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Scheiß auf meine Eltern. Sie waren die Vergangenheit, und ich konzentrierte mich viel lieber auf das Hier und Jetzt und den erschreckend brillanten Mann vor mir.

      Wesley Bond. Ein rothaariges Computergenie. Manchmal sah er mich an, als wäre ich eine besonders interessante Insektenart, aber gelegentlich auch, als wollte er mich auf die nächste flache Oberfläche werfen. Aber immerhin redete er mit mir, als wäre ich ein echter Mensch. Alle anderen schienen mich wie einen nicht ganz so gescheiten kleinen Bruder oder ein Maskottchen zu behandeln; selbst Breck, der wusste, was ich auf der Straße durchgemacht hatte.

      Ich war nicht dumm, das wusste ich, nur behütet. Da ich in einer weißen Obere-Mittelklasse-Gegend in der Mitte des Landes aufgewachsen war, war ich nicht gerade einer Vielfalt an Menschen oder Erfahrungen ausgesetzt gewesen.

      Obwohl mich alle abtaten, glaubte Miranda Bosley, dass ich eine Aufgabe in diesem Team hatte. Ich wusste nicht genau, welche Fähigkeiten ich ihrer Meinung nach einbringen konnte, aber mir war es wichtiger, dass sie stolz auf mich war, als dass die anderen über mich lachten. Ich nahm all meinen Mut zusammen und stand auf. Es war Zeit, mir die Kreditkarte zu verdienen, die sie mir letztens zugesteckt hatte.

      Ich ging zu Wesley und war mir sehr bewusst, dass sich alle Blicke auf die winzige Badehose richteten, die kaum meinen Hintern bedeckte. Vielleicht legte ich besonderen Schwung in meine Hüften, und vielleicht hatte ich während meiner Selbstfindung einen kleinen Hang zum Exhibitionismus in mir entdeckt. Es störte mich nicht, dass mich Männer anstarrten, als würden sie mich verschlingen wollen.

      »Darf ich die Fotos sehen?«, fragte ich und streckte Wesley die Hand entgegen.

      »Du tropfst drauf«, beschwerte er sich und riss die Fotos weg.

      Ich verdrehte lautstark die Augen, eine Fähigkeit, die ich vor ein paar Jahren von meiner kleinen Schwester gelernt hatte. Niemand verdreht so beeindruckend die Augen wie ein Mädchen im Teenageralter. »Bitte. Ich bin nicht mal nass. Willst du mal anfassen?«

      Seine Nasenflügel blähten sich. Oh ja, er wollte mich anfassen. Innerlich führte ich einen Freudentanz auf, während ich äußerlich so cool tat, dass es mehr als überzeugend wirkte. Aalglatt und ungerührt.

      »Warum bist du überhaupt noch hier?«, fragte Wesley und rollte nervös den Rand des Umschlags ein. »Solltest du nicht nach Hause gehen? Niemand erpresst dich. Wir haben sowieso schon alles gesehen.«

      Arschloch. Zum Glück wusste ich, wie ich ihn auf die Palme bringen konnte. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihn so herablassend wie möglich. »Miranda hat es dir nicht gesagt? Ich bin das neueste Mitglied bei euch fröhlichen Gesellen. Der Will Scarlet zu deinem Robin Hood.«

      »Wohl eher Maid Marian!«, rief Breck von Steeles Schoß aus. Ich glaube, langsam verschmolzen sie wirklich zu einer Person. »Du bist definitiv Little John«, sagte er zu Steele.

      »Wenn jemand Robin Hood ist, dann Shook«, fügte Steele hinzu. »Der gute Kerl, dem irgendwie Unrecht widerfahren ist und der nun ein kriminelles Leben führt, um die Verfehlungen der herrschenden Klasse wiedergutzumachen.«

      »Was hast du getan, dass du mit uns nachsitzen musst, Shook?«, fragte Wesley.

      »Bin bei Rot über die Straße gegangen«, sagte Leo, ohne von seinem E-Reader aufzusehen.

      Es war ein weiterer heißer, sonniger Tag, und trotzdem trug Leo eine Khakihose und ein Poloshirt. Einmal ein FBI-Mann, immer ein FBI-Mann. Damals in D. C. hatten Breck und ich das »Rate, wo sie arbeiten«-Spiel gespielt. Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden waren immer ein Kinderspiel gewesen. Es war egal, ob sie für den Secret Service, das FBI, die DEA, die NSA oder sonst irgendwen arbeiteten. Man konnte Männer und Frauen gleichermaßen schon auf einen Kilometer Entfernung erkennen.

