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      Sie aber flüsterte weinend und jauchzend: »Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch, dein Volk ist mein Volk – wo du stirbst, da sterbe ich auch – –«

      Der Mann beugte sich noch tiefer und küßte den stammelnden Mund.

      *

      Zur gleichen Stunde saß der Vizedom in der hellerleuchteten Stube bei seinem Weibe und blätterte in einem engbeschriebenen Foliohefte.

      »Wie viele haben sich geweigert?« fragte die Gnädige, als er das Heft weglegte.

      »Ich mag's nicht zählen – entsetzlich viele!«

      »Pah, wollen wir in sechs Monaten wieder fragen!«

      Der Vizedom stand auf und lehnte sich hüstelnd an den warmen Ofen.

      Die Gnädige saß gerade und steif wie immer in ihrem Stuhle und fragte mit ihrer eintönigen Stimme: »Wie hat sich der Haller von Ammerthal resolviert?«

      »Er emigriert,« kam die Antwort zurück.

      »Und die Portner in Theuern?«

      »Emigrieren.«

      »Und der Erckenprechtshausen in Ursensollen?«

      »Hat sich zur Information bereit erklärt.«

      »Aha! Und der Zantner?«

      »Will konvertieren.«

      Die Gnädige wandte sich ein wenig nach dem Vizedom und fragte rascher, als es sonst ihre Art war: »Und der Kemnater auf Hohenkemnat, was ist's mit dem? Der fährt wohl mit Fluchen und Schnauben auf einem dreibeinigen Klepper aus dem Fürstentum?«

      Der Hochgebietende ging an den Tisch und blätterte in dem Aktenstücke. Dann las er: »Kemnater von und auf Hohenkemnat hat es schon längst in seinem Gewissen verspürt, trägt sonderbare Inklination zur katholischen Religion und will bis Ostern konvertieren mit den Seinen.«

      Die Gnädige lachte kurz auf. »Und der Mendel von Lintach?«

      »Emigriert.«

      »Die Landsassengüter im Fürstentum werden nun sehr wohlfeil,« meinte die Gnädige nach einer Weile.

      »Mitten im Winter von Haus und Hof, es ist hart,« murmelte der Vizedom, über das Heft gebückt. »Ich wollte, Seine Durchlaucht hätten doch noch anders befohlen!«

      »Just die richtige Zeit! Horch nur, wie der Schnee kracht und pfeift!« sagte die Gnädige, nahm den Stickrahmen und ließ einen goldenen Staubfaden aus der blauen Kelchblume wachsen.

      *

      Ein hochbepacktes Fuhrwerk, vorn auf Schlittenkufen, hinten auf starken Rädern, wartete vor dem Herrenhause zu Theuern, und als weißer Dampf quoll der Atem aus den Nüstern der Rosse.

      »Viel ist's nicht, Herr!« meinte der Reitknecht Mathes und betrachtete die Kisten und Getreidesäcke auf dem Wagen und die Betten und das geringe Hausgeräte.

      »Es ist auch nur fürs erste, und im Frühling holen wir das andre nach,« sagte Hansjörg Portner und wandte sich zum Fuhrknechte: »Du kannst nun abfahren! – Und du, Mathes, läßt die Kutsche anspannen und führst die Pferde vor!«

      Die Rosse zogen an, schwerfällig bewegte sich das Fuhrwerk über den pfeifenden Schnee zu den Linden, hinaus über die Steinbrücke, rechts hin gegen den Fluß.

      »Herr,« fragte Mathes, »und ich darf also nit mit Euch?«

      »Und wer sollte denn das Haus bewachen?« rief Hansjörg ärgerlich.

      »Schon, schon,« murmelte der Reitknecht.

      »Bis zum Frühjahr muß ja doch eine Aenderung kommen, und dann – wie oft soll ich dir das alles noch sagen, Mathes?«

      »Schon, schon.« –

      Nun war der Lastwagen auf der Holzbrücke und fuhr langsam und mit Gepolter über den schreienden Schnee und die wackligen Bohlen.

