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hörbar. »Aber warum?«

      »Kind, wer vermag den großen Weltenbauherrn zu fragen – warum hast du dieses gethan und jenes unterlassen?« antwortete der Zantner und sah nachdenklich auf das zappelnde Tier in seiner Faust. »Warum? – Ja, Kind – warum?« Er schwieg, und man hörte nur, wie die Pferde das Gras abrauften, der Wind in den Wipfeln flüsterte und die Schlange ohnmächtig zischte.

      »Warum?« wandte sich der Mann zu dem Jüngling. »Wohl dem, der's fragt; denn allein dies Wörtlein hebt ihn über den blinden Maulwurf. ›Was dem Vogel das Singen, das ist dem Geiste die Forschung; und wer's nicht weiß, ist geistig tot,‹ so schreibt ein Gewaltiger im Reiche der Philosophie. – Aber man könnte auch sagen: ›Weh dem, der fragt – warum?‹« setzte er murmelnd bei. Dann befahl er: »Du, Kind, gehst nun mit dem Buche voraus. Wir kommen nach.«

      Ruth ging voraus, ohne sich zu wenden. Der Zantner aber gab dem zappelnden Tiere einen starken Druck, schleuderte es zu Boden und zertrat ihm den Kopf. Dann ergriff er seinen Gaul und sagte: »Komm, Hansjörg, meine Hausfrau wird sich von Herzen freuen!«

      Ein später Falter gaukelte vom sonnigen Weideland herein in den dunkeln, feuchten Wald. Er gaukelte über den Rossen und setzte sich eine Weile auf die Kappe des Jünglings. Dann flog er auf und gaukelte zurück, als wollte er wieder hinaus in den Sonnenschein, kam wieder, gaukelte über den Rossen und schoß vor zu dem Kinde, das mit dem großen Buche in den Aermchen dahin ging und leise summte. In kleinen Kreisen flatterte der goldgelbe Falter über dem lieblichen Haupte; dann ließ er sich nieder auf die blauschwarzen Locken. »Die dürren Blätter fallen einem schon ins Haar,« murmelte das Kind und schüttelte die Locken. Da flog der Falter aufgescheucht empor und gaukelte rastlos hin und wieder wie ehedem.

      In den Sonnenschein wand sich der kurze Pfad, und in den Sonnenschein flog der flatternde Falter.

      Ein tiefer, breiter Graben durchschnitt den schmal auslaufenden Berggrat, und hinter dem Graben erhob sich ein dicker, kurzer Thorturm; eine grün angelaufene Zugbrücke lag über dem Graben, schlaff hingen die schweren, rostbedeckten Ketten von den Rollen herab.

      Hoch über Graben und Brücke und Turm schwang sich der Falter und flatterte lange um die rostbraunen Dächer und grauen Mauern der kleinen, uralten Burg.

      *

      Der Zantner und sein Gast saßen im Turmgemache. Der Edelmann hatte das Haupt in die Hand gestützt und blickte nachdenklich auf die weiße Tischplatte. Hansjörgs Wangen glühten, und fragend, fast ängstlich beobachtete er das Antlitz des andern.

      »Freilich, es ist eine Last für Euch, Herr,« sagte er nach einer Weile.

      »Eine große Last, Hansjörg,« erwiderte Herr Wilhelm von Zant. »Und Vormund über die Wölfe? Nein, guter Freund, und abermals nein!«

      »Bastian Wolf und Wolfheinz sind ja schon bei ihren Jahren,« meinte Hansjörg schüchtern. »Ueber mich und mein Brüderlein Jörg sollt Ihr Vormund werden und in Theuern nach dem Rechten sehen, hätte ich gehofft.«

      »Und im alten Bau sitzt Bastian Wolf und schert sich den Henker um mich,« grollte der Landsasse und sah vorüber an dem bittenden Antlitze des andern ins Leere.

      »Und doch –« begann Portner aufs neue.

      »Den Henker,« wiederholte der Zantner, »und dieses im besten Fall. Darf ich doch froh sein, wenn er mir nicht bei Gelegenheit eine Kugel zwischen die Rippen jagt oder auch mit dem Dolch nach mir wirft, daß meine Hausfrau im Kummer zurückbleibt mit den unmündigen Kindern. Und ich sag' dir's, ich bin nicht geschaffen für Zank und Streit, gehe weit außen herum im Bogen, wenn ich Zank höre und Streit.«