      Die CIA war schwieriger. Diese Mistkerle waren alle wirklich raffiniert, außer im Bett. Als würden sie versuchen, mich mit ihren streng geheimen Informationen zu beeindrucken. Ich hätte Spion werden sollen. Nichts wirkt so gut wie ein Orgasmus und ein paar Komplimente, wenn du einen Typen dazu bringen willst, dir eine Menge Geschichten zu erzählen, die er wahrscheinlich besser für sich behalten sollte.

      »Du bleibst also wirklich?«, fragte Ridge.

      »Sieht so aus.«

      Er nickte leicht. Bei ihm war das so gut wie ein Freundschaftsarmband. Er und Breck waren zwar identisch, was das Aussehen betraf, aber Ridge war zurückhaltender als sein überschwänglicher Bruder.

      Typisches Beispiel: Brecks enthusiastische Reaktion. Er sprang von seinem Freund runter, rannte zu mir und warf sich auf mich, sodass ich beinahe zu Boden ging. Ich erwiderte seine Umarmung, so fest ich konnte.

      »Mann, ich hab mir solche Sorgen gemacht«, flüsterte er mir ins Ohr und rieb über meinen Rücken.

      »Ich mir auch«, sagte ich mit belegter Stimme. »Hatte irgendwie Angst.« Er war der Einzige, dem ich das jemals verraten würde. Er hatte mich mehr als einmal im Arm gehalten, wenn ich geweint hatte. Breck war weitaus besser als ich damit klargekommen, ein Escort zu sein. Ihn hatte das Anschaffen nicht gestört; er hatte mir gestanden, dass ein Teil von ihm es genoss.

      Für ihn war es eine vorübergehende Sache gewesen, ein Mittel, um Ridge das Geld zurückzuzahlen, das der ihm fürs College gegeben hatte. Breck hatte es stattdessen seiner drogensüchtigen Mutter gegeben. (Nicht der klügste Schachzug.) Für mich war es zu einer Art Lebensstil geworden, so fühlte es sich jedenfalls an. Nicht, dass ich viele Möglichkeiten gehabt hatte. Ich hatte nicht mal einen Highschoolabschluss.

      »Ich nehme nicht an, dass du von Miranda irgendeine Art Jobbeschreibung bekommen hast«, sagte Carson affektiert von seinem Liegestuhl im Schatten aus und erschreckte mich. Ich vergaß immer, dass er hier war. Sich unsichtbar zu machen, schien seine Superkraft zu sein. »Hmm.« Er setzte sich auf und winkte mich zu sich.

      Ich blickte zu Breck, der aber nur mit den Schultern zuckte, also ging ich rüber.

      Carson begutachtete mich, ohne mich anzufassen. »Kennst du die Präambel der Verfassung?«, fragte er.

      Wow. Das war wahrscheinlich die seltsamste Frage, die mir je gestellt worden war, und mich hatte mal ein Typ gefragt, ob ich seine Windel wechseln und ihm die Flasche geben könnte. Jetzt sahen mich alle aus einem anderen und weniger erfreulichen Grund an. »Ja. Aber wenn ich gewusst hätte, dass es einen Test gibt, hätte ich gelernt.«

      »Na dann, schieß los. Fang an.«

      »Echt jetzt?«

      Carson hob die Augenbrauen.

      »Ähm, okay. Aber ich werde es singen müssen.«

      »Von mir aus kannst du es auch tanzen.«

      »Okay.« Also fing ich an zu singen. »Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern zu sichern …«

      »Eee-ee-ee«, sagte Wesley leise hinter mir.

      »Für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und …«

      »Das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren«, fuhr Wesley mit einem schiefen Lächeln fort.

      Wir beendeten die Sache gemeinsam. »Setzen und begrü-hü-nden diese Verfassung. Für die. Vereinigten Staaten vo-ho-n Amerika!«

      Breck und Steele applaudierten. Leo lächelte sogar.

      »›Schoolhouse Rock‹«, sagte Wesley.

      »Die beste Show.«

      Carson runzelte nachdenklich die Stirn. »Also gebildet, fähig, vollständige Sätze zu formen, gemessen an deiner Größe in der Jugend nicht unterernährt und gerade, weiße Zähne, wahrscheinlich dank einer Zahnspange in der Kindheit. Vermutlich aus einer Familie in der oberen Mittelschicht?«

      Ich stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn finster an. »Lässt du jetzt den Sherlock Holmes raushängen, oder was, Carson?«

      »Ich

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