Скачать книгу

über die der Unreine nicht hinauskommt: die Zahl, in der die Schöpfung zu Ende ist.

XII.

      Die Einheit ist der Ausgangspunkt alles dessen gewesen, was je geschaffen wurde; daraus gingen die zusammengesetzten Körper hervor; aber das Ende muß dem Anfang genau gleich sein. Daher die folgende geistige Formel: zusammengesetzte Einheit veränderliche Einheit, feststehende Einheit.

XIII.

      Das Universum ist also die Verschiedenheit in der Einheit. Die Bewegung ist das Mittel, die Zahl das Ergebnis. Das Ende ist die Rückkehr aller Dinge zur Einheit, das ist Gott.

XIV.

      Drei und sieben sind die beiden größten geistigen Zahlen.

XV.

      Drei ist die Formel für die geschaffenen Welten. Sie ist das geistige Zeichen der Schöpfung, wie sie das materielle Zeichen der Kreislinie ist. Denn Gott ist in der Tat nur in Kreislinien zu Werke gegangen. Die gerade Linie ist das Attribut des Unendlichen; der Mensch, der das Unendliche ahnt, gibt sie in seinen Werken wieder. – Zwei ist die Zahl der Zeugung, drei ist die Zahl der Existenz, die Zeugung und Erzeugtes umfaßt. Man füge die Zahl vier hinzu, so ergibt es sieben: die Formel des Himmels. Gott steht darüber, er ist die Einheit.

      Nachdem ich Lambert noch einmal besucht hatte, verließ ich seine Frau und verfiel in Ideen, die dem täglichen Leben so entgegengesetzt waren, daß ich, trotz meines Versprechens, nicht wieder nach Villenoix zurückkehrte. Der Anblick Louis' hatte einen unbeschreiblich düsteren Einfluß auf mich gehabt. Ich fürchtete mich wieder in diese nervenaufreizende Atmosphäre zu begeben, in der die Ekstase ansteckend war. Jeder hätte wie ich die Lust verspürt, sich in das Unendliche zu stürzen, gleich jenen Soldaten, die sich alle in dem Schilderhaus heim Lager von Boulogne töteten, weil es der erste von ihnen dort getan hatte. Es ist bekannt, daß Napoleon dieses Schilderhaus verbrennen lassen mußte, da in ihm sich Ideen angesammelt hatten, die wie totbringende Miasmen waren. – Vielleicht war es mit Louis' Zimmer wie mit jenem Schilderhaus? Diese beiden Tatsachen waren noch Beweise mehr für sein System von der Übertragung des Willens. Ich empfand eine ganz ungewöhnliche Unruhe, die stärker war, als hätte ich Tee, Kaffee oder Opium genossen, und ich hatte ein merkwürdiges Gefühl von Schlaf oder Fieber, wie es so oft unsere Köpfe verwirrt.

      Diese Gedankenbruchstücke hätte ich vielleicht zu einem ganzen Buch verarbeiten sollen; sie sind nur jenen Geistern verständlich, die daran gewöhnt sind, sich über den Rand des Abgrunds zu beugen, um auf dessen Grund zu schauen. Ich hätte das Leben dieses gewaltigen Gehirns, das gleich einem allzu großen Reich in allen seinen Fugen krachte, schildern sollen, hätte die Visionen dieses Wesens darstellen sollen, das durch allzu große Kraft oder durch allzu große Schwäche unvollkommen war. Aber ich wollte lieber von meinen eigenen Eindrücken Rechenschaft geben als ein mehr oder weniger poetisches Werk schaffen.

      Lambert starb im Alter von achtundzwanzig Jahren, am 25. September, in den Armen seiner Freundin. Sie ließ ihn auf einer der Inseln im Park von Villenoix begraben. Auf seinem Grab steht ein einfaches Steinkreuz ohne Namen, ohne Datum. Gleich einer Blume, die am Rande des Abgrunds geboren war, sollte er auch wieder ungekannt dort hinuntergleiten, mit allen ungekannten Farben und Düften. Hat er nicht – gleich vielen unverstandenen Menschen – oft voll Stolz in das Nichts untertauchen wollen, um dort die Geheimnisse seines Lebens zu begraben? Doch hätte Fräulein von Villenoix wohl das Recht gehabt, den Namen Lamberts auf dieses Kreuz zu setzen und den ihren dazu. Denn seit dem Tode ihres Gatten war die neue Vereinigung die Sehnsucht jeder ihrer Stunden. Aber die Eitelkeit des Schmerzes ist einem treuen Herzen fremd. – Villenoix verfällt. Lamberts Gattin wohnt nicht mehr dort, gewiß, um im Geiste besser schauen zu können, wie sie früher dort gelebt hatte. Hat man sie nicht noch kürzlich sagen hören: »Mir gehörte sein Herz, Gott gehört sein Geist.«

