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habe ich nicht zurückgeschrieben. Ich kann mich erinnern, die Nachricht auf dem kleinen Bildschirm aufplöppen gesehen zu haben. Damals habe ich während des Frühstücks im Radio einen Bericht über einen Anschlag auf ein neu errichtetes Mahnmal für die von den Nazis ermordeten Homosexuellen gehört. Seltsam, wie man die Dinge miteinander verknüpft. Ich vernehme die Stimme des Reporters, höre mich selbst sagen, was für geisteskranke Spacken die Menschheit doch hervorbringe, dann sehe ich die Anzeige auf dem Handy. Damals hatte ich noch kein Smartphone. Ich drückte noch auf echte Tasten, um an den Text zu kommen. Heute wische ich geschwind mit meinem Finger über den Bildschirm, bis ich die Nachricht finde.

       Manchmal weiß ich nicht, was ich möchte, Tankred. Aber ich weiß, was ich nicht möchte. Melde dich, solltest du meinen, dass es wieder gut ist.

      Ich habe mich fürchterlich aufgeregt, weil ihre Nachricht ungeheuren Spielraum zur Interpretation ließ und das war genau das, was ich damals nicht gebrauchen konnte. Ich war es leid zu hoffen, zu bangen, zu warten, zu lachen und zu weinen. Eigentlich fühlte ich mich ähnlich wie heute. Keine Gefangenen mehr. Dass ich ihre SMS nie beantwortet habe, war meine Reaktion auf alles, was Lejla und mich ausmachte, auf diese Un-Beziehung, obwohl es dieses Wort nicht gibt. Und jetzt sitze ich hier, fühle mich hilfloser denn je und mir fällt nichts Besseres ein, als mich an Lejla zu erinnern. Das ist das Elend meines Lebens, denke ich pathetisch und fühle mich sofort ein bisschen besser.

       Lejla

      Niemand, der das Heulen der Sirenen und das dumpfe Grollen der einschlagenden Granaten gehört hat, wird diese Kulisse, den beißenden Geruch der brennenden Häuser, das Knirschen der einstürzenden Dächer oder die plötzliche Stille nach dem Angriff jemals vergessen. Sie hockte neben ihrer Mutter in dem feuchten, von einigen Kerzen spärlich beleuchteten Kellergewölbe ihres Nachbarn, des freundlichen Bäckers. Der enge Raum war mit drei alten Bänken und einem Regal mit Wasserflaschen und einigen Konserven ausgestattet. Eine schwere Metalltür versperrte den Weg ins Treppenhaus. An der Decke hing eine Glühbirne in einer Fassung, Strom gab es schon seit einigen Tagen nicht mehr. Die Serben hatten Dubrovnik vom Rest Kroatiens abgeschnitten. Dafür beschossen sie seit einer Woche die Stadt mit Granaten. Sie hockten mit ihren Kanonen oberhalb von Dubrovnik auf dem Berg Srđ und machten sich einen Spaß daraus, die Menschen zu ihren Füßen zu töten. Lejla vermutete, sie würden sich erst zufrieden geben, sollten sie jeden einzelnen Bewohner der Stadt ermordet haben.

      Sie saß zwischen ihrer Mutter und einer ihrer Lehrerinnen aus dem Gymnasium, einer jungen Frau, die alle gern mochten. Auf den anderen Bänken hatten sich der Bäcker mit Frau und Tochter, das Buchhändler-Ehepaar, der alte Metzger sowie der Fischer von der Klippe niedergelassen. Alle hier kannten sich seit Jahren.

      »Heute wird es nicht so schlimm«, sagte der Metzger. »Die haben in den letzten Tagen ihr Pulver verschossen.«

      »Die akzeptieren allmählich, dass wir nicht klein beigeben«, stimmte die Frau des Buchhändlers zu.

      Lejla erinnerte sich an ihren Onkel. Vor einigen Wochen, als noch niemand auf ihre Stadt geschossen hatte, war er mit durchgedrückten Schultern in ihre Küche getreten und hatte große Reden geschwungen. Dabei hatte er die Uniform der neu gegründeten kroatischen Nationalgarde getragen. In diesem Augenblick hatte Lejla zum ersten Mal Furcht verspürt. Wurde ihr Onkel plötzlich Soldat, dann war es nicht nur Gerede, was in ihrem Land vor sich ging, sondern der Anfang von etwas Furchtbarem.

