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die große Schwester zum Stuhle der Ahnfrau.

      »Weiter, Ahne!« drängte der Achtjährige.

      »Ja, weiter, weiter, weiter!« lachte die alte Frau und faltete behaglich die Hände über den Knieen. »Raubvögel, ihr! Blutegel, ihr! Erzählen, erzählen, erzählen! Klebt mir die Zunge am Gaumen, bin leer wie eine ausgequetschte Leberwurst und wie ein ausgebeutelter Kornsack.«

      Die Kinder lachten.

      »Tählen, Ahne!« bettelte das Kleinste und versuchte auf den Schoß der Großmutter zu klettern.

      Die zog das Kind herauf und fragte: »Wovon haben wir also gesprochen?«

      »Von der Salbe, die gegen das letzte Uebel hilft!« rief der Aelteste. »Sagt doch, Ahne, wie kocht man diese Salbe?«

      Die Ahne machte ein ernsthaftes, geheimnisvolles Gesicht und raunte: »Nimm Glanz vom Kirchenknopf, Ton von den Glocken, Blaues vom Himmel, Schnelles vom Hasen, jegliches ein Lot, und koch's mit den Eingeweiden von einem alten Fußsack – das giebt die Salbe, die gegen das letzte Uebel hilft. – Willst was, Ruth?«

      »Ich hätte die Ahne gern etwas gefragt,« flüsterte das Mädchen und hielt zögernd inne.

      »Da habt doch Mitleid mit eurer alten Ahne, ihr Kinder,« sagte die Greisin; »klebt mir ja die Zunge am Gaumen von all dem Erzählen! Habt ihr's denn nicht gehört? Wer bringt mir also ein Schlücklein frischen Wassers?«

      »Ich – ich – ich!« schrieen vier, fünf Kehlen, und die Schar stob aus der Thüre.

      »Nein, du nicht, Wackerl, du bleibe nur da!« sagte die Ahnfrau und hob das Kleinste, das von ihrem Schoße geglitten war, wieder zu sich. »Nun, Ruth –?«

      Ruth kniete vor der Greisin auf den Boden, hob ihr Antlitz und stammelte: »Erlaubet, daß ich mir ein Herz nehme, Frau Ahne! Gehen wir nicht seit dem Frühling herum, eines ums andre, Frau Ahne, und verbirgt eines vor dem andern seine Gedanken, Frau Ahne?«

      Unruhig rückte die Alte auf ihrem Sitze, streichelte hastig die Locken des Kindes, räusperte sich und sagte: »So trocken am Gaumen, schrecklich trocken! Aber so steh doch auf, Kind! Es wird mir ganz heiß. Ich muß ein wenig umhergehen. Der Fuß ist mir wahrhaftig eingeschlafen. Komm, steh auf!«

      Gehorsam erhob sich Ruth und nahm das Schwesterlein vom Schoße der Alten und setzte es auf den Schemel. Dann faltete sie die Hände krampfhaft und stieß heraus: »Frau Ahne, was ist's nun, wenn der Termin abläuft?«

      Aechzend raffte sich die alte Frau von ihrem Sitze auf und humpelte an ihr Bett, nahm die Decke ab, strich das Kissen glatt, humpelte zur Truhe, hob den Deckel, schloß die Truhe, hob den Deckel wieder und kramte in der Tiefe.

      Angstvoll sah Ruth hinüber auf die kleine, gebrechliche Gestalt. »In allen meinen Anliegen und Nöten bin ich von Kind auf zu Euch gekommen, Ahne,« begann sie klagend.

      »Freilich, Gutlein, Lieblein, freilich,« sagte die alte Frau und kam heran. »Freilich sind wir immer freundschaftlich gewesen miteinander. Und da, Ruth, da!« Mit zitternden Händen reichte sie der Enkelin ein kleines, glänzendes Ding. »Da, Ruth, da hast meinen silbernen Schneck, Ruth – da, so nimm doch! Siehst du denn nicht? Den Schneck, den du immer so gern gehabt hättest, Ruth! – Sieh, da geht der Deckel auf, und da liegt das Schwämmlein drinnen, das so gut riecht, und da oben kann man 's Gipfelein abschrauben und – guck doch! – da ist der güldene Pfennig – nimm, Ruth!«

      »Auch teigen!« bat das Kind, und die Ahne kniete nieder, hielt dem Kinde das Kleinod hin und begann mit hastiger Stimme aufs neue: »Sieh, da geht der Deckel auf, und da liegt das Schwämmlein drinnen, das so wohl riecht, und – und –«

      »Auch jiechen!« bat das Kind.

