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sagen, sie sei behindert. Einige nennen es „Down-Syndrom“, andere „Trisomie 21“ und wieder andere sagen Wörter, die überhaupt nicht schön klingen. Wenn Karla mit ihrer Mutter über die Straße geht, werden sie oft mitleidig angesehen, aber das stört die beiden längst nicht mehr. Auch Karlas Papa und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Martin bemerken es nicht mehr, denn die ganze Familie weiß, Karla ist ein ganz besonderer Mensch. Wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, dass ausgerechnet ihr die Geschichte mit dem Osterhasen passiert ist.

      Karla wohnte mit ihrer Familie in einem hübschen, kleinen Haus direkt am Wald. Um das Haus herum war ein großer Garten, in dem sich viele Tiere tummelten. Da gab es fünfzehn Hühner und einen Hahn, mehrere Katzen, zwei kleine Pferde und Samson, den Hofhund.

      Karla spielte gerne im Garten, weil man dort so richtig toben kann. Meist hatte sie ein paar Freundinnen dabei, aber an diesem besonderen Tag im letzten Jahr, war sie ganz allein. Etwas langweilig war ihr, denn auch ihre Mutter hatte an diesem Tag keine Zeit mit ihr zu spielen. So lief sie etwas unschlüssig im Garten herum, kickte einen Stein vom Weg und schaukelte ein wenig in der großen Hollywoodschaukel am Waldrand. Plötzlich hörte sie eine leise Stimme. „Hey, du! Bist du allein?“

      Karla erschrak, denn normalerweise kam hier kein Mensch entlang. Sie sprang auf und spähte in den Wald. Hinter einem Baum hervor ertönte wiederum die Stimme: „Hier bin ich, hinter der großen Eiche! Siehst du mich denn nicht?“

      Karla lief auf den dicken Baum zu und sah dahinter. Und da saß er! Er sah sie freundlich an und Karla wusste sofort: „Das ist der Osterhase!“

      Er hatte viele bunte Flecken, die wohl noch vom Eierfärben zurückgeblieben waren. Sie freute sich riesig, denn gerade in diesem Jahr hatte ihr Bruder Martin erzählt, dass es den Osterhasen gar nicht gäbe. Sie war erst sehr enttäuscht, hatte dann aber beschlossen ihm nicht zu glauben, denn wer sonst könnte die Eier so schön anmalen und wer sonst konnte wissen, dass sie sich diese wunderschöne Puppe gewünscht hatte.

      Karla hüpfte fröhlich auf den Hasen zu und rief: „Es gibt ihn doch, es gibt ihn doch!“

      „Pssst!“, machte der Osterhase und sah sich erschrocken um. „Sei doch bitte nicht so laut! Ich möchte nicht, dass mich jemand hier findet. Könntest du mir helfen, mich zu verstecken?“

      Karla schaute erstaunt drein. „Warum willst du dich denn bei mir verstecken?“, fragte sie verwundert.

      „Na, weil doch jetzt die Jäger wieder unterwegs sind! Was meinst du, wie enttäuscht die Kinder wären, wenn die Jäger mich erwischten und es zu Ostern keine Eier mehr gäbe!“

      Das leuchtete Karla ein. Sie überlegte. Dann fiel ihr plötzlich der alte Kaninchenstall ein, der noch im Schuppen stand. „Willst du da wohnen, bis die Jäger wieder weg sind?“, fragte sie den Osterhasen.

      „Oh ja, das ist eine sehr gute Idee.“ Der Osterhase war mehr als begeistert. „Ich hole nur eben meine Sachen!“ Schon war er wieder im Wald verschwunden.

      Es dauerte sehr lange und Karla hatte schon Sorge, er würde nun doch nicht in den alten Kaninchenstall einziehen, aber da raschelte es im Unterholz und der Osterhase war wieder da. Er hatte einen kleinen Jutesack bei sich, in dem seine paar Habseligkeiten verstaut waren. So ein Osterhase braucht ja nicht viel. Ein paar Pinsel und Farbtuben, einen Lappen und drei Eierbecher waren im Sack.

      Karla zeigte ihm den Stall und holte gleich ein bisschen Heu, um es dem Gast schön gemütlich zu machen. Der Osterhase rekelte sich bequem zurecht und schlief dann gleich ein.

      Karla lief schnell zu ihrer Mutter, um ihr von dieser tollen Neuigkeit zu berichten. „Mama, Mama, hör mal, ich habe den Osterhasen gesehen!“, rief sie. Upps, da war es passiert! Sie durfte doch nicht erzählen, wer da jetzt im Kaninchenstall wohnte!

