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      »Weißt du das nicht, Vau­drec liegt im Ster­ben!«

      Sie hob ihre Au­gen vom Brief, den sie ge­le­sen hat­te und stam­mel­te:

      »Was sagst du? … Du sagst? … Du sagst? …«

      »Ich sage, dass der Vau­drec stirbt. Die Gicht ist ihm bis ans Herz ge­stie­gen.«

      Dann füg­te er hin­zu:

      »Was denkst du zu tun?«

      Sie stand auf, lei­chen­blass, vor Er­re­gung; über ihre Wan­gen lief ein ner­vö­ses Zit­tern. Dann fing sie an zu schluch­zen und barg ihr Ge­sicht in die Hän­de. Sie stand da, wei­nend, das Herz zer­ris­sen vor Verzweif­lung.

      »Ich … ich gehe«, sag­te sie end­lich. »Küm­me­re dich nicht um mich … ich weiß nicht, wann ich zu­rück sein wer­de … war­te nicht auf mich …«

      »Gut,« sag­te er, »gehe!«

      Sie drück­ten sich die Hän­de, und sie ging so schnell, dass sie ver­gaß, ihre Hand­schu­he mit­zu­neh­men.

      Nach dem Es­sen setz­te sich Ge­or­ges hin und schrieb einen Ar­ti­kel. Er schrieb ihn ge­nau so, wie der Mi­nis­ter es ha­ben woll­te, und deu­te­te an, dass die Ex­pe­di­ti­on nach Marok­ko nicht statt­fin­den wür­de. Dann brach­te er das Ma­nu­skript auf die Re­dak­ti­on, plau­der­te da mit sei­nem Chef und mit leich­tem, freu­di­gem Her­zen ging er fort. Wes­we­gen ihm so zu­mu­te war, konn­te er nicht er­grün­den. Sei­ne Frau war noch nicht zu­rück. Er leg­te sich zu Bett und schlief ein.

      Es war ge­gen Mit­ter­nacht, als Ma­de­lei­ne zu­rück­kam. Ge­or­ges wach­te plötz­lich auf und setz­te sich im Bett auf.

      »Nun?« frag­te er.

      Er hat­te sie noch nie so bleich und so er­regt ge­se­hen.

      »Er ist tot«, flüs­ter­te sie.

      »Ah! Und … er hat dir nichts ge­sagt?«

      »Nein, nichts. Als ich kam, hat­te er das Be­wusst­sein ver­lo­ren.«

      Ge­or­ges dach­te nach. Tau­send Fra­gen gin­gen ihm durch den Kopf, die er nicht zu stel­len wag­te.

      »Leg’ dich hin«, sag­te er.

      Sie zog sich aus und leg­te sich ne­ben ihn.

      Er frag­te:

      »War je­mand von den Ver­wand­ten da?«

      »Nur ein Nef­fe.«

      »So. Hat er ihn oft ge­se­hen?«

      »Nie­mals. Sie ha­ben sich seit zehn Jah­ren nicht ge­se­hen.«

      »Hat­te er noch an­de­re Ver­wand­te?«

      »Nein, ich glau­be nicht.«

      »Dann … die­ser Nef­fe wird wohl al­les er­ben?«

      »Ich weiß es nicht!«

      »War er reich, der Vau­drec?«

      »Ja, sehr reich.«

      »Weißt du, was er un­ge­fähr be­ses­sen hat?«

      »Nein, nicht ge­nau. Vi­el­leicht eine oder zwei Mil­lio­nen.«

      Er sag­te nichts mehr. Sie lösch­te das Licht aus. Sie la­gen wach, in Ge­dan­ken ver­sun­ken ne­ben­ein­an­der. Er konn­te nicht mehr schla­fen. Die ver­spro­che­nen 70000 Fran­cs von Frau Wal­ter ka­men ihm un­be­deu­tend vor. Plötz­lich war es ihm, als ob Ma­de­lei­ne wein­te. Um sich zu ver­ge­wis­sern, frag­te er:

      »Schläfst du?«

      »Nein«, ant­wor­te­te sie mit ei­ner wei­chen, zit­tern­den Stim­me.

      »Ich hab’ ver­ges­sen, dir zu sa­gen,« fuhr er wei­ter fort, »dass dein Mi­nis­ter uns rein­ge­legt hat.«

      »Wie­so denn?«

      Und er er­zähl­te ihr aus­führ­lich die Ge­schich­te, die zwi­schen Lar­oche und Wal­ter vor­be­rei­tet wor­den ist.

