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Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band). Paul Scheerbart
Читать онлайн.Название Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band)
Год выпуска 0
isbn 9788075836403
Автор произведения Paul Scheerbart
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Jetzt kommt ein Stern ganz nahe vorbei!« rief die Liwûna.
Und es schwebte durch die Luft ein Stern heran, der wie ein plumpes Ungeheuer aussah – wie ein höckriger Schlauch. Eine ungeheure, unregelmässig nach allen Seiten aufgequollene Weltenmasse – mit kurzen bunten Rüsseln – bunten Raupen ähnlich! Wie Fühlhörner bewegten sich die Rüssel. Und dicke spitze Stachel bedeckten den ganzen Leib des Sterns. Einen Kopf hatte das Vieh nicht; wo man vorn den Kopf vermuten konnte, kam weisser Dampf aus vielen Löchern hervor. Aus einzelnen Rüsseln wirbelten ebenfalls weisse Dampfwolken nach allen Seiten. Der Dampf kam stossweisse und ging schnell auseinander.
Während das Ungeheuer vorüber flog, bewegten sich seine vielen Fühlhörner, die besonders auf den Höckern sassen, sehr heftig, als wenn sie die Nähe von feindlichen Wesen witterten.
Die plumpe Schlauchmasse, die sich in der Form immerfort veränderte und zuweilen einem zerknillten Kopfkissen ähnelte, drehte sich plötzlich um sich selbst und rollte sausend schnell davon, wobei sich viel weisser Dampf entwickelte, der wieder rasch auseinander ging.
Und Kaidôh wollte wieder seine Zehen bewegen – es gelang aber nicht.
Er blickte hinunter – und – oh! – seine Füsse waren so tief, dass er sie kaum noch zu erkennen vermochte.
Kaidôh war grösser geworden – und seine Füsse und seine Zehen ebenfalls.
Er musste laut auflachen.
Doch Liwûna rief heftig aus:
»Kaidôh! Das finde ich nicht hübsch, dass du über deine Grösse lachst! Du hast doch immer grösser werden wollen! Und jetzt, da du's bist, ist es dir wieder nicht recht? Ich glaube, du bist sehr undankbar und sehr launenhaft.«
»Ich lache doch,« erwiderte Kaidôh, »nur über die Grösse meiner Fusszehen, die ich jetzt gar nicht regieren kann.«
»Die brauchst du auch nicht zu regieren,« versetzte die Liwûna, »lass dich nur von den Wandwinden treiben.«
»Was sind Wandwinde?« fragte Kaidôh, »ich verstehe nicht, was du unter Wandwinden verstehst.«
»Thu doch nicht so,« gab da die Liwûna spitz zurück, »als ob du Alles verstehen möchtest. Ich kenne dich! Sei still! Es kommen neue Sterne.« Und die kamen auch näher – es waren lauter Glassterne.
Kaidôh brummte: »Sie wird dreist!«
Die Glassterne brummten ebenfalls – nur anders. Es waren nämlich viele hohle Sterne dabei mit Löchern, aus denen seltsame dumpfe Töne in die Weltlüfte drangen.
In den hohlen Sternen leuchtete ein grünes Licht, sodass sich die verschnörkelten Formen der Glasgebilde haarscharf vom schwarzen Welthintergrunde abhoben.
Manche Sterne ähnelten aufgeblasenen Fröschen, denen die Beine verloren gingen – und andere Sterne starren Tintenfischen. Dazwischen drehten sich helle regelrechte Kreisringe, in denen viele helle Farben schimmerten. Auch schwebten in der Nähe Würfel und Oktaeder, deren Flächen glitzerten, als wären sie mit Phosphor bestrichen.
Liwûna sagte leise:
»Glaube nicht, dass das Alles Glas ist. Es sieht nur so aus.«
Und Kaidôh sah Millionen kleiner Tiere auf den Glassternen hin- und herkrabbeln.
Einzelne der Sterne funkelten so stark, dass dem Kaidôh all die Farbenspiele durcheinander gingen. Er konnte oft nicht folgen.
Drollig wirkten grosse Ketten, deren Glieder aus vielen vielkantigen blauen Säulen bestanden.
Jedoch Kaidôh bemerkte bald, dass seine Augen immer stärker wurden. Er fühlte, dass er nicht blos grösser, sondern auch anders wurde. Leider wusste er nicht, ob er Grund habe, sich über das Anderswerden zu freuen. Liwûna schwebte weitab wie ein grosser grüner Schleierstern.