      Zum Glück glaubte ihre Mutter ihr kein Wort: „Ach, Schatz, das gibt es doch gar nicht. Der Osterhase läuft doch jetzt nicht mehr herum. Der kommt erst zu Ostern wieder.“

      Puuh, Glück gehabt! Karla polterte ein schwerer Stein vom Herzen. „Aber Mama, einen Hasen habe ich doch gesehen!“, erzählte sie dann begeistert. „Komm mal mit in den Stall!“

      Widerwillig folgte ihre Mutter ihr, denn sie hatte noch eine Menge zu tun. Dann aber staunte sie nicht schlecht, als sie den bunten Hasen da in dem kleinen Stall friedlich schlafen sah. „Karla!“ rief sie: „Du verblüffst mich immer wieder aufs Neue. Wie hast du das denn fertiggebracht? Hasen sind doch so scheu!“

      Karla strahlte und erzählte, wie der Hase sie gebeten hatte ihr ein Versteck vor den Jägern zu zeigen, und wie sie ihm geholfen hatte.

      „Na, da hast du aber eine gute Tat getan diesen kleinen Hasen vor den Jägern zu retten. Hat dir Papa von den Jägern erzählt? Ich hoffe, du hast keine Angst bekommen!“ Trotz der Sorge musste Mama schmunzeln. Sie nahm Karla in die Arme und drückte sie ganz fest.

      In den nächsten Wochen halfen Papa und Martin, den Osterhasen zu versorgen. Auch die beiden glaubten nicht an die Geschichte vom Osterhasen.

      Na, Gott sei Dank!

      Die Zeit verging, die Osterzeit rückte näher und der Osterhase wurde unruhig.

      „Liebe Karla!“, sprach der Hase eines Morgens zu ihr. „Du musst mich jetzt raus lassen! Ich habe noch sehr viel zu tun, damit alle Kinder zu Ostern ihre Eier bekommen. Es besteht jetzt auch keine Gefahr mehr für mich, denn die Zeit der Jagd ist vorbei. Ich bin dir sehr, sehr dankbar für deine Hilfe und würde gerne bald wiederkommen!“

      Karla nickte. Sie war zwar etwas traurig, aber sie sah auch ein, dass die Arbeit zu Ostern getan werden musste. Also nahm sie den Hasen aus dem Stall und trug ihn mitsamt seinem Jutesack zum Waldrand, wo sie ihn im letzten Jahr erst kennengelernt hatte. „Tschüss!“, rief sie ihm unter Tränen nach und der Osterhase verschwand schnell im Unterholz.

      Als sie zu ihrer Mutter in die Küche kam, hatte sie rot verweinte Augen. Mama nahm sie sofort auf ihren Schoß und fragte: „Karla mein Schatz, was ist denn los?“

      Karla schniefte und antwortete dann: „Ach Mama, der Osterhase ist weggegangen, weil er doch soviel Arbeit hat. Deshalb bin ich so traurig!“

      „Hat denn jemand den Stall offen gelassen?“, rief Mama entsetzt und sprang auf. Beinahe wäre Karla hingefallen. Dann liefen sie schnell zusammen in den Garten, weil Mama glaubte, der Hase sei vielleicht noch in der Nähe und man könne ihn wieder einfangen.

      In diesem Jahr hat Karla ein paar besonders schöne Ostereier und das dicke Buch über Hasen bekommen, dass sie sich gewünscht hat. Martin hat ihr wieder erzählt, dass nicht der Osterhase, sondern ihre Eltern die Sachen besorgt hätten. Aber Karla weiß es jetzt genau: Das sind die Geschenke vom Osterhasen! Sie freut sich schon jetzt darauf, dass ihr neuer Freund bald wieder in sein Winterquartier einziehen wird.

      Hildegard Weigel-Stodt wurde 1964 im Ruhrgebiet geboren. Heute lebt sie mit ihren beiden Kindern und ihrem Ehemann in einem kleinen Dorf in Wittgenstein. Nach einer Ausbildung zur Schauwerbegestalterin und einem Germanistik Studium, ist sie heute Hausfrau und arbeitet nebenberuflich unter anderem als Texterin für eine Agentur. Seit 2005 schreibt sie Kurz- und Kindergeschichten, von denen einige bereits in Anthologien und in der Zeitung erschienen sind.

      *

      Die Osterbäumchen

      „Das kann doch nicht wahr sein.“ Entsetzt blickte Clemens Langohr auf seine besten Läufer, die mit verbundenen Füßen und hängenden Ohren vor ihm saßen. „Wie oft habe ich euch schon gesagt, dass ihr zum Beginn der Osterzeit ganz besonders aufpassen und auf eure Gesundheit achten müsst. Wer soll denn jetzt die fertig bemalten Eier den vielen Kindern ins Nest legen, wenn ihr nicht laufen könnt?“

      Clemens Langohr war Bürgermeister in Osterhausen. Auf ihm lastete eine große Verantwortung. Er musste sich um die gesamte Organisation des Beschaffens, Färbens und der Auslieferung aller Ostereier kümmern. Ständig reiste er durchs ganze Land, um

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