      »Bis zum Frühjahr mußt du bleiben und gut haushalten, Mathes!«

      »Ich schon, ich, Herr. Aber was werden die andern fragen nach mir?«

      »Es wird schon gehen. Du mußt dir Respekt verschaffen!«

      »Den könnt Ihr mir nit geben, Herr, durch Euer Wort, und den kann ich mir nit verschaffen von heut auf morgen. Unter den Hammerknechten ist gar mancher Alte, der mir vor Jahren die Hosen gespannt hat.«

      »Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch den Verstand, Mathes.«

      »Hier ist der Rötel, Herr,« sagte der Knecht und gab dem Junker den Brocken. »Ich hab' die Kisten alle angezeichnet nach Euerm Gebot.«

      Hansjörg nahm den Brocken und ging ins Schloß. Aus der Kinderstube zu ebener Erde kam lautes Beten.

      Hansjörg blieb stehen und lauschte. Da vernahm er seinen Bruder, der mit starker Stimme las. »Und der Herr sprach zu Abram: Gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.«

      Der Lesende schluchzte. Da erklang die helle Stimme der Portnerin: »Gieb her, guter Jörg, nun will ich lesen!«

      Hansjörg hörte das Rauschen der Buchblätter; dann hob die Portnerin an und las: »Und er blieb allein. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und da er sahe, daß er ihn nicht übermochte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an; und das Gelenk der Hüfte Jakobs ward über dem Ringen mit ihm verrenket. Und er sprach: Laß mich gehen; denn die Morgenröte bricht an. – Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.«

      Hansjörg begann die Stiege ins obere Stockwerk hinanzugehen und murmelte vor sich hin, als wäre er noch ein Knabe und säße in der Schule. »Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen . . . Und er segnete ihn daselbst . . .«

      Hansjörg Portner öffnete die Stubenthüre und betrat das kalte, leere Gemach. Unschlüssig stand er und drehte den Rötel zwischen den Fingern –: ›Warum bin ich denn hier? Was will ich denn? Die alte Stube will ich nochmal sehen!‹

      ›Was sie nun liest in ihrer Einfalt, das weiß ich wohl,‹ murmelte er nach einer Weile. ›Und warum gehe ich nicht hinunter zu ihnen? – Zantner, du bist's gewesen, nur du! Damals war's, damals hast du mir den Funken ins Herz geblasen, und dann hat's weitergefressen und hat mich leergebrannt. Ja, du, Zantner! – Que sais-je?‹

      Er lachte hart auf. ›Und dennoch: Que sais-je?!‹

      Er spielte mit dem Rötel. ›Ich weiß, was sie nun betet da drunten: "Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen." – Und wer hat ihn jemals gesehen?‹ –

      Vor ihm starrte die kahle, weiße Wand, und während zur Seite ein hartgefrorenes Fenster in Purpurfarbe erglühte unter den Strahlen der aufgehenden Sonne, schritt er an die Wand und begann langsam und mit großen Buchstaben zu malen:

      Rebus in angustis facile est contemnere vitam -

       Fortiter ille facit, qui miser esse potest.

      Das betrachtete er eine Weile in tiefen Gedanken. Dann warf er den Rötel in eine Ecke und ging mit Geklirre aus der Stube.

      Kniebeuge.

       Inhaltsverzeichnis

      In den warmen Kellern der Burg Zant lagen haufenweise die Rüben, in den kühlen Vorratskammern hing reihenweise das Schwarzfleisch, in den reinlichen Truhen blinkte das Mehl, in den geräumigen Fässern stand das Kraut, im luftigen Obstgaden dufteten die großen Säcke mit Dörrobst, bauchig und steif. Ueber den Ställen war das Heu geschichtet bis unter den First, aus der Tenne klang der Flegelschlag vom frühen Morgen bis zum späten Abend. In den Kachelöfen

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