      »Und doch –« begann Hansjörg mit halberstickter Stimme aufs neue. »Gerade weil meines Vaters Haus so sehr verwüstet ist, bin ich zu Euch geritten und hab's Euch anvertraut. – Ihr könnt helfen,« fuhr er dringend fort. »Im ganzen Lande redet jeder mit Respekt von Euch und Eurer Wirtschaft. Wenn einer helfen kann, so seid Ihr's. Und Bastian Wolf will ja gar nicht auf Theuern sitzen bleiben. Was ich gehört habe, möcht' er seinen Anteil herausziehen und des Mendels Witwe auf der Haselmühle freien. Der Wolfheinz aber zieht in den Krieg. Und, Herr, meines seligen Vaters guter Freund seid Ihr ja doch auch gewesen vorzeiten, und also mußt' ich zu Euch reiten.«

      »Mußtest?« sagte der Landsasse nachdenklich. »Ja, das war ich, sein guter Freund – wir sind zwei sehr gute Freunde gewesen,« fügte er nach einer Weile bei, und sein Gesicht hellte sich auf.

      »Gute Freunde, trotzdem er älter war als ich,« murmelte Wilhelm von Zant, erhob sich, ging an sein Pult und kramte lange darinnen. Dann kam er langsam heran und legte ein längliches Büchlein in schwarzem Ledereinbande vor den Junker: »Was ist das?«

      »Es mag wohl ein Stammbuch sein, Herr.«

      Der Zantner blätterte und legte den Zeigefinger fest auf einen lateinischen Spruch: »Lies!«

      »Si quid est in nobilitate bonum, id esse arbitror solum, ut imposita nobilibus necessitudo videatur, ne a maiorum virtute degenerent.«

      »Uebersetze!«

      »Wenn etwas Gutes am Adel ist, so ist's nach meiner Ansicht nur dies eine: Edelleute haben die Verpflichtung, ebenso tüchtig zu sein wie die Ahnen gewesen sind.«

      »Vorzüglich! Und wer hat's geschrieben?«

      »Quirin Portner von Theuern Anno 1591,« las Hansjörg andächtig und besah sich seines Vaters Schriftzüge und das gemalte Wappen über dem Spruch.

      Der Zantner sah den Jüngling eine Weile an: »Will mir's überlegen, Hansjörg, will's beschlafen und hoffe, daß ich dir morgen guten Bescheid zu geben vermag.«

      »Ich dank' Euch, Herr,« sagte Portner und strich verstohlen über seine Wange; »unser Herrgott woll' Euch das Herz lenken!«

      »Na, wird sich schon machen,« antwortete der Herr von Zant und begann in der Stube auf und ab zu gehen.

      »Welch eine Menge von Büchern Ihr habt!« sagte der Knabe und blickte staunend auf die hohen Gestelle an den Wänden des Turmgemaches.

      »Meine besten Freunde,« antwortete der Landsasse mit Würde, griff nach dem Folianten, den sein Kind auf den Tisch gelegt hatte, und stellte ihn bedächtig zwischen die andern auf ein Brett.

      »Calvinus,« las der Jüngling vom Rücken eines Folianten. »Von diesem Erzschelm und Schwarmgeist habt Ihr auch ein Buch?« fragte er nachdenklich.

      »Und warum nennst du ihn denn einen Erzschelm?« fragte der Zantner.

      »Ihr seid ja doch auch lutherisch?« fragte Portner verwundert.

      »Und woher weißt du denn, daß er ein Erzschelm ist?« forschte der Landsasse.

      »Das wird einem ja doch alle Tage in der Schule und alle Sonntage in der Kirche gelehrt,« kam die Antwort zurück.

      »Natürlich und leider Gottes!« platzte der Zantner heraus.

      »Aber seid Ihr denn ein Calvinist?« fragte Hansjörg ängstlich.

      »Beileibe nicht!« lachte der Zantner. »Aber sag an, hast denn du schon etwas von Calvin gelesen?«

      »Wie könnt Ihr denken, Herr! Diese sind ja noch schlimmer als die Papisten.«

      »Und verurteilst den Mann, ohne ihn zu kennen?«

      »So wird uns doch gelehrt,« verteidigte sich Portner. »Aber sagt, Herr, Ihr seid ja doch lutherisch – nicht wahr?«

      Um den Mund des Zantners spielte ein Lächeln, und er antwortete nicht. Endlich sagte er: »Weißt du, Knabe, wie oft die Oberpfalz hat ihr Bekenntnis wechseln müssen in den letzten achtzig Jahren?«

      »Unter des fünften Ludwig Durchlaucht selig,« antwortete Portner und begann an den Fingern aufzuzählen, »ist sie evangelisch worden Anno 1538; unter dem dritten Friedrich calvinisch, aber nicht ganz; Kurfürst Ludwig hat das reformierte Ministerium wieder abgeschafft Anno 1576 und hat die Bilder wieder in die Kirchen stellen lassen. Unter dem vierten Friedrich ist sie wieder calvinisch geworden.

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