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      *

      Hexe Rosina und der verzauberte Osterhase

      Rosina saß am Küchentisch, eine dampfende Tasse Kakao in den Händen. Die roten, langen Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Missmutig starrte sie in die Flamme der Kerze, die vor ihr auf dem Tisch stand und die Küche flackernd erhellte. Dann las sie, bestimmt schon zum 100. Male, den Brief, der vor drei Tagen mit der Rabenpost kam.

      Liebe Hexentochter,

      wir vom Hexen-Rat wissen nicht weiter. Weil wir Wildisbrand nicht in den Hexen-Rat aufgenommen haben, will sie sich rächen. Sie hat den Osterhasen verzaubert, um unser Fest zu ruinieren. Er ist weit und breit nicht zu finden. Dieses Rätsel hat sie uns geschickt: Was ist rot und trägt eine magische Zahl auf dem Rücken? Was ist flink und schnell? Vorher zu viert, dann zu sechst oder mehr? Was ist weiß oder braun und fast rund, sehr empfindlich? Der Rätsel Lösungen bringen, mit den ersten Sonnen-Strahlen am Frühlingsmorgen, den Osterhasen zurück.

      Schau bitte in meinen Büchern nach, ob du etwas dazu findest. Ariadne kann dir sicher helfen. Passt sie auch gut auf dich auf? Es wird leider noch etwas dauern, bis ich nach Hause kommen kann. Liebste Hexengrüße

      Deine Mama

      Über den Tisch krabbelte eine große Spinne auf Rosina zu. Das weiche Fell auf ihrem Rücken glänzte golden im Kerzenschein. Es war Ariadne, der gute Hausgeist. Jede Hexenfamilie hat einen Beschützer, der auf Haus und Familie aufpasst.

      „Rosina-Kindchen“, sagte Ariadne, „willst du nicht langsam ins Bett gehen? Mitternacht ist schon lange vorbei.“

      „Aber Ariadne. Bei Sonnenaufgang ist die Frist vorbei. Ostern ohne Osterhase. Ohne Eiersuchen. Kein Hexenfest mit Osterfeuer. Mir muss noch etwas einfallen. Haben wir wirklich alle Bücher durchgesehen?“, fragte Rosina.

      Ariadne nickte. Traurig blickte Rosina aus dem Fenster.

      Auf der Fensterbank stand eine Primel mit rosa Blüten. Ein kleiner Käfer saß auf einem ihrer Blätter. Rosina ging hin und hielt ihre Hand dem Marienkäfer hin, sodass er hinaufkrabbeln konnte.

      „Wie alt du wohl bist?“ Sie zählte die Punkte auf seinem Rücken. Sieben Jahre. Sieben? Das war die magische Märchenzahl: sieben Zwerge, sieben Fliegen auf einen Streich, sieben Geißlein …

      „Ariadne, das ist es. Die Lösung des ersten Rätsels: Ein Marienkäfer!“, rief Rosina.

      „Gut gemacht, Kindchen! Zieh schnell einen Bindekreis, sonst fliegt er davon.“

      Rosina setzte den Käfer auf ein Blatt. Dann malte sie mit dem Zeigefinger einen Kreis um ihn und sprach:

      „Marienkäfer flieg’ nicht weg,

      brauch’ dich für ’nen guten Zweck.“

      Dort, wo ihr Finger das Blatt berührt hatte, erschien ein goldenes Leuchten und bildete einen Kreis. Der Käfer blieb nun ruhig auf der Stelle sitzen.

      „Toll gemacht, Rosinalein. Das war sehr gut für eine Nachwuchs-Hexe“, sagte Ariadne und sprang dabei freudig auf und ab.

      Doch Rosina blickte bereits wieder hinaus in den Garten, eine große Denkfalte auf ihrer Stirn. Die anderen Rätsel würde sie auch lösen.

      Draußen vor dem Fenster wackelte ein Busch. Ein kleiner brauner Kopf mit langen Ohren lugte heraus, dann hüpfte das ganze Häschen hervor. Wo waren wohl die anderen fünf? Letztes Jahr waren es nur vier gewesen. Diese flinken Möhrendiebe. Rosina musste lächeln, als sie sich an die lustige Jagd erinnerte. Drei Stunden lang hatte sie die Hasen immer wieder aus dem Gemüsebeet verjagt. Vergeblich. Sie waren viel zu schnell wieder drinnen gewesen und die Möhren für den Winter mussten sie auf dem Markt kaufen. Aber sollte ein Hase wirklich die Antwort auf das zweite Rätsel sein? Natürlich, was sonst.

