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stark von der natürlichen Welt abhängig, in der sie leben. Ihre Beziehung zur jeweiligen Umwelt bestimmt über den gesellschaftlichen Entwicklungsprozess die Einstellungen, Haltungen und Erwartungen, sie treibt an, was in einer Gesellschaft und Kultur für wertvoll, relevant und unverzichtbar angesehen wird. Bereits von dieser Ausgangslage her reagieren die Menschen sehr unterschiedlich auf den notwendigen Transformationsprozess angesichts der planetaren Grenzen.

      Diese Grenzen werden dabei immer wieder in den Dimensionen der Ökologie, der Ökonomie und des Sozialen als circles of sustainability dargestellt. Das Drei-Kreis- oder Säulen-Modell wird auch in der Bildung für Nachhaltige Entwicklung in der Öffentlichkeit und den Schulen verwendet. Zwei Positionen – Fortschritt durch ökonomisches Wachstum und wissenschaftlich-technologischen Fortschritt – werden dabei unter der Hauptkategorie Entwicklung vereint. Vielfach wird in den Diskussionen seither vergessen, dass es sich um ein politisches Konstrukt handelt, das in Kompromissen in diese Form gegossen wurde. Zudem wird die Entwicklung in den drei Säulen Ökonomie, Soziales und Ökologie oft eher statisch und abgegrenzt dargestellt. Im Grunde geht es um eine Konstruktion, die Perspektiven benennt, Wirkfaktoren in sehr allgemeiner Art identifiziert, die allenfalls als systemische Bestandteile eines komplexeren Wirkungszusammenhanges betrachtet werden können. Ich will sie in einem eigenen Schaubild in Kreisformen kurz zusammenfassen (siehe Schaubild).

      Dort, wo die drei Kreise sich überschneiden, müsste Nachhaltigkeit stehen. Aber die so konfigurierte Ordnung des Diskurses der Nachhaltigkeit ist trügerisch, sie ist schon in der UN ein Kompromiss. Das Drei-Kreise-Modell, das 2002 in Rio vom World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) eingeführt wurde, ist deshalb problematisch, weil es von vornherein Ökonomie und Ökologie als scheinbar gleichwertige Bedeutungssysteme anführt, obwohl de facto die Ökologie ein Subsystem der Ökonomie geblieben ist (Jucker 2014, 3). Dieser Kompromiss wird immer wieder neu beschworen, weil viele Menschen heute durch die schon länger geführten Debatten glauben, dass die drei Hauptwirkfaktoren tatsächlich die entscheidenden und dann auch noch gleichwertig seien. Auch in meinen Kreisen scheinen diese Perspektiven in gewisser Harmonie zueinander zu stehen, und nur sie scheinen bedeutsam zu sein. Aber stimmt das so?

       Schaubild 1: Wirkfaktoren in der Nachhaltigkeit

      Allevato (2018, 12) meint, dass in einer solchen Vorstellung immer schon ein anthropozentrisches, ein menschliches Vorurteil steckt, weil es die Natur nur aus der Perspektive der menschlichen Handlungen und Machbarkeitswünsche erfasst. Auch Dhiman (2018) betont, dass wir zunächst den negativen Fußabdruck, den wir in der Welt hinterlassen, begreifen müssten, was für ihn vor allem bedeutet, eine ganzheitliche Sicht auf die Welt einzunehmen und nicht immer alles gleich menschlich nutzbar zu machen und in Geschäfte verwandeln zu wollen. Auch wenn etliche Autoren wie etwa Griggs et al. (2013) den Schutz der Erhaltungssysteme der Erde vor Augen haben, so gehen die meisten bei den Lösungen gleichzeitig immer noch von der ökonomischen Machbarkeit aus. Wenn diese gefährdet ist, scheinen alle Strategien sinnlos zu sein.

      Im Gegensatz zu den Wunschvorstellungen ist die Perspektive der Ökonomie aber sehr oft ein Ausdruck der immer wieder nicht mit der Ökologie zu vereinbarenden Perspektive auf Wachstum, die durch menschliche Selbstsucht, Gier und Kostenvermeidung das Problem der Nachhaltigkeit erst entstehen lässt. Alle Lobbyisten der Welt schreien: Nachhaltigkeit ja! – aber doch nur, wenn die wirtschaftliche Entwicklung gesichert bleibt. Der Hauptfeind solcher Entwicklung sind Kosten – aber kann es Nachhaltigkeit ohne Kosten für die Entwicklung geben, und wer soll sie dann am Ende tragen?

      Es ist zu bezweifeln, dass die drei Kreise ausreichen, um das Problem hinreichend zu erfassen und weitreichend genug zu begreifen. Ein schlüssiges Modell müsste die Grundfrage stellen, welche Schädigungen eine stets wachsende Ökonomie für die Ökologie bedeutet. Die Ökonomie müsste in diesem Sinne einen Fokus darauf richten, welche Kosten sie wie aufbringen will, um die Schädigungen zu beseitigen. Dies würde ein gänzlich neues Bepreisungsmodell erzeugen. Die entscheidende Frage müsste dann lauten: Wie viel davon müssen die Produzenten bezahlen, die an ihren Waren verdienen, und wie viel die Konsumenten, die sie nutzen?

