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können, wenn nicht müssen.

      Einen sehr plausiblen Ansatz wählen Johann Rockström et al. (2009), wenn sie statt von immer neuen Möglichkeiten von den planetaren Grenzen sprechen (siehe auch Stockholm Resilience Centre 2009). Aus dieser Sicht hat die Menschheit den Bereich der sicheren Grenzen, die noch zu handhaben sind, bereits in vier Bereichen überschritten: in dem des (1) Klimawandels, (2) der Artenvielfalt, (3) der Landnutzung und (4) bei den globalen Phosphor- und Stickstoffkreisläufen. In dieser Modellierung werden nicht einfache lineare Entwicklungen beschrieben, sondern es wird die exponentielle Entfaltung des Wandels zugrunde gelegt. Die Grenzen sind durch Kipp-Punkte bestimmt, deren Überschreiten irreversibel ist, was ausdrückt, dass die dann folgenden Ereignisse nicht mehr mit alten Mitteln beherrschbar sind.

      Für die planetaren Grenzen haben Steffen et al. (2015) eine gute bildlich aufbereitete Darstellung der rasanten Veränderungen, die zu Kipp-Punkten führen, erstellt. Sie beschreiben eine große Beschleunigung der Risikofaktoren (vgl. dazu Schaubild 3 weiter unten). Umfassender ist die Darstellung in Incropera (2016), die ich als umfassendere Einführung empfehlen möchte. Als Entschleunigung der Risiken versuchen unterschiedliche Länder und Organisationen mittels Normen, Siegeln, Ratings und Rankings (vgl. Dahm 2019, 127 ff.) eine Ordnung in das Wirrwarr von Gegenmaßnahmen zu bringen, was jedoch bisher eher Selbstverpflichtungen auf einem zögerlichen Weg der Veränderung zu mehr Nachhaltigkeit in groben Bekenntnissen als einen radikalen Wandel im Denken und Handeln ausdrückt (für die deutsche Situation siehe auch den Monitoringbericht 2019). Die hohe mediale Präsenz des Themas scheint eine Handlungsfähigkeit der Menschheit auszudrücken, aber die realen Umsetzungen zeigen, dass es sich letztlich bisher um unzureichende Lippenbekenntnisse handelt.

      Ziehen wir ein Fazit: Nachhaltigkeit wird als Begriff durch die Konventionen vieler Gruppen mit unterschiedlichen Interessenlagen festgelegt. Die UN bestimmt dabei sehr stark über den allgemeinen Diskurs in einem Kompromissmodell mit, das sowohl eine »gewisse« Nachhaltigkeit als auch weiteres Wirtschaftswachstum umfassen soll. Hinter all diesen Konventionen und Konstruktionen stehen unterschiedliche Interessen von Menschen, die bereits bei der Erfassung des Problems bestimmte Horizonte von Lösungen vor Augen haben. Menschen haben Wünsche nach Wohlstand, haben bisher die Natur immer als Verfügungsrahmen und weniger als eigenständigen, verletzlichen Teil von Welt gesehen, sie haben je nach Land und Lebenslage mehr oder weniger, oft auch fast keine finanziellen Mittel, um mehr Rücksicht auf die Natur und das Leben anderer Lebewesen, selbst nicht dasjenige anderer Menschen zu nehmen. Die UN erarbeitet Konventionen zu einer besseren Nachhaltigkeit in schwierigen Abstimmungsprozeduren, aber dabei gehen in die Konstruktion immer schon viele Kompromisse aus bereits gemachten und vor allem erwünschten Voraussetzungen ein.

      Wenn Ekardt (2011, 51) solche Konstruktionen von den eigentlichen Inhalten der Nachhaltigkeit unterscheiden will, Inhalten, die nicht konstruiert, sondern faktisch sind, die die ungeschönten Tatsachen der Natur- und Weltzustände dokumentieren, dann macht er auf folgenden Umstand aufmerksam: Trotz aller Sprachspiele, die Menschen in ihren Wirklichkeits- und Wahrheitsdefinitionen erproben, bleibt immer ein Reales, das trotz oder auch entgegen solcher Sprachspiele besteht. Betrachtet man es so, führt der Klimawandel tatsächlich zu Klimakatastrophen. Diese Kränkung durch das Reale muss die Nachhaltigkeitsdebatte hinnehmen, denn neben all den Wünschen und Meinungen gibt es Auswirkungen, die dieses Reale betreffen, die zumindest aus wissenschaftlicher Sicht zu leugnen immer weniger Sinn macht. Aber gerade die gegenwärtige Nachhaltigkeitsdebatte zeigt, wie sprachlich auslegbar selbst Fakten sind und wie kulturell unterschiedlich das Phänomen der Nachhaltigkeit angegangen und aufgefasst wird. Die wissenschaftliche Expertise selbst ist ihrerseits auch nicht frei von Beeinflussungen und Auftragsforschung. Selbst wenn den Menschen das Wasser bis zum Hals steht – um es in einem Bild auszudrücken –, diskutieren sie immer noch über die besseren oder schlechteren Boote, die zur Verfügung stehen. Warum das Wasser gestiegen ist, das kümmert sie angesichts der gegebenen Herausforderung schon gar nicht mehr.

