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ziehen, wir gewappelten Mistbauern des Fürstentums der Oberpfalz; und wenn wir bleiben, dann möget Ihr uns feige nennen, Herr. – Warum habt Ihr nicht also gesprochen, guter Freund?«

      Portner senkte die Augen und schwieg.

      Der alte Mann aber sagte: »Es ist bitter kalt, Herr Bruder. Beliebt's Euch, so begleite ich Euch ein Stück auf Eurer Straße.«

      Und so zogen sie beide durch die glitzernde Pracht des verschneiten Tannenwaldes, und hinter ihnen schnob das Pferd.

      »Uuglückliches Land!« seufzte Portner nach einer Weile.

      »Was ist Unglück?« fragte der Alte und pfiff seinem Hunde.

      »Ich dächte, man könnt' es mit Händen greifen,« murrte Portner.

      »Ihr habt mich falsch verstanden, guter Freund! Der ungerechteste aller Richter aller Zeiten, Pilatus, hat dem Heiligen Gottes mit Achselzucken ins Angesicht gesagt: ›Was ist Wahrheit?‹ Und der Heilige Gottes ging seinen letzten Erdenweg und machte uns frei, dergestalt, daß wir heute getrost fragen dürfen: Was ist Unglück?«

      Portner schwieg.

      »Seht, guter Freund,« fuhr Herr Mendel nach einer Weile fort, »Ihr sträubt Euch dagegen und könnt's nicht fassen. Wenn Ihr erlaubt, will ich's an einem Exempel zeigen. Ich gehe den Weg da zur Winters- und zur Sommerszeit, im Lenz, und wenn die Stare wandern; denn der Wald gehört zu meinem Jagdbogen. Und ich gehe den Weg gerne zu jeder Jahreszeit, nur ist es mir gar sehr zuwider, wenn im Sommer die großen Waldschnecken umherkriechen; man tritt so leicht von ungefähr darauf, und dann jammert einen die Kreatur. Da hab' ich mir's nun zur Pflicht gemacht – Ihr könnt mich getrost auslachen, Herr Bruder –«

      »Wie könnt' ich lachen über Eure Barmherzigkeit, Herr Mendel?«

      »Nun also, Herr Bruder, weil mich die unvernünftigen, schleimigen Gesellen jammern, schiebe ich die Spitze meines Stockes drunter, sobald einer im Wege kriecht, und werfe ihn im Bogen hinaus, denk' mir, trittst du selber daneben, so kann ihn doch gar leicht ein andrer zu Schanden treten. Und glaubt Ihr nun nicht, guter Freund, daß mir schon gar mancher Schneck zornig nachgesehen und –« der alte Herr mußte ein wenig lachen – »in seinem Herzen, wenn er eins besitzt, gemurrt hat: ›Was wirft mich der aus meiner Bahn?‹« – Herr Mendel von Steinfels hielt inne. Nach einer Weile aber sagte er mit Nachdruck: »Und ist doch nur zu seinem Heil und Besten gewesen, Herr Bruder!«

      »Die Erde unter meinen Füßen schwankt, und was ich greifen will mit meinen Händen, das weicht zurück,« murmelte Portner.

      Da blieb der alte Herr stehen und blickte ihm starr ins Angesicht: »Was dünket Euch um die Erlösung?«

      Hansjörg Portner schwieg. Dann fragte er trotzig: »Was ist Erlösung?«

      »Des großen Gottes Huld und des kleinen Menschen Ritterschaft, der Welt Spott und des Herzens Friede,« antwortete Herr Mendel.

      »So faßt Ihr das auf?« murmelte Portner und sah gerade vor sich hin.

      »Jawohl, so fass' ich's auf, mein Freund. Hier ist Gut und dort ist Böse, und Gut und Böse kämpfen von Anbeginn bis ans Ende der Dinge um die Herrschaft – und mitten zwischen ihnen steht und atmet der Mensch.«

      »Von Anbeginn?« unterbrach ihn Portner. »Ich dächte, es sei geschrieben, nun, es sei geschrieben von einem gefallenen Engel –?«

      »Dann wäre das Böse aus Gott,« sagte Herr Mendel von Steinfels mit Nachdruck. »Hier ist Gut, dort ist Böse, und mitten zwischen Gut und Böse atmet der Mensch, hin und her gerissen – bis daß er sich entscheidet, sich beugt vor dem ewigen Gott und die Rüstung empfängt, der Welt Spott verachtet und Frieden empfindet im Herzen – oder aber –«

      »Und wer wird endlich siegen?« fragte Portner.

      »Und Ihr könnt fragen, guter Freund?«

      »Mir graut vor der großen Ungerechtigkeit,« murrte Portner nach einer Weile. »Ich zweifle an der Macht des Guten. Gewalt ist alles, Recht ist nichts.«

      »Wie sagt der Herr Bruder?« fragte Herr Mendel und blieb stehen. »Recht ist alles, Gewalt ist nichts!«

      »Man erlebt's Tag für Tag,« antwortete Hansjörg bitter. »Qui vivra verra, sagt der Welsche,«

      »Was heißt das?« fragte der alte Herr.