      »Wir werden schon bald ein eigenes Kroatien haben!«, hatte ihr Onkel gerufen. »Stolz, unabhängig und ohne Serben auf unserem Territorium. Wir werden unserem Volk ein Land schenken und wir werden jeden Fußbreit unserer Erde mit Tapferkeit verteidigen.«

      »Ich mag es nicht, wenn du dich so verkleidest«, hatte Lejlas Vater zu seinem Bruder gesagt. »Du siehst aus wie unser Vater.«

      Lejla wusste, dass ihr Großvater mit den Deutschen gegen die Partisanen gekämpft hatte. Das war eine Geschichte, die in der Familie oft für Streit sorgte, denn ihr Vater hasste die Nazis und die Ustaša, ihr Onkel jedoch verachtete vor allem die Serben. Deshalb war er mit Begeisterung in den Krieg gezogen, um kurz darauf in Vukovar von einem serbischen Panzer überrollt zu werden. Seitdem galt er in der Familie als Held. Lejla hegte allerdings Zweifel daran, ob sein Tod den Krieg wesentlich beeinflusste. Sein Handeln kam ihr vorrangig sinnlos vor, aber sie war ein vierzehnjähriges Mädchen und verstand nicht viel vom Krieg.

      Über ihnen knallte es. Putz rieselte von der Decke. Die Lehrerin klammerte sich an Lejlas Arm. Jemand anderes schrie entsetzt auf. Lejla konnte die Hände ihrer Mutter zittern sehen. Etwas weiter entfernt detonierten weitere Geschosse. Die Mauern schienen zu vibrieren. Konnten die Serben in wenigen Tagen kaputt machen, was seit Jahrhunderten jeden Angriff überstanden hatte? Der Keller war im Mittelalter in den harten Stein geschlagen worden. Das hatte der Bäcker Mantra ähnlich wiederholt, als sie vor einigen Tagen zum ersten Mal hier unten gesessen hatten, um sich vor den Bomben und Granaten in Sicherheit zu bringen.

      Erneut erschütterte eine Detonation den Keller. Lejla bildete sich ein, etwas Metallisches zu riechen. Ihr wurde schlecht und sie ballte die Hände zu Fäusten. Das machte sie immer, wenn sie sich fürchtete. Als sie kleiner gewesen war, hatte sie sich bei einem Gewitter manchmal in die Hose gemacht. Aber das war lange her.

      »Jesus, Maria und Josef«, murmelte die Frau des Bäckers. »Gott möge uns schützen.«

      »Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus«, murmelte Lejlas Lehrerin leise.

      Alle lauschten den Einschlägen, die unrhythmisch um sie herum niedergingen. Nur das Gemurmel der Lehrerin erfüllte den Raum. Die Tochter des Bäckers knetete ihre Hände, der alte Fischer zupfte an seinem grauen Bart herum. Der Buchhändler zählte immer und immer wieder seine Finger, als könnte er einen verloren haben.

      »Was ist mit dir, Milos?«, fragte der Metzger in einem Moment der Stille und zeigte auf den Buchhändler. »Du bist doch Serbe. Wenn deine Landsleute alles niedergebrannt haben, stehst du dann bereit, um dir das dickste Stück des Kuchens zu sichern?«

      »Von Kuchen verstehe ich nichts«, sagte der Buchhändler und nickte in Richtung des Bäckers. »Da musst du Josip fragen. Das ist sein Metier.«

      »Jetzt ist es genug mit dem dummen Geschwätz«, flüsterte Lejlas Mutter. »Milos lebt genauso lange in Dubrovnik wie wir alle.«

      »Der für uns Blut geschwitzt hat. Der für uns gegeißelt worden ist«, betete die Lehrerin.

      »Im Süden haben sie schrecklich gewütet«, sagte der Metzger. »Meine Tante ist in ihrem Haus abgeschlachtet worden.«

      »Meine Tennislehrerin wohnt auch im Süden«, sagte die Tochter des Bäckers, die zwei oder drei Jahre älter war als Lejla.

      »Die kleine Blonde aus Zagreb?«, fragte der Metzger.

      Eine weitere Granate ließ den Keller erschüttern. Die Tochter des Bäckers verfiel in ein langgezogenes Schluchzen, das Lejla an das ferne Heulen eines Wolfs erinnerte.

      »Der erste, den sie getötet haben, war Zoran«, sagte ihre Mutter zu den anderen. »Den kennt ihr doch. Der aus der Dura Pulića.«

      »Der für uns mit Dornen gekrönt worden ist. Der für uns das schwere Kreuz getragen hat. Der für uns gekreuzigt worden ist«, flüsterte die Lehrerin eindringlich.

      Lejla hatte sie nicht für besonders religiös gehalten, aber vielleicht kam das mit der Verzweiflung. Flogen die Bomben, erinnerte man sich plötzlich an den einen, der helfen konnte. Wahrscheinlich beteten die Serben da oben auf ihrem Berg auch, damit Gott ihre Granaten am richtigen Ort detonieren ließ. Leider hielt Gott bisher zu ihnen.

      »Zoran? Der Zoran mit den Spanferkeln?«, fragte der Buchhändler.

      Lejlas Mutter nickte. »Er starb, als die Armee mit einer Granate sein Boot vor dem Hafen versenkte.«

      »Die Tschetniks machen sich einen Spaß daraus, vom Berg auf die Schiffe zu schießen«, behauptete die Frau des Bäckers. »Ich stelle mir immer vor, dass sie Wetten abschließen, wer die meisten Treffer landet. Immer wenn ein Boot in Flammen

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