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wollte so schnell wie möglich raus. Aber es dauerte noch eine ganze Nacht und fast einen ganzen Tag. Schließlich drückte ich ganz fest mit meinen Füßen an die Innenwand und die Schale krachte entzwei.

      „Oma, Oma!“ Das Kind hüpfte in die Luft. „Es ist da!“

      „Ich bin frei“, rief ich und sah endlich meine Ziehmutter und das Kind. „Herzlich willkommen auf dieser Welt“, sagte sie.

      Das Kind sagte: „Oma, guck mal. Da ist unser Osterküken.“

      „Ja“, sagte meine Ziehmutter.

      „Guck mal Oma. Das Küken hat aber große Füße. Und schwarze Augen. Und das Kleid ist so gelb, wie die Sonne. Es soll Oster-Anna heißen“, sagte das Kind.

      Gleichzeitig hörte ich meinen Bruder Tom piepsen. Er wollte auch aus seinem engen Haus heraus.

      Im Aquarium wurde die Luft plötzlich sehr feucht, und so nahm mich meine Ziehmutter heraus. Legte mich in einen Karton unter eine Rotlichtlampe. Das tat gut. Mein nasses Kleid trocknete schell. Das Kind nahm mich aus der Kiste heraus und streichelte mein Kleid und sagte. „Das Kleid ist so kuschelig.“

      Nun schlief ich die ganze Nacht. Am nächsten Tag lag Tom auch in meinem Karton, aber das gefiel mir gar nicht. Wie kam er dazu, in meine Villa einzudringen? Und ich pickte auf ihn los. Das gefiel unserer Ziehmutter nicht. Wir bekamen getrennte Häuser. So standen zwei Kisten unter der warmen Lampe.

      Am nächsten Morgen flogen wir aus den Kisten heraus und liefen durch die Wohnung herum.

      „Oma, warum können sie schon so schnell laufen? Bei Babys dauert es ganz lange, bis sie laufen können.“

      „Hühner sind Nestflüchter. Das bedeutet, dass sie nach dem Schlüpfen aus dem Ei sofort alleine trinken, essen und laufen können. Wir Menschen sind auf unsere Mamas angewiesen“, sagte unsere Ziehmutter.

      Flugs bekamen wir einen großen Käfig. Und wurden nach draußen gebracht. Das Kind stellte einen kleinen Teller mit gutem Kükenfutter und eine kleine Schüssel mit frischem Wasser in den Käfig dazu. Dann machte es sich auf die Suche nach Regenwürmern.

      Ab und zu durften wir frei in dem großen Garten herumlaufen. Hier fanden wir feines Gras und auch kleine Würmer. Der Besuch wurde von uns beiden genau untersucht. Wir flogen den Menschen auf die Schuhe und auf ihre Köpfe. Der Tisch und der Osterkuchen waren auch nicht sicher vor uns. Da war es unserer Ziehmutter zu viel und sie setzte uns in den Käfig zurück.

      Die Kükenzeit war schnell vorbei und mein Kleid färbte sich weiß und das von Tom schwarzbraun. Wir zogen in den großen Hühnerstall zu unseren großen Schwestern und Brüdern. Sie haben uns natürlich zuerst nicht gemocht. Sie pickten auf unsere Köpfe. Zum Glück beschützte uns ein bunter Hahn. Er tanzte sehr elegant um mich herum und das gefiel mir sogar. Bald gehörten wir zu der Hühner Familie.

      Brigitte Meertens wurde 1940 in Eberwalde geboren. Dreißig Jahre hat sie im Kindergarten gearbeitet. In ihrer Freizeit schrieb sie für Fachzeitschriften für Erzieherinnen Kindergeschichten, Gedichte, Rhythmikspiele und Erfahrungsberichte. Im Jahre 2000 ging sie in den (Un)Ruhestand und erarbeitet seitdem Projekte für die praktische Arbeit mit Kindern. Sie ist verheiratet, hat zwei Töchter und zwei Enkelinnen und wohnt jetzt mit ihrem Mann in Herzogenrath. I

      *

      Der Jesus in mir

      Hatte Jesus eigentlich mal Liebeskummer? Interessante Frage, immerhin wird ihm eine Liaison mit Maria Magdalena nachgesagt. Und wenn ja – musste er dann heulen? Oder hatte ihm Papa Gott einen super Kniff mitgegeben, der Liebeskummer in Wein verwandelte? Viel interessanter ist aber: Warum beschäftigte mich das? Gute Frage. Ich saß am Karfreitag in der Kirche, Jesus hing am Kreuz vor mir und ich heulte. Nicht, weil mir der Gute so leidtat, sondern weil mich Torsten, mein Freund, heute Morgen per SMS abserviert hatte. Also müsste es auch konkret Ex-Freund heißen, was mich aber nur noch lauter schluchzen ließ. Sehr zum Unbehagen meiner Eltern übrigens, der Rest der Gemeinde dachte wohl, ich nahm tiefe Anteilnahme an Jesus’ Weg zum Kreuz. Doch hey, so leid es mir wirklich für ihn tat, Jesus war über 2000 Jahre tot, wenn man der Bibel Glauben schenken durfte. Und ich lebte im Hier und Jetzt. Hier und jetzt war mein Herz zerbrochen oder, um die hoffentlich letzte Metapher zu schaffen, festgenagelt worden.

