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über den Hof; eine schmale Fahrstraße wand sich hinunter ins Thal, von den Dächern hingen die langen Zapfen; so weit das Auge reichte, lag die schwere, weiße Decke auf dem Lande: Burg Zant war eingeschneit und eingefroren. –

      Im Turmstüblein der Ahnfrau war's behaglich warm, und die Morgensonne malte die runden Butzenscheiben auf den blanken Fußboden.

      Die Greisin saß gebückt in ihrem Lehnstuhle, hatte eine gewaltige Hornbrille auf dem alten, runzeligen und doch so rosigen Gesichte und las in ihrer Bibel. Leise ging die Magd ab und zu, legte eine Decke über das frischgemachte Bett, begoß den Epheu mit warmem Wasser und streute weißen Sand auf die Dielen. Fernher klang der Siebenschlag der Drescher von der Tenne.

      »Kalt?« fragte die Greisin, klappte das Buch zusammen, nahm die Brille ab, rieb die Nase und murmelte gähnend: »Warum beißt mich's denn so heftig?«

      »Kalt, daß der Schnee pfeift,« antwortete die Magd und rieb an der schönen, geschnitzten Truhe.

      »Was hast g'sagt?« fragte die Ahnfrau gedehnt, erhob sich, stieg von ihrem Schemelein und ging an ihr Bett, hob die Decke und schob das Buch darunter.

      »Kalt, daß der Schnee pfeift!« schrie die Magd und rieb und rieb.

      »Jetzela ist's recht, jetzela hab' ich's verstanden,« meinte Frau Barbara von Breuning und hatschte ans Fensterlein. »Mußt laut sprechen, Rettl, alte Leut' hören oft nicht gut. Aber wenn ich nur wüßt', warum mich meine Nase so sehr beißt.«

      »Werdet halt was Neues innewerden!« schrie die Magd.

      »Was hast g'sagt?« fragte die Ahnfrau gedehnt und kratzte ein wenig an der gefrorenen Scheibe.

      »Was Neues werdet Ihr innewerden!« schrie die Magd, daß es gellte, und brummend setzte sie bei: »Weiß gar nit, wird alle Tag schlechter mit der Ahne, gar nimmer hören kann's, das alte Leut.«

      Ein feines Lächeln zuckte um die Mundwinkel der Greisin, und freundlich sagte sie: »Jetzela ist's recht, Rettl, mußt laut reden, daß ich's verstehen kann. Was Neues, sagst? Mußt mir halt was Neues erzählen, Rettl, daß ich was Neues erfahr'!«

      »Der Herr hat den Nikl heut früh –«

      »So versteh' ich gar nichts,« sagte die Ahnfrau, rückte ihr Spinnrädchen zurecht, nahm eine Hutzel in den Mund und begann zu spinnen.

      »Der gnädige Herr hat den Nikl heut früh um sechs Uhr aus dem Bett gejagt, wo die andern schon zwei Stunden gedroschen haben!« schrie die Magd.

      »Ei, ei, ei,« murmelte die Ahnfrau, während das Rädchen schnurrte; »die Mannsbilder, die Mannsbilder! Aber schau, Rettl, die Bettstattfüß' mußt auch noch abreiben – so!«

      »Und der Nikl hat gesagt, er woll' unter die Soldaten gehen!« schrie die Magd und kroch an der Bettstatt hin.

      »Unter die Morethaten?« fragte die Greisin. »Ei, ei! Was thut er denn da?«

      »Unter die Soldaten!« schrie die Magd und richtete sich halb empor. »Das hört schon gar nimmer!« murmelte sie.

      »Unter die Soldaten? Jetzt, ja, das ist was andres – der wüste Kerl!«

      »Und die gnädig' Frau ist schon um achte in die Stadt gefahren!« schrie die Magd.

      »Noch in der Nacht? Ja, jetzt wird's halt immer recht lang nicht Tag. Geh, gieb mir mein Taschentüchel her und thu 'n paar Tropfen drauf! So – ah! Und kannst auch etliche Wacholderbeeren aufs Blech thun. – So, so, noch in der Nacht? – Ei, ei!«

      »Und es ist auch ein Schreibebrief 'kommen glaub' von Hilpoltstein,« sagte die Magd.

      »I was, von der Ruth?« fuhr die alte Frau in die Höhe. »Wann denn?«

      »Gleich wie die gnädig' Frau fort war,« antwortete die Magd und brummte: »Diemalen versteht s' mich ganz g'schwind.«

      »Wann hast g'sagt?« fragte die Ahnfrau und legte die Hand ans Ohr. »Mußt lauter reden, Rettl, alte Leute –«

      »Gleich wie die gnädig' Frau fort war!« schrie die Magd.