      »Wer's erlebt, wird es sehen,« antwortete der Junker.

      Herr Mendel rückte an seiner Kappe. Dann sagte er freundlich: »Und Recht muß dennoch Recht bleiben. Ob's nun der einzelne erlebt oder nicht, das ist ohne Bedeutung. Der einzelne ist ja gar nichts, sein irdisches Dasein ist ja wie das Blättlein am Baume. Aber sein Geschlecht wird's erleben nach ihm. Und erlebt's das Geschlecht nicht, so erlebt's das Volk. Vor dem tausend Jahre ein Tag sind, vor dem sind tausend Menschen ein Mensch. Es ist alles ein einziges, großes Wachstum dem ewigen Tage entgegen. Laß dich's nicht betrüben, wenn dir dein Dasein erscheinen möchte wie eine Flocke, wie Gischt auf dem Kamm einer Welle. Zum Leiden gehört ein stärkeres Herz als zum Kämpfen. Wehe dem Verblendeten, der sich sträubte gegen das Leiden. Leiden ist ja das Wichtigste, Leiden baut hohe Stufen, daß die Menschheit dem Tag entgegensteige. Aus der Verwesung erblüht die Saat; alles wahrhaft Große wird aus Leiden geboren. Wehe dem Menschen, durch welchen Leiden kommt. Aber wohl der Welt des Leidens halber, es muß ja Leiden sein. Und wenn sich alles erfüllt am Ende der Dinge, wenn das Große klein, das Kleine groß und das Blinde sehend wird, dann werden auch wir kleinen Leidträger und Vergewaltigten mit Staunen erkennen: Der lebendige Gott ist dennoch durch alle Geschlechter und Völker und Zeitalter geschritten, er war auch bei uns, das Ganze ist dennoch Gerechtigkeit gewesen.«

      Portner schwieg und starrte zu Boden.

      Der alte Mann aber reichte ihm die Hand und sagte zutraulich: »Vergebt, guter Freund, wir sind von den Schnecken auf dem Wege in unermeßliche Fernen gekommen, vom Kleinen zum Großen. Das geht nun einmal so. Gehabt Euch wohl und grüßt Euern Bruder und sein Weib. Da biegt mein Weg ab.«

      »Ich danke Euch, Herr!« sagte Portner und blickte dem alten Edelmann ernsthaft in die Augen.

      Und er sah dem andern noch lange nach, bis er im Walde verschwunden war. Dann stieg er auf und ritt seine Straße. –

      Nach etlichen Stunden aber trabte ein reitender Bote von Theuern nach dem Zant, der trug im Wamse diesen Brief:

      »Wohledle, Ehr- und Tugendhafte! Derselben sind meine in Ehrengebühr jederzeit willige Dienste und Gruß zuvor. Vielgeliebte Jungfrau. Ich hab' aus Euerm Schreiben erfahren, daß Ihr ins Schwanken gekommen seid, nicht wisset, was Ihr thun werdet. Dagegen muß ich der Wohledeln zu erkennen geben, daß mit mir eine Veränderung vorgegangen ist: Noch etliche wenige Wochen, und ich werde ein armer Emigrierter vom oberpfälzischen Adel sein. Welches ich der vielgeliebten Jungfrau nicht habe verbergen wollen. Allzeit, derweil ich leb', der edeln, tugendreichen Jungfrau Diener Hansjörg Portner von und zu Theuern.«

      Und als Ruth von Zant in ihrer Turmstube den Brief gelesen hatte, versank der Sonnenball hinter den fernen Hügeln; und es war ihr zu Mute, als schaute sie zwischen den glühenden Rändern weißglänzender Wolken hinein in den Himmel.

      *

      Am Abende, nach der Gasterei im kurfürstlichen Schlosse, zog der Vizedom den Rittmeister in eine freundschaftliche Unterhaltung, fragte, wie die Stadt Amberg ihm und seinen Herren Brüdern gefalle, gab der Hoffnung Raum, daß sich im Jänner der Adel gutwillig entscheiden würde, und sagte dann ohne besonderen Umschweif und Uebergang: »Ihr seid, wenn ich recht gehört habe, gestern zwischen Lichten mit meinem Sekretarius Kriemhofen im ›Goldenen Schlüssel‹ gesessen?«

      »Jawohl, Euer Gnaden.«

      »Ein tüchtiger Beamter, Herr Rittmeister.«

      »Habe keine Ursache, daran zu zweifeln, Euer Gnaden.«

      »Ihr seid noch zugegen gewesen, als mein Bote zu ihm kam?«

      »Ich saß neben ihm, als der Einspännig Eurer Gnaden Schreiben abgab.«

      »Und

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