      Nach eineinhalb Stunden des Rumheulens (vom Pfarrer und mir) fiel ich wieder in mein Bett und malte mir die gruseligsten Möglichkeiten aus, mich an Torsten zu rächen. Falls er jemals heiraten würde, würde ich die sein, die an der Oder-für-immer-verstummen-Stelle in die Kirche rannte und schrie „Ich habe etwas gegen diese Ehe! Er ist ein Arschloch!“

      Kurzfristiger gedacht könnte ich auch das Gerücht in die Welt setzen, dass er nur so gut in Chemie war, weil er auf unsere Lehrerin stand und für sie lernte. Sie hatte die Steinzeit schon mit erlebt und war ein Drache. Aber das ist eine andere Geschichte. Aber zunächst einmal weinte ich mein Kissen solange voll, bis es fast triefte.

      Dann muss ich wohl irgendwann einfach eingeschlafen sein und wild geträumt haben. Ich glaube nicht an Visionen oder so, aber hey – ich war so verzweifelt, dass ich diese genoss. Denn da war ein Engel, der sah irgendwie aus wie Veronica Ferres. Vielleicht etwas jünger. Und mit sanfter Stimme sagte sie: „Fürchte dich nicht.“

      Ich dachte mir: Na, das kennst du doch. Irgendwo ist ein Jesuskind geboren worden.

      Wider Erwarten sagte aber der Engel. „Du bist mit deinem Schmerz nicht allein. Jeder Mensch hatte schon einmal Liebeskummer.“

      „Ach ja. Sehr tröstlich, vielen Dank.“

      Der Engel blickte mich mit dem typischen Veronica-Ferres-Gesicht an, was mir sagen sollte: Kindchen, du musst noch viel lernen. „Ich könnte dir sagen, dass es nicht dein Mann fürs Leben war, aber das weißt du selbst. Ich könnte dir sagen, dass du bald wieder verliebt bist, aber das lindert deinen Schmerz nicht. Ich könnte dir sogar sagen, wann du heiraten, Kinder kriegen und sterben wirst. Aber weißt du was? Das macht das Leben eben aus. Es gibt nicht nur Hochs, sondern auch Tiefs. Das ist der Sinn des Lebens. Nämlich das Leben selbst.“

      Ich nickte und fragte mich, aus welchem Ratgeber sie das wohl hatte. Und dann, ob sie Gedanken lesen konnte. Als würde sie es können, lächelte sie verschmitzt. „Wird es lange dauern, bis es mir wieder besser geht?“

      Wieder grinste sie mich verschmitzt an. „Schneller als du denkst.“

      Und das war’s. Dann war der Engel weg und ich wachte wieder auf. Vorsichtig tastete ich mein Gesicht ab, meine Arme, meinen Bauch. Alles da, alles fühlte sich so an wie immer – auch der Liebeskummer. Na toll, dachte ich, jetzt fantasiere ich mir schon so einen Kram zusammen, und dass nur wegen eines Kerls, mit dem ich zwei Monate gegangen war. Was er wohl jetzt tat? Bestimmt nicht das dritte Päckchen Taschentücher vollrotzen. Er guckte wahrscheinlich fern oder machte was mit seinen Freunden. Und ich? Schnappte mir mein nächstes Taschentuch.

      Zwei Tage war Karfreitag nun her, es war Ostersonntag. Wieder Kirche. Irgendwo in der Ferne zwitscherten Vögel, die Orgel übertönte sie aber fast immer. Die Sitzbänke waren hart, meine Eltern blickten erwartungsvoll zu mir. Würde ich gleich wieder anfangen zu weinen? Nein, würde ich nicht! Angeblich gibt es diese fünf Phasen der Trauer: Verneinung, Zorn, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Was wohl Jesus Familie, die noch mitten in der Trauerarbeit war, gedacht hatte, als er plötzlich auferstand? Bei mir war es eher so, dass ich Torsten zu Grabe getragen, das Kreuz abgeworfen hatte und nun wieder aufstehen konnte. Theoretisch. Praktisch war ich war noch irgendwo zwischen Verhandeln und Depression, auch wenn die Akzeptanz schon mal so ab und an ein Stelldichein gab. Kurzum: Ich weinte nicht mehr so oft, fühlte mich nicht mehr wie ein Häufchen Elend und wollte nicht mein Leben lang heulen. Trotz allem hatte ich so einen säuerlichen Geschmack im Mund, wenn ich an Torsten dachte. Aber hey! Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, das Christentum auch nicht und die Säkularisierung geschah auch nicht von heute auf morgen. Oder, wie mein Vater sagen würde: Gut Ding braucht Weile.

      Alexander

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