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haben. Sein Leben hatte nichts Ungewöhnliches an sich. Er hatte sich als einfacher und treuer Soldat wacker gehalten, war, ob er seinem Herrn nahe oder fern, seiner Pflicht bei Nacht wie bei Tag nachgekommen, hatte nie einen zwecklosen Säbelhieb getan, war aber auch nicht fähig gewesen, einen zuviel auszuteilen. Wenn er in seinem Knopfloch die den Offizieren der Ehrenlegion gebührende Rosette trug, so geschah das, weil sein Regiment ihn einstimmig nach der Schlacht an der Moskwa als den Würdigsten bezeichnet hatte, der sie an diesem großen Tage erhalten sollte. Er gehörte zu der Zahl jener anscheinend kühlen und schüchternen Männer, die immer in Frieden mit sich leben, deren Gewissen allein durch den Gedanken erregt wird, ein Gesuch, welcher Art es auch sein möge, betreiben zu sollen, und deren Beförderung nach den langsamen Gesetzen des Dienstalters erfolgt. Obschon er 1802 Unterleutnant geworden, war er trotz seines grauen Schnurrbarts 1829 erst Eskadronchef; sein Leben war jedoch so untadelig, daß sich ihm kein Mann aus der Armee, und wäre er auch General, näherte, ohne ein Gefühl unwillkürlichen Respektes zu empfinden; ein unbestrittener Vorzug, den seine Vorgesetzten ihm vielleicht nicht verziehen. Zum Lohne dafür zollten die einfachen Soldaten ihm alle ein weniges von jenem Gefühl, das Kinder für eine gute Mutter hegen; denn ihnen gegenüber wußte er duldsam und streng zugleich zu sein. Ehedem war er ja Soldat wie sie gewesen und kannte die traurigen Freuden und die freudigen Miseren, die verzeihlichen oder strafbaren Verstöße der Soldaten, die er stets seine Kinder nannte, und die er im Felde gern Lebensmittel oder Futter bei den Bürgern auftreiben ließ. Was seine intime Geschichte anlangte, so war sie in tiefstes Dunkel gehüllt. Wie fast alle Militärs jener Epoche hatte er die Welt nur durch den Kanonenrauch oder während der so seltenen Friedensmomente inmitten des vom Kaiser unterhaltenen europäischen Ringens gesehen. Hatte er ans Heiraten gedacht oder nicht? Die Frage blieb unentschieden. Obwohl niemand bezweifelte, daß der Major Genestas, als er so von Stadt zu Stadt, von Landschaft zu Landschaft zog und den von den Regimentern und für sie gegebenen Festen beiwohnte, Frauengunst genossen habe, hatte doch niemand die geringste Gewißheit darüber. Ohne prüde zu sein, ohne eine Lustpartie auszuschlagen, ohne die militärischen Sitten zu verletzen, schwieg er sich aus oder antwortete mit einem Gelächter, wenn er nach seinen Liebschaften gefragt wurde. Auf die Worte: »Und Sie, lieber Major?«, die von einem Offizier beim Trinken an ihn gerichtet wurden, erwiderte er:

      »Trinken wir, meine Herren!«

      Als eine Art Ritter ohne Furcht und Tadel, ohne damit zu prunken, zeigte Monsieur Pierre-Joseph Genestas weder etwas Poetisches noch Romantisches an sich, so durchschnittlich erschien er. Sein Gehaben war das eines reichen Mannes. Obwohl sein Vermögen nur in seinem Sold bestand und sein Abschied mit Pension seine ganze Zukunft war, hatte der Eskadronschef, den alten, mit allen Wassern gewaschenen Handelswölfen gleich, denen Rückschläge eine Erfahrung, die an Eigensinn grenzt, verliehen haben, immer den Sold für zwei Jahre als Rücklage und gab seine Bezüge niemals ganz aus. Er war so wenig Spieler, daß er seine Stiefel beschaute, wenn man in Gesellschaft einen Ersatzspieler oder beim Écarté einen Einsatzzuschuß verlangte. Wenn er sich nichts Außergewöhnliches erlaubte, fehlte ihm doch nichts, dessen er bedurfte. Länger als bei jedem anderen Regimentsoffiziere hielten seine Uniformen infolge der Sorgfalt, die ein bescheidenes Einkommen erzeugt, und die bei ihm eine ganz mechanische Gewohnheit geworden war. Vielleicht würde man ihn für geizig gehalten haben ohne die wundervolle Uneigennützigkeit, ohne die brüderliche Gefälligkeit, mit der er irgendeinem durchs Kartenspiel oder eine andere Narrheit zugrunde gerichteten Leichtfuß seine Börse öffnete. Er schien früher bedeutende Summen beim Spiel verloren zu haben, soviel Zartgefühl zeigte er beim Erweisen einer Gefälligkeit. Er hielt sich nicht für berechtigt, die Handlungen seines Schuldners zu kontrollieren und sprach nie von seiner Schuld. Als ein Kind der Truppe und alleinstehend wie er war, hatte er die Armee zu seinem Vaterlande und sein Regiment zu seiner Familie gemacht. Auch forschte man selten dem Grunde seiner soliden Sparsamkeit nach; man begnügte sich damit, sie dem recht natürlichen Verlangen, die Früchte seines Wohlstandes für seine alten Tage zu vermehren, zuzuschreiben. Sein Ehrgeiz bestand vermutlich darin, sich, wenn er Oberstleutnant der Kavallerie geworden, mit seiner Pension und den Oberstenepauletten irgendwohin aufs Land zurückzuziehen. Wenn junge Offiziere nach dem Manöver über Genestas plauderten, ordneten sie ihn in die Klasse jener Menschen ein, die auf dem Gymnasium den Ehrenpreis erlangt haben und während ihres Lebens sorgfältig, brav, leidenschaftslos, nützlich und fade wie Weißbrot bleiben; ernsthafte Leute aber beurteilten ihn recht anders. Oft entschlüpften diesem Manne irgendein Blick, ein sinnvoller Ausspruch, wie es das Wort des Menschenscheuen ist, und zeugten von Seelenstürmen in ihm. Wenn man seine ruhige Stirn genau prüfte, verriet sie die Macht, den Leidenschaften Schweigen zu gebieten und sie in den Grund seines Herzens zurückzudrängen, eine teuer durch die Gewöhnung an Gefahren und die unvorhergesehenen Unglücksfälle des Krieges erkaufte Macht. Der Sohn eines Pairs von Frankreich, der neu ins Regiment gekommen war, hatte eines Tages, als man über Genestas sprach, gesagt, daß er sicherlich der gewissenhafteste Priester oder der ehrenwerteste der Krämer geworden wäre: »Fügen Sie hinzu: der am wenigsten dem Marquis den Hof macht,« antwortete er, ihn mit den Blicken messend, dem jungen Gecken, der glaubte, von seinem Vorgesetzten nicht gehört worden zu sein.