      Es wird bereits nach dieser kurzen Einführung in die Begrifflichkeit deutlich, dass es einer Fokussierung bedarf, wenn sich die Diskussion nicht in unendlichen Debatten und Streitereien verlieren soll. Dabei geht es um die grundsätzliche Perspektive, die wir einnehmen wollen, wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen. In diesem Fokus scheinen zwei Perspektiven wesentlich zu sein, sie betreffen Zeit und Raum (vgl. auch Ekhardt 2016, 53):

      (1) Nachhaltigkeit bedeutet eine Generationenperspektive. Es geht weniger um den Wohlstand und die Entwicklung der Gegenwart, sondern vielmehr darum, was folgenden Generationen hinterlassen wird und welche Lebenschancen dadurch in der Zukunft bestehen. Die Grundfrage lautet: »Welche Auswirkungen hat unser Handeln auf zukünftige Generationen?«

      (2) Nachhaltigkeit benötigt eine globale Perspektive. Alle Aspekte der Nachhaltigkeit finden nie nur im Lokalen, nie nur räumlich begrenzt statt, sie kennen keine menschlich gemachten Grenzen und Schlagbäume, sondern haben globale und räumlich planetare Auswirkungen. Die Grund frage lautet: »Welche Folgen hat unser lokales Handeln für globale Wirkungen?«

      Wissenschaftlich hat die Menschheit hinreichend Fakten und Wissen gesammelt, um den gegenwärtigen Zustand als eine große Nachhaltigkeitskrise beschreiben zu müssen. Im letzten Abschnitt wurden mehrere Kipp-Punkte in unterschiedlichen Bereichen – ausgelöst durch menschliches Handeln – herausgearbeitet, die dies deutlich machen können. Es gibt sehr unterschiedliche Beschreibungen dieser globalen Herausforderungen. Sie sind global, weil sie alle Länder, alle Menschen, den gesamten Planeten betreffen. Aber sie lassen sich sowohl eher zusammenfassend als auch im Detail beschreiben. Ich wähle hier einen zusammenfassenden Weg, weil es bereits hinreichend gelungene Analysen zu den nachfolgenden Bereichen gibt, so dass meine knappe Beschreibung nur dazu dienen soll, den Horizont der Herausforderungen zu Beginn meiner Argumentation zu verdeutlichen. In den folgenden Kapiteln des Buches wird es dann um die wesentlichen Denk- und Verhaltensweisen gehen, die die Menschen sich sowohl historisch als auch durch den vorherrschenden Kapitalismus angeeignet haben – siehe dazu insbesondere den zweiten Band – und um die Frage danach, inwieweit diese bestimmen, wie und ob wir die Herausforderungen der Nachhaltigkeitskrise annehmen und was nötig wäre, um uns zu einer Veränderung unseres Handelns zu bewegen.

      Schaubild 2 zeigt in einem vereinfachten Überblick, welche wichtigen Aspekte aus meiner Sicht zu beachten sind, wenn heute von globalen Herausforderungen in Hinblick auf die Nachhaltigkeit gesprochen wird.

       Schaubild 2: Aspekte gegenwärtiger globaler Herausforderungen

      Seit dem 20. Jahrhundert gibt es Massenvernichtungswaffen, die auf einen Schlag nahezu alles Leben auf dem Planeten vernichten können. Soziale Ungerechtigkeit treibt Menschen in Hunger, Armut und Verelendung, sie erzeugt Konflikte und Kriege, die immer zur Definition von Zukunft beitragen. Gleichzeitig hat die Bevölkerungsdichte weltweit so stark zugenommen, dass bei wachsender Globalisierung Vertreibung, Flucht und Migration stets übergreifende Ereignisse sind, die nicht mehr allein lokal stattfinden. Auch wenn die Welt globaler geworden ist, so ist sie nach wie vor durch Nationalismus und zahlreiche Abgrenzungen der Länder gegeneinander geprägt. Kriege und Konflikte sind eine treibende Kraft geblieben, um im Kampf um Ressourcen, Überlegenheit, religiöse Doktrinen und ideologische Rechtfertigung Macht zu gewinnen und auszuüben. Der Kapitalismus mit seiner Gier nach Gewinnen um jeden Preis führt nicht nur zu immer mehr sozialer Ungerechtigkeit, sondern treibt zugleich alle anderen genannten Aspekte mit an und trägt mit seinem Hunger nach Energien und Ressourcen entscheidend zum negativen Fußabdruck bei. Das wirtschaftliche Wachstum macht dabei Erfolge bei der CO2-Einsparung schnell wieder zunichte. Ökonomische Blasen, zu denen ein exponentielles Geldwachstum und Immobilienblasen gehören, tragen dazu bei, dass sich Krisen verstärken und der negative Fußabdruck mit voller Kraft angetrieben wird. Nicht nur in den Klimaveränderungen an sich zeigt sich die Krise der Nachhaltigkeit, all die aufgeführten

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