      Als er zu Ende war, frag­te sie:

      »Wo­her weißt du denn das?«

      »Du wirst mir wohl ge­stat­ten, dir die­ses zu ver­schwei­gen«, ant­wor­te­te er. »Du hast dei­ne Quel­len, de­nen ich nicht nach­for­sche, ich die mei­ni­gen, und möch­te auch dar­über kei­ne Re­chen­schaft ab­le­gen. Ich ver­ant­wor­te je­den­falls die Rich­tig­keit mei­ner Nach­richt.«

      »Ja,« sag­te sie, »es kann schon stim­men. Ich ver­mu­te­te, dass sie et­was ohne uns vor­be­rei­te­ten.«

      Ge­or­ges, der nicht ein­schla­fen konn­te, nä­her­te sich sei­ner Frau und küss­te ihr lei­se das Ohr. Sie wies ihn leb­haft ab:

      »Bit­te, lass mich in Frie­den«, sag­te sie. »Ja, ich bin heu­te wirk­lich nicht zu Kin­de­rei­en auf­ge­legt!«

      Er ant­wor­te­te nichts, dreh­te sich zur Wand, schloss die Au­gen und schlief all­mäh­lich ein.

      VI.

      Die Kir­che war ganz mit Schwarz be­zo­gen, und ein großes Wap­pen­schild über dem Por­tal mit ei­ner Kro­ne dar­über ver­kün­de­te den Passan­ten, dass hier ein Edel­mann bei­ge­setzt wird.

      Die Trau­er­fei­er war zu Ende und die Gäs­te gin­gen lang­sam vor dem Sar­ge am Nef­fen des Gra­fen vor­bei; er drück­te ih­nen die Hän­de und er­wi­der­te ihre Grü­ße. Als Ge­or­ges Du Roy und sei­ne Frau die Kir­che ver­las­sen hat­ten, gin­gen sie lang­sam, schwei­gend nach Hau­se.

      »Es ist wirk­lich merk­wür­dig«, sag­te Ge­or­ges, ohne sich zu sei­ner Frau zu wen­den.

      »Was denn, mein Freund?« frag­te Ma­de­lei­ne.

      »Dass Vau­drec uns nichts ver­erbt hat!«

      Sie er­rö­te­te plötz­lich, als brei­te­te sich ein rosa Schlei­er vom Hals bis zum Ge­sicht, und sag­te:

      »Wa­rum soll­te er uns was hin­ter­las­sen? Es lag doch kein Grund vor.«

      Nach kur­z­em Schwei­gen fuhr sie fort:

      »Vi­el­leicht hat er ein Te­sta­ment hin­ter­las­sen, das bei sei­nem No­tar liegt. Wir kön­nen es ja noch nicht wis­sen.«

      Er über­leg­te und sag­te:

      »Ja, das ist mög­lich, weil wir doch sei­ne bes­ten Freun­de wa­ren, wir bei­de. Zwei­mal in der Wo­che war er bei uns zu Tisch und kam zu je­der Stun­de. Er war bei uns wie zu Hau­se. Er lieb­te dich wie ein Va­ter und er hat­te kei­ne Fa­mi­lie, kei­ne Kin­der, kei­ne Ge­schwis­ter, nur einen Nef­fen, einen ent­fern­ten Nef­fen. Ja, es muss ein Te­sta­ment da sein. Ich ver­lan­ge nichts Gro­ßes von ihm, nur eine Klei­nig­keit, et­was, was uns be­wei­sen wird, dass er uns lieb­te und an uns ge­dacht hat­te und die Nei­gung zu schät­zen wuss­te, die wir für ihn hat­ten. Er schul­det uns einen Be­weis sei­ner Freund­schaft.«

      Sie sag­te mit ei­ner nach­denk­li­chen gleich­gül­ti­gen Mie­ne: »Ja, es ist sehr gut mög­lich, dass ein Te­sta­ment vor­han­den ist.«

      Als sie nach Hau­se ka­men, reich­te der Die­ner Ma­de­lei­ne einen Brief. Sie öff­ne­te ihn, und über­reich­te ihn ih­rem Mann:

      »Herr La­ma­neur

       No­tar 17, rue des Vos­ges

      Gnä­di­ge Frau!

      

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