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Lutz nach draußen und kämpfte einen erneuten Wutanfall nieder. Zwei Tage! So lange hatte diese verdammte Nutte Hilde nicht gemerkt, was vor sich ging. Zwei Tage waren zwei Tage zu viel. Laurenz war klug genug, um einen Plan zu haben. Er verschwand nicht einfach so. Wahrscheinlich befanden er und Dieter sich schon im Westen. Und das war Hildes Schuld. Nach der Arbeit fuhr Josef zu ihr und schlug ihr mit der Faust so feste ins Gesicht, dass er ihr Jochbein brechen hören konnte. Auch die anderen würde er nicht davonkommen lassen. Niemand tanzte ihm auf der Nase herum. Nicht ihm. Nicht Josef Tillinger. Nicht der DDR. Nicht der Idee von einem Staat, der für seine Menschen sorgte, auch wenn das nicht alle einsehen wollten, so wie sein eigener Sohn, der alles verraten hatte, was ihm, Josef, wichtig war. Gemeinschaft und Gerechtigkeit.

      Er wusste, wo er zu suchen hatte. Zusammen mit Lutz reiste er in den Westen. Greta Deutschs Wohnung befand sich im Hinterhaus eines Gebäudekomplexes in der Bonner Straße. Vorn gab es einen Plattenladen und eine Teestube von irgendwelchen Türken. Die BRD holte sich ihre Hilfsarbeiter gern aus anderen Ländern, um sie im selben Zuge zu diskriminieren. So funktionierte das System des Imperialismus und Kapitalismus. Permanentes Wachstum bedeutete zwangsläufig auch Ausbeutung. Am dritten Tag ihrer Observation der Wohnung entdeckten sie Laurenz und Dieter. Sie spazierten aus dem Hinterhaus, gingen an einem heruntergekommenen Atelier vorbei über den Innenhof und stiegen auf der Straße in ein Taxi, als sei es das Normalste auf der Welt. Als seien sie nicht Bürger der DDR, Abtrünnige, Verräter am eigenen Volk. Josef fühlte sich in all seinen Vermutungen bestätigt. Erst hatte Greta mithilfe eines lächerlichen Tricks mit einem Luftballon Kontakt zu seinem Sohn aufgenommen – das immerhin war der Stasi in Person von Hilde nicht verborgen geblieben –, dann hatte sie ihn aus der DDR geschmuggelt und anschließend bei sich in der Wohnung aufgenommen. Das alles konnte selbst eine patente Person wie Greta nicht ohne Hilfe bewerkstelligt haben.

      Josef benötigte nicht lange, um die Identität der Helfer aufzuklären. Wie so oft kam es darauf an, im richtigen Moment bei bestimmten Leuten Druck aufzubauen. Das zählte er zu seinen leichtesten Übungen, erst recht wenn sein Motiv persönliche Rache war. Diese Schweine hatten ihn zum Narren gehalten. Dafür würden sie bezahlen. Nach einigen Wochen hatte er fünf Namen auf einem Zettel stehen. Die beiden obersten ließ er von seinen Kollegen bearbeiten. Sie besaßen eine Autowerkstatt in Ostberlin. Die Männer wurden verhaftet und verschwanden in den tiefsten Höhlen von Hohenschönhausen. Den Rest wollte er selbst erledigen.

      »Ich bin eine Katze«, sagte er zu Lutz, als sie sich in einer Kneipe auf dem Land in der Nähe der niederländischen Grenze mit Münsterländer Doppelkorn betranken. »Ich bin eine alte, lausige Katze. Ich bin nicht der König, aber ich bin eng mit ihm verwandt, mit dem König der Tiere, verstehst du.«

      Er war sich sicher, dass Lutz überhaupt nichts verstand, aber sein Geselle nickte eifrig, bevor er auf die Theke kotzte. Der Wirt war sauer, aber sie zahlten gut und das besänftigte den Mann. Als sie am nächsten Tag ihren Rausch ausgeschlafen hatten, brachen sie auf, um sich um Stephan Pedersen zu kümmern. Der Mann war ein eingebildeter Idiot. Er hielt sich für einen Linken, für einen Widerstandskämpfer, gleichzeitig arbeitete er als Geologe für einen Energiekonzern und half beim Abbau der westdeutschen Braunkohlevorkommen. Sie passten ihn in einem dunklen Waldstück in der Nähe eines Golfclubs ab und zwangen ihn in ihren Lieferwagen. Auf einer nahen Autobahnbrücke scheuchte sie ihn aus dem Wagen. Ironischerweise mussten sie kaum nachhelfen, um Stephan Pedersen von der Brücke zu bugsieren, denn er rannte, anscheinend in Unkenntnis über seine Situation, panisch von alleine zum Rand der Fahrbahn. Dort schwang er sich mit einem Bein über die Leitplanke, zögerte dann, als ihm Gewahr wurde, wo genau er sich befand, doch bevor er zurück konnte, gab ihm Lutz einen letzten Schubs. Mit einem lauten, dumpfen Schlag prallte Pedersen auf die Fahrbahn und wurde von einem LKW in Stücke gerissen. So erging es den Feinden der Republik. Und so erging es den Feinden von Josef Tillinger.