      Viele Schrittlein kamen die Stiege heraufgestapft. Die Thüre ging auf.

      »Ich hab's eingefüllt, Ahne!« – »Ich hab's heraufgetragen, Ahne!« – »Ich hab's tragen wollen, Ahne!«

      »Und guck, da liegt der güldene Pfennig!« murmelte die Ahnfrau und schraubte mit zitternden Händen.

      »Erzählen!« bat der Achtjährige.

      Ruth aber schlich aus der dritten Thüre. –

      »Ahne, ich hab's!« rief der Aelteste.

      »Was denn?« fragte sie müde.

      »Ich weiß, welche Salbe gegen das letzte Uebel hilft! Darf ich's Euch sagen?«

      »So sag's!«

      »Die Salbe Nichts.«

      *

      Es war spät am Abende, da ging Ruth noch einmal zur Mutter in die Wohnstube. Und sie fand ihre Mutter allein.

      »Mutter!«

      »Was willst du, Ruth?« fragte die Zantnerin und sah von ihrer Näharbeit empor.

      »Mutter!« sagte Ruth, ließ sich auf die Kniee nieder und hob die Hände flehend auf.

      »Ruth?« kam's von den bebenden Lippen der stillen Frau, und sie zog ihr Kind an sich.

      »Mutter, noch einmal, Mutter, noch ein letztes Mal, Mutter, die mir das Beten gelehrt hat! Mutter, warum denn – Ihr –?«

      Die Zantnerin schluchzte laut auf und streichelte die Wangen des Mädchens. Dann raffte sie sich wortlos empor, zog Ruth am Handgelenke mit sich durch die Stube und öffnete leise die Kammerthüre.

      Es war totenstill in der alten Burg, und friedlich atmeten die Kleinen und Kleinsten in Betten und Wiege und wußten nichts vom Jammer des Lebens.

      »Hörst du sie atmen, Ruth?« flüsterte die Zantnerin.

      »Ja, Mutter,« kam es zurück.

      Krampfhaft umklammerte die kalte Hand das Gelenke. »Warum, Ruth? Deshalb, Ruth!«

      *

      In der Finsternis lag der Zant. Nur in Ruths Kämmerlein brannte noch ein Licht, und sie saß mit verweinten Augen vor einem leeren Briefbogen, kaute an der Feder und träumte vor sich hin.

      »Also, wenn ich gehe, dann geht er, und wenn ich bleibe, dann bleibt auch er!« murmelte sie. »Bleibt ohne Besinnen!«

      Und mit einem Rucke setzte sie sich zurecht, tauchte die Feder ein und schrieb:

      »Des Herrn Bruders Botschaft hat mir der Herr Vater bestellt. Wer aber kann von heut an bis auf zwei Monde hinaus wissen, was ein arm, schwach Weib thun wird? Was dann, wenn solchem Weibe zuletzt doch die Kniee wankend würden, und wenn es auf Vater und Mutter sähe und das Fürchten bekäme? Und auf eines Weibes Kraft will der Herr Bruder seinen Entschluß setzen? Kennt er denn dieses Weib, ob es standhaft bleiben wird? Der Herr Bruder ist bereit, zu emigrieren. Was aber dann, wenn das Weib nicht mehr bereit wäre bis dorthin? Dann wäre der Herr Bruder ein Spott vor ihm selber, so oft er in den Spiegel sähe. Er nehme nicht die Entschlüsse schwacher Menschen zur Richtschnur. Denn Menschen sind ja gar nichts –«

      Sie ließ die Feder auf den Tisch fallen, legte die Hände in den Schoß und blickte auf das dunkle Fensterlein.

      Langsam brannte der Wachsstock herunter, und es war totenstill.

      ›Nun muß er sich selber entscheiden!‹ murmelte sie und kreuzte die Arme unter der Brust und lehnte sich zurück.

      Auf einmal ging ein Lächeln über ihre stolzen Züge: ›Der Portner? Nein, der Portner beugt sich nicht!‹

      Dann aber legte sie die Arme auf den Tisch, vergrub das Haupt darein und weinte bitterlich.

      Zwischen Lichten.

       Inhaltsverzeichnis

      Das fahle Licht eines kalten Dezembernachmittags erhellte die große, niedere Gaststube. In der letzten, tiefen Fensternische saß Hansjörg Portner allein vor einem Kruge Bier und starrte

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