Скачать книгу

stille geht's dabei nicht zu, wenn das Fleisch zerquetscht und die Knochen zermalmt werden. Ja du mußt den Henker loben können, wenn er von Zeit zu Zeit nach Gebühr innehält mit dem Schrauben und leichte Hammerschläge führt gegen das gemarterte Schienbein nach seiner Pflicht. Ja du mußt mit deinen Vorgesetzten saufen und fressen können am grünen Tische, derweil man vor dir ein Ebenbild des lebendigen Gottes zwanzig- und dreißigmal aufzieht, daß die Sonne durch seinen Leib scheint. Und endlich muß die Lust über dich Herr werden und der Ehrgeiz über dich kommen, und du mußt dein Gehirn anstrengen, daß es zu allen vorhandenen dreihundertdreiunddreißig Foltern noch eine neue erfinde und daß, wenn du schon lange auf deinem corpus iuris zum Teufel gefahren bist, die Henkersknechte mit Andacht deiner Erfindung gedenken und in hartnäckigen Fällen sprechen: Helf, was helfen mag, jetzt müssen wir ihn portnern.«

      »Hört auf, Herr!« flehte der Jüngling.

      »Und giebt so gute Mittel, Recht und Unrecht zu unterscheiden,« fuhr der Zantner unbeirrt fort. »Ein angetrunkener Richter im Nürnbergischen hat mir einstmals dieses verraten: Setz eine hungrige Maus auf den bloßen Leib eines armen Sünders, stülpe eine irdene Schüssel darüber und binde sie fest. Was wettest du, daß sich die Maus nicht durch die Schüssel frißt? – Sorge nur immer, guter Freund, daß du nicht zu nahe herantretest, wenn man die Daumen schraubt. Es könnte dir unversehens das Blut in den Bart spritzen. Und dann möchte dein Kindlein zu Hause mit seinen Fingerlein tasten und dich verwundert fragen, warum du so befleckt bist in deinem Antlitze. – Aber komm, guter Freund, mein Magen knurrt, und das Essen wird wohl fertig sein.«

      Die Thüre ging auf, und Ruth stand zwischen den Pfosten. Mit der Linken hielt sie die Klinke, und mit der Rechten fuhr sie schüchtern durch ihre schwarzen Locken.

      »Was will die Wetterhex?« fragte der Zantner und lachte hinüber zu seinem Kinde.

      Klein-Ruth hielt sich an der Klinke, stellte ein Füßlein vors andre, betrachtete unverwandt den Gast und sagte: »Ein Mompliment von der Kutter, und das Essen wär' fertig.«

      »Was?« rief der Zantner und schüttelte sich vor Lachen. »Was will die Wetterhex? Hast du's gehört, Hansjörg? Ein Mompliment von der Kutter!«

      Da wurde das Kind glührot, warf das Köpflein zurück und rannte aus der Stube, die enge Turmtreppe hinunter.

      »Ruth, Ruth,« rief der Landsasse; »bleibe doch!« Und er lachte, daß es ihn stieß.

      »Das herzige Ding,« meinte Portner und sah nachdenklich in den leeren Thürrahmen.

      »Komm!« befahl der Zantner. »Und heute nachmittag streifen wir auf die Birsch und morgen reden wir weiter. Doch das sag' ich dir, guter Freund, wenn du von der Akademie entlassen bist und ich habe dreinzureden als Vormund – weiß ja noch nicht, ob ich's annehme –, dann mußt du erst einmal dorthin, wo Kunst und Wissenschaft blühen unter dem unermeßlich hohen blauen Himmel, Knabe. Verstehst du mich?«

      Hansjörgs Augen leuchteten: »Nach Italien!«

      »Und hernach kannst du meinetwegen in eines Fürsten Schreibstube kriechen, Tinte saufen und Blut lecken und dir einen Katzenbuckel andienern und einen Schmerbauch anmästen – meinetwegen.«

      »Taxiert Ihr mich also gering, Herr?« rief Hansjörg, und seine Augen sahen zornig darein.

      *

      Abend war's. – Sie saßen alle in der Wohnstube um den großen Tisch. Der Zantner las beim schlechten Talglicht in seinem Folianten, die Hausfrau spann und erzählte dem Gaste von alten Zeiten, Klein-Ruth spielte mit ihrem Brüderlein Mühlziehen, und im Lehnstuhle nickte die Ahnfrau.

      »Ich habe dreimal gewonnen,« sagte Ruth, stand auf, ging zur Mutter und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

      »Frag ihn halt!« kam die Antwort zurück.

      Langsam ging das Kind zu dem Gaste und sah mit großen Augen fragend zu ihm hinauf: »Du, weißt du auch Märlein?«

      »Freilich,« sagte Portner und lächelte.

