer Sorge um die Natur, Ökologie und Umwelt gilt,7 in dem aber die Sorge um die Menschheit, auch die Fürsorge um die Zukunft der Menschheit, im Zentrum steht. Wenn die Menschheit sich verpflichtet, für Nachhaltigkeit einzutreten – für die Umsetzung gibt es Empfehlungen der UN (Vereinten Nationen)8 – dann wird ein normatives Gebot erzeugt, dem sich alle verpflichten müssten: »Handle stets so, dass die Folgen deines Handelns nicht zum Schaden der Menschheit und der Umwelt in der Zukunft sind.« Allerdings müssten solche Empfehlungen, selbst dann, wenn sie eine Zustimmung durch Regierungen in der UN erfahren, immer auch in lokales Recht und konkrete Anwendungen übersetzt werden, um nachprüfbare Wirkungen zu erzielen.

      Angesichts der weltpolitischen Lage, in der Länder wie die USA aus dem Klimaabkommen aus vorrangig wirtschaftlichen Interessen ausgetreten sind, erscheint es als sehr schwierig, die ohnehin eher formalen Bekenntnisse der UN in die Tat umzusetzen und tatsächlich mit Konsequenz umfassend zu verfolgen. Selbst ein Land wie Australien, das durch große Flächenbrände verwüstet wurde – das also unter den Klimafolgen bereits jetzt stark leidet –, tut sich 2020 immer noch schwer, die Kohleproduktion zu beschränken und nachhaltiger zu wirtschaften. Nachhaltigkeit besteht bisher nur aus Empfehlungen, die gedeutet, ausgelegt, verwässert, dann auch missdeutet und verfehlt werden können. Alle Klimakonferenzen dienen bisher eher der Beruhigung, die medial umfassend besprochen und verbreitet wird, sie sollen zeigen, dass die Politik sich bewegt und etwas tut, währenddessen beispielsweise der CO2-Ausstoß Jahr für Jahr weiter anwächst und alle gesetzten Klimaziele weit unterboten werden. Der Klimawandel ist ein verzwicktes Problem voller Widersprüche, wie beispielsweise Incropera (2016) umfassend herausarbeitet.

      Wenn der Begriff der Nachhaltigkeit als Ausdruck einer ersten Sorge um die Natur und Umwelt entstanden ist, so zeigte sich recht schnell, dass der Mensch nicht nur mit Verpflichtungen das Problem angehen konnte. Dies liegt daran, dass der Mensch sich durch seine eigene Lebensweise Bedingungen geschaffen hat, die es ihm nicht einfach möglich machen, sich vorbehaltlos für Nachhaltigkeit zu entscheiden. Der Mensch als Teil der Natur steht so aus dieser Natur heraus, dass er zu einer Bedrohung der bisherigen Entwicklungsgrundlagen auf der Erde geworden ist. Nun könnte man spitzfindig argumentieren, dass der Mensch als Teil der Natur eben auch die Natur in neuen Formen hervorbringt: Worin also soll das Problem liegen?

      Meines Erachtens liegt es darin, dass sich der Mensch als Naturwesen deshalb gegen die Natur stellen kann, weil er zugleich ein von der Natur zunehmend entkoppeltes

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