      »Jetzt, Rettl, kannst in die Kuchel gehen und kannst mir mal 'n Stück Speckschwarte bringen für meine Vogerln, einen Nagel und einen Hammer. Hast g'hört?«

      Die Magd kam zurück.

      »Bleibet Ihr sitzen, ich kann's auch annageln!« rief sie eifrig.

      »Thu' ich selber, thu' ich selber«, sagte die Ahnfrau und öffnete das Fensterlein, schob den Schnee vom Brett und nagelte die weiße Speckschwarte an. »So, jetzela können die Vogerl kommen.«

      »Die Ahnfrau is halt gar viel barmherzig,« meinte die Magd. »Is leicht für die Vögel oft besser g'sorgt als für die Menschen.«

      »Da hab' ich jetzt gleich gar nichts verstehen können,« sagte die Greisin, schloß das Fenster und ging an ihr Spinnrad.

      »Die Ahnfrau sorgt für Mensch und Vieh!« rief die Magd.

      »Und daß du mir fein heut mittag die Suppe für die kranke Simons-Marie nicht wieder vergessen thust!« sagte die Greisin und hob den Finger.

      Rettl wurde rot und schrie: »Grad' ist auch der Herr Dechant auf seinem Esel eingeritten.«

      »Der bekannte – wie hast g'sagt – Esel ist eingeritten?« fragte die Greisin und hielt die Hand ans Ohr.

      Die Magd grinste: »Der Herr Dechant ist beim gnädigen Herrn.«

      »Dechant?« fragte die Greisin und schüttelte das schneeweiße Haupt und spann. »Dechant? Kenn' ich nit, weiß ich nit.«

      »Nu, der Herr Dechant von Allersburg!« schrie die Magd.

      »Kenn' ich nit, weiß ich nit,« sagte die Alte störrisch und spann, daß es surrte und schnurrte. »Jetzt geh!«

      Die Magd nahm das Putzschaff und ging aus der Thüre. Auf der Stiege murmelte sie: ›Ist halt doch schon ein uraltes Leut, die Ahnfrau!«

      Die Ahnfrau aber in ihrem warmen Stüblein sah zornig aus, rieb ihre Nase, stand auf, trippelte hin und her, ging an ihr Bett, nahm das Buch heraus, ging an die Truhe, schloß die Truhe auf und steckte das Buch hinein, zog den Schlüssel ab, besann sich, kratzte am gefrorenen Fensterlein, daß die Vögel fortflogen. Dann zog sie den warmen Schuh vom Fuße, legte den Schlüssel hinein, zog den Schuh wieder an, humpelte vorsichtig zu ihrem Spinnrade und begann aufs neue zu spinnen, daß es surrte und schnurrte. Und im Ofen krachten die Scheiter, und vor dem Fensterlein hackten und pickten wieder die Vögel um die Wette. Es war urbehaglich im Turmstüblein der alten Frau.

      *

      In der Wohnstube vor dem Zantner saß der hagere Dechant, rieb seine Hände, strich lächelnd über sein Kinn, nippte vom süßen Weine, patschte seinen kahlen Scheitel, blinzelte mit den schweren Augendeckeln, wandte keinen Blick von dem Edelmanne und nickte von Zeit zu Zeit mit einem beifälligen Murmeln.

      »Merkwürdig,« sagte er, »ganz merkwürdig! Bin ich zu Euch geritten in der Meinung, auch so einen – Ihr entschuldigt schon – in der Meinung, einen armen, irregeführten Ketzer zu finden, und nun sitzet Ihr vor mir, Herr von Zant, wie, nun, wie sage ich doch gleich? – wie ein Doktor der Theologie aus Ingolstadt und lest mir ein Kollegium über die subtilsten Materien unsrer alleinseligmachenden Religion! Ihr kennt gewiß auch dieses Büchlein, das ich Euch zum Präsent zu machen gedachte?«

      Er nahm ein Buch aus dem Rocke und reichte es dem Zantner. Der schlug das Titelblatt auf, klappte es wieder zusammen, warf es nachlässig auf den Tisch und sagte: »Wie sollte ich den Katechismus des Peter Canisius nicht kennen?«

      »Ich habe mir's gedacht,« nickte der Dechant, zog sein verwittertes, graues Gesicht in freundliche Falten und steckte das Buch wieder ein.

      Der Zantner aber lehnte sich zurück, schlug ein Bein über das andre und kreuzte die Arme: »Und was ist denn das Luthertum neben der römischen Kirche? Ein neugeadelter Salzsieder neben einem uralten Herrengeschlechte, das seit sechzehnhundert Jahren die Welt regiert.«

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