      „Es ist ein Hase. Los Ariadne wir müssen einen fangen!“ sagte Rosina. Sie zog ihren Umhang an und legte das Käferblatt und eine Möhre in einen Korb. Ariadne schaffte es gerade noch auf Rosinas Schulter zu springen. Dann liefen sie hinaus.

      Auf der Wiese vor dem Haus malte Rosina wieder einen Kreis und sang dazu:

      „Hase komm doch her,

      ich brauche dich so sehr,

      hüpfst du in den Kreis,

      ist die Möhre hier dein Preis.“

      Schon hüpfte der Hase näher heran und sprang in den Lichtkreis hinein, um an der Möhre zu mümmeln. Rosina legte das Blatt mit dem Marienkäfer dazu.

      In diesem Moment schallte ein Kikeriki über den Hof. Rosina zuckte zusammen. Die Sonne wird bald aufgehen und sie hatte das letzte Rätsel noch nicht gelöst. Schon schrie der Hahn wieder. Er war ein guter Wach-Hahn, aber die Hexen ließ er zum Eierholen nicht in den Hühnerstall. Gestern waren ihr die Hälfte der Eier auf der Flucht vor dem Hahn zerbrochen. Die Eier. Sie sind weiß oder braun und rund.

      „Ariadne. Im Hühnerstall, dort ist die Antwort auf das zweite Rätsel!“, rief Rosina.

      „Du bist fast so schlau wie unsereins, Rosinchen! Wie schade, dass du keine Spinne bist, ich würde dich sofort adoptieren“, sagte Ariadne mit einem breiten Lächeln.

      Vor der Tür zum Hühnerstall stand der Hahn, den Kopf angriffslustig gesenkt und mit den Füßen scharrend. Was nun? Bannsprüche wirkten nicht bei ihm. Rosina runzelte ihre Stirn und dachte angestrengt nach. Der neue Schlafzauber könnte klappen. Sie hob eine Hühnerfeder auf und sprach:

      „Schlaf kommt leicht wie eine Feder,

      fällst gleich um und schnarchst wie jeder.“

      Die weiße Hühnerfeder glitzerte nun blau. Rosina pustete sie an und wie von Geisterhand schwebte sie zum Hahn, um dort auf seinem Kopf zu landen. Dort versprühte sie kleine blaue Sterne. Der Hahn guckte verdutzt, doch die Augen fielen ihm schon zu, er sank zu Boden und begann gleich zu schnarchen.

      Kurz darauf kam Rosina mit einem Ei aus dem Stall heraus und legte es zu Marienkäfer und Hase.

      „Puh, das war knapp“, sagte sie und ließ sich auf die Wiese fallen.

      „Ich bin so aufgeregt, Hexen-Kindchen. Hoffentlich klappt es“, sagte Ariadne, während sie aufgeregt im Gras hin und her lief.

      Die ersten Sonnenstrahlen suchten sich ihren Weg durch die Baumwipfel und trafen den Kreis. Der Hase hörte auf an der Möhre zu knabbern und schaute hoch. Der Marienkäfer öffnete seine Flügel, wie um abzuheben. Das Ei kullerte wild hin und her. Dann schwebten die drei hoch, umgeben von einem hellen Glanz. Plötzlich blendete sie ein greller Blitz, gefolgt von einem lauten Knall. Rosina sprang vor Schreck auf. Dann saß dort, wo vorher Käfer, Ei und Häschen waren, ein Hase. Ein sehr großer Hase. Sein Kopf reichte Rosina bis an die Schulter. Ihr stand der Mund vor Staunen offen.

      „Bist du es wirklich?“, fragte sie.

      „Ja, ich bin der Osterhase“, antwortete er lächelnd. „Ich danke dir Rosina. Du musst die schlaueste Hexe weit breit sein, denn nur du hast mich retten können. Doch jetzt muss ich schnell los, ich habe noch viel zu tun.“

      Ein Windstoß zerzauste Rosinas Haare und der Hase war weg, aber ihr Korb war voll mit bunten Eiern und Süßigkeiten.

      „Kindchen, ich bin so stolz auf dich. Ich sollte dich doch adoptieren, obwohl du nur ein Menschlein bist“, sagte Ariadne, ihr ganzer Körper strahlte golden vor Begeisterung.

      Rosina war glücklich. Das Fest war gerettet. Nun musste sie laut gähnen. Sie war furchtbar müde nach dieser schlaflosen Nacht.

      Gerade als Rosina sich in ihr Bett gekuschelt hatte, ging die Zimmertür auf. „Rosina, ich bin wieder da mein Schatz“, sagte ihre Mutter. „Weißt du was, mein Liebling? Der Osterhase wurde gesehen. Alles ist wieder in Ordnung. Doch der Rat weiß noch nicht, wer das Rätsel gelöst hat.“ Sie ging

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