      Anschließend folgte Jochen Maus. Der kleine Mann saß seit seinem Unfall Anfang der Siebziger im Rollstuhl und wurde von Tag zu Tag fetter, da er nichts tat, außer sich in amerikanischen Schnellrestaurants vollzustopfen. Menschen wie Maus widerten Josef an. Wie konnte ein verfressener Krüppel den gesamten Staatsapparat der DDR lächerlich machen und helfen, die Familie eines ranghohen Stasibeamten in den Westen zu schmuggeln? Ausgerechnet diese ekelhafte Ausgeburt des hemmungslosen Konsums, maßlos und würdelos in einem.

      Sie holten ihn eines nachts aus seiner Wohnung. Er schrie zuerst. Lutz schlug ihm solange in seinen wulstigen Bauch, bis ihm der Atem fehlte, um mehr als ein Winseln hervorzubringen. Sie trugen Maus samt Rollstuhl hinaus und verfrachteten ihn in den Lieferwagen. Ihre Aktion war plump und unprofessionell, aber die Polizei im Westen war so dämlich, sie würde ihnen sowieso nicht auf die Spur kommen. In spätestens einer Woche würden sie zurück in der DDR sein. Dort konnte ihnen niemand etwas anhaben.

      Sie brachten Maus zu einem alten Bauernhof. Auf dem Hof prügelte Josef auf den Krüppel ein, bis ihm die Fingerknöchel schmerzten. Den Rest überließ er Lutz. Sie versenkten den Leichnam samt Rollstuhl in einem alten, trockenen Brunnenschacht. Auf der Rückfahrt in die Stadt bemerkte Josef, dass ihm ein halber Zahn im Handrücken steckte. So groß war sein Furor gewesen. Selbst seinen eigenen Schmerz hatte er nicht mehr wahrgenommen.

      Als nächstes folgte die Aktion mit Gideon Goldmann. Zuerst brachen sie in seinen luxuriösen Bungalow ein, während er sich auf einer Geschäftsreise befand. Lutz hatte die Vorarbeit geleistet und anscheinend dabei übersehen, dass Goldmann einen Hund besaß. Das große Tier kam Zähne fletschend im Garten auf sie zugestürmt. Lutz zog seine Waffe, die er mit einem Schalldämpfer bestückt hatte, um den Hund zu erledigen. Er war ein guter Schütze, das wusste Josef. Aber der Hund konnte nichts für Lutz‘ Schlampigkeit in der Vorbereitung ihres Einbruchs. Josef drückte die Pistole beiseite, bevor sich ein Schuss gelöst hatte und trat dem Hund entgegen. Er streckte seinen Arm aus und ging in die Knie. »Lass gut sein, alter Junge. Du bist nicht mehr wildes Tier als ich«, sagte er leise. Der Hund kam ganz nah, stieß seinen heißen Atem auf Josefs Hand und berührte sie dann ganz sacht mit seiner feuchten Nase.

       Teil 2

      Satellitenhirten suchen

      all die Satelliten

      und sammeln sie dann ein

      um sie endlich zu verschrotten

      Und unten auf der Erde

      wird eingepackt für immer

      der Letzte macht das Licht aus

      und auch die ganzen Dimmer

      Jens Rachut - Satellitenhirten

       Revolution

      Ich wache auf, schaue mich mit verklebten Augen im Zimmer um und überlege, alles nur geträumt zu haben. Die Marmelade auf dem Schuh, den nervigen Kindergeburtstag, die Polizei in der Bonner Straße, meine Mutter mit der gusseisernen Pfanne und schließlich Alina im Bett von Linus. Ich setze mich auf und starre die leere Flasche Wodka auf dem Tisch an. Mir sollte schlecht sein, aber ich fühle gar nichts. Das ist ein Schutzmechanismus.

      Steif quäle ich mich aus dem Bett und schalte das Radio ein. Ein wenig Morgenroutine kann nicht schaden. Es läuft Oasis mit Don’t Look back in anger. Keine Ahnung, warum der Radiosender diesen zynischen Schabernack mit mir treibt. Lustig finde ich das nicht. Please don’t put your life in the hands of a rock’n’roll band näselt der Sänger mit seinem britischen Englisch aus den Boxen meines Radios. Mir geht der Typ auf die Nerven, aber umzuschalten schaffe ich nicht. Außerdem hat er nicht ganz unrecht. Nur Verrückte würden sich Rockmusikern anvertrauen. Ich habe mein Leben in die Hände einer promiskuitiven Frau gelegt. So ist das. Man bindet sich – leider oft falsch.

      So I’ll start a revolution from my bed singt der Oasistyp. Jetzt muss ich widerwillig lächeln. Meine Stimmung kippt von niedergeschlagen zu aufmüpfig. Es ist Zeit, etwas zu ändern, mein Leben neu zu ordnen. Ich schnappe mir den Laptop und tippe die Kündigung meiner Wohnung zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Hier kann ich nicht länger leben. Dann wähle ich die Nummer meiner Schwester Anna. Sie nimmt sofort ab. Das ist ungewöhnlich, denn für ihre Verhältnisse ist es noch ziemlich früh. Sie erzählt mir, eben mit dem Anwalt unserer Mutter telefoniert zu haben. Jonas

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