      »Du, erzähl uns ein Märlein,« bat das Kind und sah ihn glücklich an.

      »Erzählen, erzählen!« rief das Brüderlein und holte sich einen Schemel.

      Lachend blickte der Zantner von seinem Buche auf:

      »Da hast du ein unvorsichtiges Wort gesprochen, Hansjörg; jetzt lassen sie dich nimmer los!«

      »Gerade so haben wir's doch auch gemacht mit unsrer seligen Mutter,« sagte Hansjörg leise.

      Der Knabe setzte sich zu seinen Füßen auf den Schemel, und Ruth lehnte sich an seine Seite.

      »Es war einmal –« begann er.

      »Das kennen wir schon,« sagte Ruth.

      »Du weißt ja gar nicht, was ich erzählen will!« lachte Hansjörg.

      »Alle Märlein, die also anheben, kennen wir,« behauptete Ruth.

      »Kind,« sagte der Zantner und sah nicht auf von seinem Folianten, »die Geschichten und Märlein, die also anheben, sind gar nicht auszuerzählen.«

      »Und mein Märlein hast du erst recht noch nie gehört,« raunte Portner und begann:

      »Es war einmal ein alter, fauler, schwarzer Riese. Der trug Haß und Gift in seinem Herzen gegen die goldene Sonne und gegen den Tag, hatte aber seine Freude am Monde und an der schwarzen Nacht.«

      »Wie kann einer die Sonne hassen?« unterbrach ihn Ruth. »Frau Sonne ist ja doch so freundlich!«

      »Er haßte die Sonne und liebte die Nacht und wußte wohl selbst nicht, warum,« fuhr Hansjörg fort. »Und jeden Abend stieg er auf den Berg am Himmelsrande, wo der runde Mond herauszukommen pflegte, packte ihn mit seinen starken Fäusten, schwang sich darauf und ritt die ganze Nacht hoch am Himmel über die Wälder und Felder, über die Flüsse und Ströme, über die Dörfer und Städte und Straßen der Erde hin, bis an das andre Ende des Himmels; dort stieg er ab. Weil aber der Riese so dick und schwer war, drückte er den runden Mond schrecklich zusammen, daß er mit der Zeit aussah wie ein Hörnlein, das man beim Bäcker kauft. Und zuletzt fürchtete sich der arme, eingedrückte Mond so sehr vor seinem bösen, schweren Reiter, daß er gar nimmer kam. Zornig stand der Riese auf dem Berge und fluchte in die Nacht hinaus. Da wand sich eine Schlange herzu. Die fragte ihn: ›Riese, warum bist du so zornig?‹ – ›Weil mein goldenes Rößlein nicht kommt,‹ sagte der Riese. – ›Ei, bist du so dumm, Riese! Dein Rößlein? Das ist ja von der Sonne gefressen!‹ zischte die Schlange und wand sich eilig den Berg hinunter. – Nun setzte sich der Riese auf einen Felsen und wartete die ganze Nacht. Und als es Morgen wurde, kam Frau Sonne strahlend und freundlich auf der andern Seite des Berges emporgegangen. Der Riese ward blutrot vor Haß und stellte sich ihr in den Weg. ›Platz da, schwarzer Geselle!‹ sagte die Sonne. ›Weißt du denn nicht, daß ich auf diesem Wege gehen muß?‹ – Da schrie der Riese: ›Mein Rößlein hast du mir gefressen!‹ – hob seine Faust und schlug die arme Sonne mit einem Schlage zu Boden. – ›Ich hab' dein Rößlein nicht gefressen!‹ klagte sie. Doch was half's?«

      »Die arme Sonne!« sagte Ruth.

      »Da lag nun die arme Sonne am Boden,« fuhr Hansjörg fort, »der Riese schlang ihr eine starke Kette um den goldenen Leib und schleifte sie über Stock und Stein vom Berge ins Thal.«

      »Die arme Sonne!« wiederholte das Kind.

      »Im Thale aber trug er Holz zusammen, schichtete einen Scheiterhaufen, warf die gebundene Sonne oben darauf und steckte das Holz heulend in Brand. Da lag nun die arme Sonne, die so freundlich hatte leuchten wollen über der Erde, da lag sie in der Glut.«

      »Die arme Sonne!« flüsterte Ruth und schluchzte.

      »Arme Sonne!« sagte auch der Knabe und wandte keinen Blick von Hansjörg Portner.

      Der Hausherr aber sah von seinem Buche auf.

      Da lachte Portner leise:

      »Ihr Kinder, horcht nur, wie dumm der alte, schwarze Riese war! Wer

Скачать книгу