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      Liwûna antwortet nicht, sie schweben schweigend neben dem blitzenden Sternschimmel weiter – langsam von einer gelben Säule zur andern.

      Es herrscht ein ziemlich dumpfes Dämmerlicht im grossen Säulenreich; das Säulenlicht ist nicht sehr stark.

      Leise sagt die grosse Liwûna:

      »Du wolltest grössere Welten sehen. Waren dir nun die Welten, die ich dir zeigte, gross genug?«

      Und Kaidôh erwidert feierlich: »Das waren sie.«

      »Aber,« fährt Liwûna fort, »deine Antwort klingt so, als wenn du mit einem neuen Aber weiter sprechen wolltest. Hast du das, was du suchtest, immer noch nicht gefunden?«

      Kaidôh schweigt lange, und Liwûna unterbricht das Schweigen mit diesen Worten:

      »Lieber Kaidôh, du bist still, und dein Stillsein ist so beredt. Das Grosse allein macht es auch noch nicht – das willst du sagen. Ich verstehe dich, und ich freue mich, dass du immer noch suchst.«

      Kaidôh versteht ihre Freude nicht und fragt müde: »Was soll ich denn thun?«

      Da sagt sie:

      »Du musst dir einen Schmerz bereiten: steige noch einmal hinab in die Abgründe deiner Vergangenheit. Denk an einen Kugelstern, der sich immer drehte und dir gar nicht gefallen wollte, da er nur einen einzigen Mond als Begleiter neben sich hatte. Du warst auf dem Stern anfangs ein Kind und noch nicht so gross wie jetzt – lange nicht so gross. Erinnerst du dich da vielleicht an einen roten Dornbusch, der vor einem alten Fenster blühte? Die roten Blüten dufteten dir oft wie Marzipan. Weisst du das noch?«

      Kaidôh denkt nach und schüttelt den Kopf; zwar thut ers nicht, doch ist ihm so, als thäte ers.

      Liwûna fährt fort:

      »Du hast so vieles vergessen. Man möchte beinahe glauben: Leben sei Vergessen. Aber ich weiss, du erinnerst dich trotzdem an den roten Dornbusch; hinter dem Fenster, in das er hineinblühte, stand eine alte Kommode aus Eichenholz mit zwei grossen, schwarzen Knöpfen zum Aufziehen der mittleren Schublade – weisst du noch? Perlmutter sass an den Knöpfen. Und neben der Kommode knietest du öfters.«

      Die Sanftredende hält inne, und Kaidôh stösst rauh hervor:

      »Jetzt soll ich mich in diesen riesigen Säulenhallen an alte Kommoden mit grossen, schwarzen Knöpfen erinnern! Nun ja! Ich erinnere mich ganz deutlich!«

      »Warum bist du so grimmig?« versetzt die Liwûna, »neben der Kommode warst du doch nie so grimmig. Du fühltest dich dort einem Heilande nahe, und es wurde zu Zeiten alles in dir still. Den Heiland hast du bald vergessen. Aber an die stillen Stunden vor dem roten Dornbusch hast du noch oft gedacht. Und du hast dich oft nach ähnlichen stillen Stunden gesehnt. Und die hast du nicht gefunden. Kaidôh! Höre doch! Weisst du nun, was du suchst?«

      Kaidôh horcht hinein in die Tempelstille und hört das Echo seines Atems. Und dann hört er sich leise sagen:

      »Stille Stunden such ich! Aber ich habe doch keinen Heiland mehr.« Hastig erwidert die Liwûna:

      »Du musst eben einen neuen Heiland haben. Du wolltest immer grössere Welten sehen, und auch die grössten waren dir am Ende nicht gross genug. Dein neuer Heiland muss also grösser sein als alles Denkbare, nicht war? Und wer kann grösser als alles sein?«

      »Nur der Geist,« antwortet Kaidôh, »der alles umschliesst – der alles selber ist – der Allgeist.«

      Ein leises Summen wie von Bienen geht an Kaidôhs Ohren vorüber, die gelben Tempelsäulen leuchten, und er fährt leise fort:

      »Sind das aber stille Stunden, wenn ich die Nähe des Allgeistes fühle – wenn ich mich in ihm fühle?«

      Liwûna sagt nichts, er aber sagt laut:

      »Nein! Das sind gewaltige Stunden. Ich glaube auch nicht, dass ich die stillen Stunden suche – ich suche die gewaltigen Stunden – in denen ich mich im Allgeist fühle – und den Allgeist in mir.«

      Liwûna sagt wiederum nichts.

