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Grün – helles und dunkles – totes Grün und ein Grün, das so voll echter Lebensgier ist. Diese grüne Welt kann ich ruhig anschauen. Das Auge wird beruhigt durch das viele Grün.

      Kleine, weisse Elephanten mit hellgrünen Libellenflügeln fliegen emsig von Pilz zu Pilz. Und es strömt überall ein scharfes Licht aus dieser grünen Pilzenwelt. Die weissen, fliegenden Elephanten krümmen drollig ihre Rüssel, als wenn sie lachen möchten. Sie lachen aber nicht – ich kanns wenigstens nicht hören. Vielleicht lachen sie innerlich – wie die falschen Narren.

      Ich wende mich ab und schwebe weiter durch eine grosse, schwarze Schlucht.

      Die schwarzen Felsen sind nur ganz matt erleuchtet. Das Licht kommt aus der Tiefe, in der sich die grünen Nebel zusammenballen wie Fäuste. Oben sind keine Sterne. Der Himmel ist so schwarz wie die Felsen.

      Ich möchte hinaus aus der schwarzen Schlucht. Liwûna will aber nicht. Sie hat jetzt ein so gelbes, glattes, hartes Antlitz, als wärs aus Elfenbein. Und sie zeigt mit der Rechten auf ein rundes Loch in der Felsenwand. Ich sehe durch und – wieder was andres.

      Da drinnen ist alles bunt und glitzernd. Eine Glanzwelt! Blumen sinds nicht, Blätter auch nicht. Es sieht aus, als seien da Milliarden Schmetterlingsflügel durcheinander geschüttelt. Es sind aber keine Flügel, denn alles scheint sehr dick zu sein. Die blauen und roten Töne sind so verschiedenartig wie die violetten und gelben. Und sie sind gleissend hell wie durchsichtiges Email, das ich so liebe. Und die Muster sind zierlich verschnörkelt mit krummen Hörnern und gekräuselten Bändern. Goldene Riesenkäfer kriechen über die Emailwälder. Die Käfer kriechen bloss nicht.

      »Suchst du immer noch?«

      Also fragt neben mir die Liwûna.

      Und ich weiss nicht, ob ich noch suche.

      Mir ist wie in einem wirren Traume. Ich habe so viel vergessen, und ich möchte doch so viel behalten. Liwûna ruft drohend:

      »Kaidôh! Kaidôh!«

      Ich schrecke zusammen und taste mit den Händen um mich, doch ich fühle nichts. Auch der schwarze Stein lässt sich nicht anfühlen; die Hände gehen ohne Empfindung durch. Ich kehre der Glanzwelt den Rücken, bewege wieder die Zehen und schiesse in die Höhe – immer höher – aber aus der schwarzen Felsenschlucht komme ich nicht raus. Plötzlich giebts einen Krach, und auf allen Seiten fällt was runter, und ich habe das Gefühl, dass alle schwarzen Felsen in die Tiefe fallen.

      Und ich blicke in eine Spiegelwelt.

      Lauter Spiegelwände! Grade und krumme Spiegel – in verschiedenen Winkeln stehen sie zu einander. Oben sind auch Spiegel kantenreich durcheinander gestellt – unten nicht.

      Ich sehe Liwûna in den Spiegeln viele tausendmal. Sie hat noch ihr Elfenbeingesicht – grüne Augen funkeln darin. Sie starrt mich an allen Ecken und Enden wie eine richtige Medusa an.

      Neben der Liwûna erblicke ich ein anderes Wesen.

      »Das ist Kaidôh!« sagt sie neben mir.

      Kaidôh sieht ernst aus und hat eingefallene Augen, die grau sind, vergrämt und ruhelos umherschweifen wie die Augen der Diebe.

      Kaidôh nickt der Liwûna zu und spricht zu ihr in all den tausend Spiegeln. Was spricht Kaidôh?

      Seine Stimme tönt hell und splitternd – es ist aber nur eine einzige Stimme.

      Er sagt langsam und hört sich dabei:

      »Das Glück ist stets in dem Andern. Deswegen müssen wir der Andre werden. Wir müssen nach dem Andern suchen. Wenn wir suchen, ohne zu wissen, was wir wollen, so suchen wir immer ein Andres – das ist das Unbekannte – das Fremde – das ist es, was wir herbeisehnen. Und wir sehnen uns nach der grossen Ueberführung. Für gewöhnlich verstehen wir uns nicht. Es ist jedoch kein einfaches Hinübergehen – wir müssen hinübergeführt werden – ins Andre hinübergeführt werden – von dem Geist, der uns immer begleitet. Das Eigene müssen wir vergessen – aus uns herauskommen – nur dadurch kommen wir in uns hinein. Eine sehr drollige Geschichte – aber auch eine sehr ernste – so schauerlich ernst wie der Unsinn, der uns als Wahrheit erscheint. In den Spiegelwelten sehen wir die Wahrheit im Unsinn und auch den Unsinn in der Wahrheit. Alles ist verzerrt und verschoben – Fratzenreich! Aber so ist immer die Welt, wenn sie sich uns von sehr vielen Seiten zeigt. Wir müssen sie im ganzen fühlen – fühlen im ganzen.«

      Liwûna führt den Kaidôh fort, streichelt seinen Kopf, der ihm weh thut – so furchtbar weh. Kaidôh weint – weint.