Und nun tauchten smaragdgrüne Balkensterne aus dem Dunkel heraus – die waren ganz mit grünen Wäldern bedeckt, die wie dunkles Moos auf den Balken sassen und wie Smaragde leuchteten. Kaidôh konnte erkennen, dass das grüne Licht unzähligen kleinen Häusern sein Dasein verdankte; die Häuser – die reinen Glühwürmer – lagen in den Wäldern so friedlich eingebettet – wie junge Katzen in Waschkörben – wenn es dunkelt und das Katzenauge funkelt.
Die grössten Balkensterne setzten sich aus sehr vielen Balken zusammen; die kleineren Balken waren fast alle in rechten Winkeln an die grösseren geleimt. Und die vielen rechten Winkel trugen so viel Berechnetes in sich, dass man glauben mochte, sehr fein ersonnene Weltwerkzeuge vor sich zu haben. Kaidôh dachte in dieser Richtung und meinte dann zu sich selber sprechend:
»Wozu ich mir über diese Sterne den Kopf zerbreche! Man kann sich noch so sehr verändern – Etwas bleibt doch immer in uns: jene Genuss hemmende Denkerei! Aber sie wird wohl nötig sein – sonst würde man wohl öfters vor purer Seligkeit platzen.«
Doch die Gedanken waren bald verscheucht. Raketensterne sausten vorüber – fix wie Kometen – zischend und rauschend.
Wie unheimliche Feuerspinnen kamen sie angerannt – in ihren Beinen züngelten zuckende Glutquallen. Bunte Augen sassen den Raketensternen auf den Zehen. Einige Sterne ähnelten glimmenden Knochengerüsten – und andre wilden Aalen.
Sodann prasselten Feuergarben aus den Sternleibern heraus; blaue und grüne Feuertropfen flogen hinunter und hinauf. Lange gewundene Feuersäulen – Riesenfinger – bogen sich hinüber zu den blauen und grünen Feuertropfen und durchstiessen die, sodass sie wie Ringe auf die roten Feuersäulenfinger hinaufglitten.
Kaidôh fuhr oft erschrocken in die Höhe, da ihm das feurige Spinnengebein recht nahe trat.
Eine ungeheure wie Quecksilber zitternde Feuerschlange schloss den raschelnden Zug.
Der letzten Schlange sassen auch ein paar grüne und blaue Feuerringe auf dem Leibe. Dieser Leib – rotglühendes Eisen – wand sich und zuckte, als läg er in heissen irrsinnigen Fieberkrämpfen.
»Wenn man die Welt,« flüsterte Kaidôh, »nicht mehr wiedererkennt – dann ist wirklich Alles anders. Und ich erkenne diese Welt nicht wieder, denn ich habe sie noch nie gesehen. Ich erkenne mich nun auch selber nicht mehr.«
»Du wolltest doch,« fiel da lebhaft die Liwûna ein, »unter allen Umständen das Andere. Ich fühlte sogar, dass du das wolltest. Jetzt hast du das Neue und das Andere – und jetzt ist es wiederum nicht recht. Ich werde deine Wünsche bald unbeachtet lassen, denn du willst offenbar noch Etwas, von dem man sich nicht einmal im Traume eine Vorstellung machen kann. Was du sagst und empfindest, ist gar nicht wichtig für dich. Deine Gelüste sind dir selber ein Rätsel. Kaidôh fühlt nur, dass er gar nichts fühlen kann.«
»Das mag stimmen!« brummte der grosse Kaidôh.
Aber zum Weiterreden kams nicht. Unter ihnen schwebten schon wieder neue Weltgebilde – die Schalensterne in allen möglichen Muschelformen mit krummen Schnäbeln.
In den Tiefen der vielen Schalen blitzte es wie von Brillantensplittern, und bei dem Blitzen bemerkte Kaidôh unter den krausen Rändern der Sterne ein tolles Weltgewürm, das grossen wackelnden Schornsteinen nicht unähnlich schien.
Und die Trompeten- und Trichtersterne gesellten sich mit den Schneckensternen auch zu den Weltschalen.
Das ward ein mächtiges Blasen und Brummen, Getute und Geschnarre und Gepfeife.
Wie Brummkreisel drehten sich die Trichter. Die Schnecken drehten sich ganz langsam – es waren nur die Gehäuse.
Und lange Glockenketten schaukelten und wackelten wie fliegende Guirlanden mitten durch, dass die andern Schalen ausbiegen mussten.
Das dumpfe Gebrumm der Glocken klang so alt, als stäken lauter längst verfallene Welten in den Glocken.
»Hörst du,« sprach Liwûna, »mit den Glockentönen steigt wieder eine alte Zeit in dir herauf. Ja, das Neue macht