      Und er fühlt plötzlich heisses Blut in seinen Adern, und ihm ist so, als ginge eine neue Kraft durch seine Sehnen, und er sieht schärfer gradaus, und er glaubt, dass jetzt ein andrer in ihm auflebe – der neue Heiland – der gewaltige Allgeist.

      »Eine gewaltige Stunde!«

      Also schreit er laut auf.

      Und er will die Arme heben und Fäuste aus seinen Händen machen.

      Und er kann nicht die Arme heben, und er kann nicht Fäuste aus seinen Händen machen.

      »Deine Gliedmassen,« flüstert die Liwûna, »sind ja viel zu gross geworden. Du bemerktest wohl noch nicht, dass du vor der blauen Pforte noch ein gutes Stück gewachsen bist. Du brauchst jetzt sehr, sehr lange Zeit zu jeder Bewegung.«

      Er murmelt:

      »Das also nennt man Grösse!«

      Er sieht scharf gradaus durch zwei gelbe Säulen durch in die Finsternis. Und in der Finsternis bewegt sich was. Und aus dem Bewegten schlagen hellblaue Flammen heraus. Und die Flammen bilden flackernde Buchstaben. Und Kaidôh kann die Flammenschrift lesen, obgleich ihm die Schrift ganz unbekannt ist. Und er liest:

      »Bilde dir nicht zu viel ein! Der Geist des Alls, der mehr als alles Grosse ist, flüstert auch in dir. Aber er flüstert nur sehr wenig. Und das Wenige kannst du nicht einmal verstehen. Wer gleich den ganzen Allgeist in sich zu fühlen glaubt, stellt sich das Gewaltige allzu einfach vor; man könnte lächeln und lachen. Du kannst nur langsam fühlen, dass ein Allgeist da ist – mehr kannst du nicht. Sei still!«

      Und die Schrift erlischt.

      Und die Liwûna schwebt neben Kaidôh vorbei und aufwärts.

      Und er sieht gewaltige Goldgebirge, in deren Thälern nur noch wenige Schneesterne schimmern – wie weisse Farbenreste.

      Die Goldgebirge sind Liwûnas Gewänder.

      Kaidôh steigt auch höher – und sieht in Liwûnas Antlitz – wie in eine grosse, bunte Landschaft – und in der funkeln zwei Augen ihn an – wie lichtbraune Sonnen aus Topasen. Und Liwûnas gewaltiger Mund öffnet sich. Und sie sagt, während es über die weiten Gefilde ihres Gesichtes zuckt:

      »Du bist doch gar nicht ein bischen neugierig. Weisst du, wer ich bin? Du hast noch nie danach gefragt. Hast du mich nicht verstanden? Ich bin doch deine Sehnsucht. Ich bin deine Körper gewordene Sehnsucht – so viel wie ihr Spiegelbild.«

      »Daher,« giebt Kaidôh zurück, »bist du wohl so fabelhaft gross. Jetzt merke ich erst, wie mächtig mein Verlangen ist – wie rasend gross meine Gier wurde – meine Gier – nach dem Gewaltigsten.«

      Und er denkt, dass er über Liwûna lächeln könnte, doch er kanns nicht – die Gesichtsmuskeln gehorchen ihm ebenfalls nicht mehr – er ist ja so masslos gross geworden.

      Er sagt sich, dass wahrhaft grosse Riesen das Lachen gar nicht nötig haben.

      Und wenn man sich so was gesagt sein lässt, so ärgert man sich nicht mehr. Das hätte doch gar keinen Zweck.

      Liwûna schwebt wieder an Kaidôhs Seite und macht ihm Enthüllungen; sie bietet ihm ein Spiegelbild von seiner Sehnsucht dar.

      Er glaubt, er verstehe das alles, und hat eine Empfindung, als könnte er Liwûna durch und durch durchschauen. Dabei lernt er sich endlich selber kennen – bildet sich das wenigstens ein – glaubt, dass er nur das Gewaltige gesucht habe und klammert sich an dieses Wort, als wärs sein neuer Heiland.

      Was doch so'n Wort macht!

      »Ich suche die gewaltige Stunde!«

      Mit diesen Worten schwebt Kaidôh gradezu weiter und müht sich ab, allmählich die Finger zu krümmen – was schrecklich langsam von statten geht.

      Die Säulen sehen jetzt wolkig aus wie undurchsichtiger Bernstein, und blassrote

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