      Stattdessen wird das Drei-Kreis-Modell bisher eher ergänzt und erweitert. Umwelt, Ökonomie und Soziales werden um einen Vier-Kreise-Ansatz erweitert, der die Bereiche ökonomische, ökologische, politische und kulturelle Nachhaltigkeit (Meireis & Rippel 2019) benutzt. Insbesondere in der Agenda 21 wird die kulturelle Dimension als vierte Kraft identifiziert. Das Soziale wird dabei in der Übersetzung ins Politische erhalten, aber es wird auch deutlich gemacht, dass soziale Fragen politisch entschieden werden. Andererseits wird auch diskutiert, dass alle vier Bereiche eine soziale Dimension darstellen, weil sie immer soziale Fragen enthalten.

      Es ließen sich mit guten Gründen weitere Perspektivmodelle – besser als Kreise sind dynamische Modelle – bilden, um das Feld der Nachhaltigkeit näher zu erfassen und seine Bestandteile zu bestimmen. Zu bedenken ist, dass alle Kreis- oder Dimensionsansätze stark von der Systemtheorie bestimmt sind, die Mechanismen und Wirkungsweisen jeweils einzelner Systeme gesondert fokussiert, wobei aber in der Realität all diese Teile immer konkret miteinander in Beziehung stehen. Um dies annähernd zu erfassen, sind komplexe und komplizierte Modelle und Überlegungen notwendig. Meinen Beobachtungen nach verlieren sich alle Nachhaltigkeitskonferenzen in eben diesen Komplexitäten und der Streit geht dann oft um Details, wobei leicht die größeren Zusammenhänge und Bezüge zu realen Vorgängen und bereits vorhandenen Bedrohungen verloren gehen.

      Die von der UN gewählten Ansätze vermeiden allerdings ohnehin die systemtheoretischen Zusammenhänge und komplexen Ableitungen, sie sprechen von spezifischen Zielen, wie sie in den 17 globalen Zielen der Agenda 2030 zusammengefasst sind. Die Menschheit benötigt zur Erfassung der Nachhaltigkeit, so ließe sich dies interpretieren, eher Listen als komplexe wissenschaftliche Modelle und Abhandlungen über Wechselwirkungen, um sich einen Überblick und eine einfache Orientierung zu verschaffen.

      Solche Ziele der Nachhaltigkeit sind dann meist sehr allgemein gehalten, die Indikatoren, an denen sie bemessen werden können, sind sehr offen – als Ausdruck der Abstimmungsprozeduren, die ihnen zugrunde liegen –, so dass davon gesprochen wird, wie die Ziele in das bisherige Leben integriert, wie sie mit wirtschaftlichen Zielen ausbalanciert oder schlichtweg nur für das Leben überdacht werden können (Purvis et al. 2019, 690). Sowohl in den Kreis- oder Säulenmodellen als auch bei den globalen Zielen bleibt jedoch überwiegend unklar, wo genau es in der Entwicklung Abstriche und Verzicht geben muss, wo es bereits verfügbare wissenschaftlich-technologische Fortschritte – von denen alle sprechen, aber kaum jemand wirklich etwas weiß – für einen massenhaften und bezahlbaren Einsatz gibt. Außerdem, wo es eine Entwicklungspause geben muss, bis diese Fortschritte weniger umweltschädliche Lösungen erlauben und welche Einschnitte Regierungen ihrer Bevölkerung überhaupt zumuten können, ohne gleich wieder abgewählt zu werden. Die jeweilige Prognose der erreichten und erreichbaren Nachhaltigkeit hängt vor diesem Hintergrund sehr stark vom Optimismus der Betrachtungsweise ab, und dieser ist heute noch so ausgeprägt, dass nur zögerlich Konsequenzen gezogen werden, die schädliche Handlungen beschränken oder gar verbieten würden. Es bedarf einer neuen Ehrlichkeit: »Was ein Übergang zu einer nachhaltigen Gesellschaft erfordert, ist eine systemische und ehrliche Analyse der Nicht-Nachhaltigkeit der gegenwärtigen Situation und Lösungsvorschläge, die systemisch kohärent und mit den nicht verhandelbaren planetarischen Grenzen vereinbar sind. Die Ergebnisse können positiv oder negativ sein, je nachdem, ob jemand etwas durch sie gewinnt (höchstwahrscheinlich arme Menschen) oder verliert (höchstwahrscheinlich euro-amerikanische Verbraucher), und dies wird zweifellos die Einstellung (optimistische oder pessimistische Aussichten) beeinflussen.« (Jucker 2014, 3)

      Ein anderes Modell nach Thomas (2016) schlägt vor, die vier Bereiche durch sieben Modalitäten zu ersetzen, die möglichst alle für sinnvoll gehaltenen Aspekte umfassen: Ökonomie, Gesellschaft (community), Berufe, Regierungen, Umwelt, Kultur, Gesundheit. Auf all diesen Ebenen kann und müsste – von einer globalen bis zur lokalen und zur persönlichen Bedeutung – Nachhaltigkeit erreicht werden. Doch wo sollen solche immer neuen Bereiche oder Aspekte enden? Hier ließen sich etwa Beteiligungsprozesse, Demokratie und

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