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dass es sich als schwierig erwiesen hat, in komplexen Fragen mit sehr vielen Variablen, deren Lösungen immer nur in Aussagen über Wahrscheinlichkeiten liegen kann, genaue Zeitangaben mit exakten Prognosen zu machen (vgl. etwa Detten et al. 2013). Insbesondere Klimaleugner ziehen hieraus einen Profit, aber auch Fortschrittsanhängerinnen mutmaßen, dass es genügend »Fakten« für eine zwar nicht heile, aber sichere und lebenswerte Gegenwart gebe, die allein durch Fortschritt gerettet werden könne (Norberg 2016). Daraus wird dann gern geschlossen, dass alles besser sei, als wir bisher annehmen (Rosling et al. 2018), oder dass die westliche Vernunft mit ihrer Aufklärungsidee uns die Hoffnung gebe, es immer schaffen zu können (Pinker 2018).

      Nachhaltige Entwicklung ist im Gegensatz zur Nachhaltigkeit als Konzept und Konstrukt stark vom Feld der Ökonomie bestimmt, die Entwicklung (auch der genutzten Natur) und Wachstum (insbesondere der Wirtschaft und des Profits) stets als Einheit denkt. Wenn im Sinne der global goals der UN von nachhaltiger Entwicklung gesprochen wird, muss deshalb gefragt werden, was denn genau entwickelt werden soll.10 Sind es die Grenzen des Wachstums, die eingehalten werden sollen, oder die Fortschritte des Wachstums, die helfen sollen, dass die Veränderungen nicht ganz so schädlich wie bisher ausfallen? Wie schädlich dürfen die Wirkungen sein, wie groß das Überschreiten der Grenzen? In welche neuen Kampfzonen wird der Schaden verschoben, damit der Wohlstand wächst und neue profitable Technologien entstehen?

      Die UN hat 17 globale Ziele, die global goals, entwickelt, die alle für sich genommen wünschenswerte Ziele der menschlichen Entwicklung innerhalb der Grenzen des Planeten darstellen. Die 17 global goals lauten (vgl. United Nations 2016):

      1.Armut beenden – Armut in all ihren Formen und überall beenden.

      2.Ernährung sichern – den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern.

      3.Gesundes Leben für alle – ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern.

      4.Bildung für alle – inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern.

      5.Gleichstellung der Geschlechter – Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen.

      6.Wasser und Sanitärversorgung für alle – Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten.

      7.Nachhaltige und moderne Energie für alle – Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern.

      8.Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle – dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern.

      9.Widerstandsfähige Infrastruktur und nachhaltige Industrialisierung – eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen.

      10.Ungleichheit verringern – Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern.

      11.Nachhaltige Städte und Siedlungen – Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten.

      12.Nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen – nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen.

      13.Sofortmaßnahmen ergreifen, um den Klimawandel und seine Auswirkungen zu bekämpfen.

      14.Nachhaltige Nutzung der Ozeane, Meere und Meeresressourcen – Bewahrung und Schutz, nachhaltige Bewirtschaftung und Sicherung der Vielfalt des Lebens.

      15.Landökosysteme schützen, um sie wiederherzustellen und ihre nachhaltige Nutzung zu fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen.

      16.Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen – friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zum Recht ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen.

      17.Umsetzungsmittel und globale Partnerschaft stärken – Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben füllen.

      Sind diese globalen Ziele nun tatsächlich Ziele oder sind es politische Wünsche? Und wie steht es um ihren inneren Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit? Die 17 global goals mögen für sich genommen alle wünschenswert sein, aber im inneren Zusammenhang werfen sie sehr kritische Fragen auf. Sie weichen der ökologischen Fragestellung immer dort aus, wo die soziale Lösung vorrangig ist, aber in ihren ökologischen Folgen nicht weiter thematisiert wird. Was würde es ökologisch bedeuten, wenn wir die Armut bis 2030 abschafften? Welcher Konsum, welche Schäden durch Massen von Menschen würden entstehen, wenn die ehemals Armen auch so leben wollten wie diejenigen, die die großen ökologischen Schäden angerichtet haben? Werden diese Fragen von denjenigen gestellt, die jetzt schon in reichen Ländern leben, müssen sie zynisch wirken. Denn wer kann denen eine Teilhabe verwehren, deren Konsumfreiheiten erst jetzt beginnen – die endlich auch kaufen, reisen, im Überfluss leben wollen? Viele der 17 globalen Ziele setzen auf einen Entwicklungsfortschritt, der ökonomisch hoffnungsfroh und sozial wünschenswert ist, aber ökologisch nicht in den Wechselwirkungen durchdacht wird.

      Die gewünschte Transformation ist komplexer, als es sich in globalen Zielen ohne Wechselwirkung darstellen lässt. Chabay (2020, 153) nennt drei Gründe, die nachhaltige Entwicklungsziele (sustainable development goals – SDGs) schwierig machen:

      Erstens repräsentieren die SDGs ein Bündel kritischer Fragen und Probleme, die hochgradig miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. Sie lassen sich nur aus Veranschaulichungsgründen in einzelnen Segmenten darstellen, sind in der Praxis aber nur ganzheitlich und mit systemischen Modellen zu erfassen. Ihre Auflösung benötigt ein ganzheitliches Vorgehen und Verständnis.

      Zweitens unterstellen die Ziele immer schon, dass die sozio-ökonomische Realität des gegenwärtigen Kapitalismus die einzige Grundlage für eine Lösung darstellt, ohne hinreichend zu diskutieren, an welchen Stellen dies selbstwidersprüchlich wird und wo und wie dabei gegengesteuert werden könnte. Hier zeigt sich der Kompromisscharakter der UN-Strategie und der Durchsetzungscharakter ökonomisch starker Länder.

      Drittens bleibt die politische Struktur der Unterzeichnerländer der Ziele außen vor. Zwischen diesen politischen Regierungen – zwischen Demokratien und autoritären Regimen – muss es aber zwangsläufig zu Widersprüchen zwischen nationalen und globalen Zielstellungen, Zugehörigkeiten in Besitzverhältnissen und Wohlstandserwartungen und Verpflichtungen gegenüber dem Planeten und seinen Grenzen kommen. Die Frage danach, wie eine nachhaltige Politik gelingen kann, erscheint als eine Grundfrage, die in der Umsetzung der SDGs als Spannungsverhältnis zwischen schönen Zielen und wünschenswerten Erzählungen im nationalen Kontext und tatsächlichen Taten und deren Wirkungen für Verzicht und Veränderungen erfahren wird.

      Vor diesem Hintergrund scheint es mir sinnvoll, von einem Lernen für Nachhaltigkeit (learning for sustainability – LFS) zu sprechen, um zweierlei auszudrücken: Einerseits sind alle Menschen als lernende Wesen in allen Altersgruppen betroffen, so ist es nicht allein Aufgabe der Erziehung, für Nachhaltigkeit zu sorgen (Jucker 2014, 2). Andererseits wird der Entwicklungsgedanke, der immer mit kapitalistischem Wachstum verbunden ist, nicht schon in die Definition der Nachhaltigkeit eingeschlossen, weil wir offener auf das Problem schauen müssen (Strachan 2012, 6).

      Eine sozial-ökologische Transformation, die mit einer nachhaltigen Entwicklung intendiert wird, ist deshalb so anspruchsvoll,

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