      Liwûna weint mit – in allen Spiegeln.

      Und sie führt ihren Kaidôh weiter durch die schwarze Schlucht, die wieder da ist – durch die schwarze Felsenschlucht, in der keine Sterne leben – in der nur ein graues Dämmerlicht heraufdringt aus der Tiefe – aus den Nebeln, die da leuchten.

      Und die Liwûna führt ihren Kaidôh hinunter in das stille Nebelreich, in dem die grossen Schläfer träumend schlafen.

      Das Reich der Schläfer ist sehr, sehr gross. Sie liegen unten unter den Nebeln mitten in der freien Luft – umhüllt von feinen, perlgrauen Schleiern. Die Nebel bilden den Himmel der Schläfer. Sie liegen neben-und untereinander – aber berühren thun sie sich nicht. Die Luft ist ihr Bettzeug. Die feinen, perlgrauen Schleier hängen schlaff wie die Zweige der Trauerbirken, einige Schleier zittern und bewegen sich, als würden die Körper von tiefen Seufzern durchzogen.

      Es schlafen da Riesen und Zwerge und Wesen mit seltsamen Gliedern, Tiere mit tausend Köpfen und Kinder mit einem Kopf, der grösser ist, als ihr Leib. Alle schlafen und träumen – einzelne schnarchen ein bischen – doch nicht zu laut. Zuweilen bewegt sich ein Fuss oder ein Arm. Lange Haare hängen an manchem Haupt – und die Haare bewegen sich – ganz wenig im Takte, wie die langen Perpendikel alter Uhren. Es ist so still im Reiche der Schläfer.

      Und die Liwûna erzählt ihrem Kaidôh von den Träumen der Schläfer, und sie führt ihn dorthin, wo Kinder und Knaben träumen. Und die Beiden legen sich über den Träumenden genau so in die Luft wie die Kinder und Knaben.

      Und leise flüstert die Liwûna:

      »Alle, die hier im Nebelreiche liegen, hatten soviel geträumt – ihr ganzes Leben hindurch. Im Traume schwebten sie durch viele Sonnen, Monde und Sterne. Dann aber kam eine Nacht, in der sie nicht mehr von all den Glanzwelten träumten. Ihre Freude am Traumleben war zerstört – von einer unsichtbaren Hand. Und die Nacht wurde finster. Sie lagen da in banger Pein, und ihnen wurde so schwer. Sie fürchteten sich auf einmal vor einer schweren Stunde; ihnen war so, als käme das grosse Schweigen heran. Und sie hatten Angst vor dem grossen Schweigen – Angst vor dem grossen Sterben. Und dann dachten sie an die ersten Jahre ihres Lebens – an Eltern, Freunde und Frauen – an Kinder und Greise – an alte Möbel und alte Stuben, die gar nicht mehr da waren, oder zerfielen, wie altes Gemäuer am Meeresstrande, wenn die grossen Wogen unaufhörlich gegenschlagen. Und die Gedanken an das Vergängliche machten so schwer; die schweren Hände wollten noch was greifen – aber sie wussten nicht, was. In der Finsternis nur bleiche Angst und Herzenskrampf.«

      Und dem Kaidôh wird zu Mute, als träume er noch einmal einen langen Kindheitstraum; in dem Traume entwickelt sich alles sehr schnell, der Träumende wird älter und anders, und empfindet zugleich, dass er das Aelter- und Anderswerden nur träumt.

      Und die Liwûna fährt leise fort:

      »Und da packte die Traurigen, als die schweren Stunden allnächtlich wiederkehrten, ein neues Empfinden an. Sie näherten sich langsam dem grossen Geiste, der überall ist – auch in ihrer Brust. In seiner Nähe fanden sie ihre alte Traumruhe wieder, und sie vergassen ihre Angst und gaben sich in der geheimnisvollen Stille der Finsternis ganz dem Grossen hin, der keinen Namen hat – der das Ewige ist – der bleibt, wenn auch alles vergeht. Ging es dir nicht ähnlich, mein lieber Kaidôh?«

      Ein paar Kinder öffnen unten ihre kleinen Fäuste und irren mit den kleinen Fingern durch die Luft.

      Kaidôh träumt noch und empfindet das Verwirrende und Erschöpfende des Traumes; er möchte aufwachen, kann aber nicht

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