      Die Zuhörer brachen in ein Gelächter aus: des Leutnants Vater schmeichelte allen einflußreichen Leuten, und war als elastischer Mann gewohnt, bei allen Revolutionen wieder obenauf zu kommen; und der Sohn artete dem Vater nach.

      In den französischen Armeen haben sich mehrere solcher Charaktere gefunden, die gelegentlich recht eigentlich groß waren, nach der Schlacht aber wieder einfach wurden, die sich nicht um Ruhm kümmerten und die Gefahr vergaßen; man ist ihnen vielleicht öfters begegnet, als es die Fehler unserer Natur anzunehmen erlauben. Indessen würde man sich außerordentlich täuschen, wenn man glaubte, daß Genestas vollkommen gewesen sei. Mißtrauisch, zu heftigen Zornausbrüchen neigend, hartnäckig in den Diskussionen, vor allem rechthaberisch, wenn er unrecht hatte, steckte er voller nationaler Vorurteile. Aus seinem Soldatenleben hatte er eine Vorliebe für den guten Wein beibehalten. Wenn er ein Festmahl mit dem ganzen Dekorum seines Ranges verließ, erschien er ernst, nachdenklich und wollte dann niemanden in seine heimlichen Gedanken einweihen. Kurz, er kannte die Sitten der Welt und die Gesetze der Höflichkeit, eine Art Instruktion, die er mit militärischer Strenge wahrte, sehr wohl. Wenn er auch natürlichen und erworbenen Geist besaß, wenn er sich auf Taktik, Manöver, die Theorie der Fechtkunst zu Pferde und die schwierigen Fragen der Tierheilkunde verstand, so lagen seine Studien doch sehr im argen. Er wußte, aber sehr unklar, daß Cäsar ein römischer Konsul oder Kaiser, Alexander ein Grieche oder Mazedonier gewesen war; den Ursprung oder den Rang des einen oder des andern hätte er ohne Diskussion zugegeben. Auch wurde er bei wissenschaftlichen oder historischen Unterhaltungen ernst und begnügte sich damit, sich mit kleinen billigenden Kopfneigungen wie ein tiefgründiger Mensch, der beim Pyrrhonismus angelangt ist, daran zu beteiligen. Als Napoleon am 13. Mai 1809 in dem Bulletin, welches sich an die große Armee, die Herrin von Wien, wendete, von Schönbrunn aus schrieb, »daß die österreichischen Fürsten wie Medea ihre Kinder mit ihren eigenen Händen erwürgt hätten«, wollte der eben zum Hauptmann ernannte Genestas die Würde seines Ranges durch die Frage, wer Medea sei, nicht bloßstellen. Er verließ sich darin auf Napoleons Genie, da er gewiß war, daß der Kaiser der großen Armee und dem Hause Oesterreich nur offizielle Dinge sagen dürfe; er dachte, Medea sei eine Erzherzogin von zweideutiger Aufführung. Da die Sache indes das Militärhandwerk betreffen konnte, war er nichtsdestoweniger der Medea des Bulletins wegen unruhig bis zu dem Tage, wo Mademoiselle Raucourt die Medea wiederholt in den Spielplan aufnehmen ließ. Nachdem der Hauptmann die Anzeige gelesen hatte, unterließ er es nicht, sich abends ins Théâtre Français zu begeben, um die berühmte Schauspielerin in dieser mythologischen Rolle zu sehen, über die er sich bei seinen Nachbarn erkundigte. Ein Mann indessen, der als simpler Soldat genug Energie besessen hatte, um Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen, mußte einsehen, daß er sich als Hauptmann zu bilden habe. So las er denn seit der Zeit mit Eifer Romane und neue Bücher, die ihm eine Halbbildung verschafften, aus welcher er ziemlichen Vorteil zog. In seiner Dankbarkeit seinen Lehrern gegenüber ging er so weit, Pigault-Lebrun in Schutz zu nehmen und behauptete, er finde ihn lehrreich und oft tief.

      Dieser Offizier, den seine erworbene Klugheit keinen nutzlosen Schritt tun ließ, hatte Grenoble verlassen und begab sich nach der Grande-Chartreuse, nachdem er am Vorabend von seinem Oberst einen achttägigen Urlaub erhalten. Er rechnete damit, keinen

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