      Der Landarzt

      (1833)

      I: Das Land und der Mensch

      An einem schönen Frühlingsmorgen des Jahres 1829 verfolgte ein etwa fünfzigjähriger Mann zu Pferde einen Gebirgsweg, der nach einem großen, bei der Grande-Chartreuse gelegenen Marktflecken führt. Dieser Marktflecken ist der Hauptort eines volkreichen Kreises, der von einem langen Tal gebildet wird. Ein reißender Bergstrom, dessen steiniges Bett häufig trocken ist, nun aber infolge der Schneeschmelze gefüllt war, benetzt das Tal, das von zwei parallellaufenden Höhenzügen, die auf allen Seiten von den Gipfeln Savoyens und des Dauphiné beherrscht werden, eingeengt wird. Obwohl die zwischen der Kette der beiden Mauriennes liegenden Landstriche sich ähnlich sehen, zeigt der Bezirk, durch welchen der Fremde reiste, Geländeformationen und Nebenlichter, wie der Maler sagt, die man anderswo vergeblich suchen würde. Bald zeigt das plötzlich breiter werdende Tal einen unregelmäßigen Rasenteppich von jenem Grün, das die beständige von den Bergen stammende Bewässerung zu allen Jahreszeiten so frisch und für das Auge so wohltuend erhält. Bald zeigt eine Schneidemühle ihre bescheidenen, malerisch hingestellten Gebäude, ihren Vorrat an langen, geschälten Fichtenstämmen und ihren Wasserlauf, der von dem Wildbach abgeleitet und durch große, grob ausgehöhlte Holzröhren geführt wird, durch deren Risse ein Netz von Wasserstrahlen entweicht. Hier und da erwecken strohgedeckte Hütten, umgeben von Gärten voll blütenbedeckter Obstbäume, die Gedanken, die eine arbeitsame Armut einflößt. Weiterhin kündigen Häuser mit roten Dächern, die aus flachen, runden und fischschuppenähnlichen Ziegeln zusammengesetzt sind, anhaltender Arbeit verdankte Wohlhabenheit an. Endlich sieht man über jeder Türe den aufgehängten Korb, in welchem Käse trocknen. Ueberall sind die Tür- und Fensteröffnungen und Zäune durch Weinstöcke belebt, die, wie in Italien, an kleinen Ulmen emporwachsen, deren Laub man dem Vieh zu fressen gibt. Durch eine Laune der Natur sind die Berge an manchen Stellen so nahe aneinandergerückt, daß es dort weder Gebäude noch Felder, noch Strohhütten mehr gibt. Nur durch den Wildbach getrennt, der in Kaskaden dahinbraust, erheben sich die beiden hohen, mit schwarznadligen Fichten und hundert Fuß hoch aufstrebenden Buchen bedeckten Granitmauern. All diese Bäume sind kerzengerade, durch Moosflecken seltsam gefärbt, an Laub verschieden und bilden prachtvolle Säulenhallen, die oberhalb und unterhalb des Weges von formlosen Erdbeerbaum-, Schneeball-, Buchsbaum- und Rotdornhecken eingefaßt werden. Die starken Düfte dieser Sträucher vermischen sich mit den herben Gerüchen der Gebirgsnatur und den durchdringenden Ausdünstungen junger Lärchen-, Pappel- und harziger Fichtentriebe. Einige Wolken zogen zwischen den Felsen, verschleierten und enthüllten abwechselnd die graufarbigen Spitzen, die häufig ebenso dunstig waren wie die Wetterwolken, deren weiche Flocken sich dort zerteilten. Jeden Augenblick veränderte das Land sein Gesicht und der Himmel sein Licht; die Berge wechselten ihre Farben, die Gießbäche ihre Schattierungen und die Täler ihre Formen: vervielfachte Bilder, deren unerwartete Gegensätze, sei es ein durch die Baumstämme fallender Sonnenstrahl, sei es eine natürliche Lichtung oder einige Geröllhalden inmitten des Schweigens, in der Jahreszeit, wo alles jung ist, wo die Sonne am klaren Himmel flammt, einen köstlichen Anblick boten. Kurz, es war ein schönes Land, es war Frankreich!

      Der hochgewachsene Reisende war ganz in blaues Tuch gekleidet, das ebenso sorgfältig gebürstet war, wie es allmorgendlich das glatte Fell seines Pferdes sein mußte, auf welchem er gerade und festgewachsen wie ein alter Kavallerieoffizier saß. Wenn seine schwarze Krawatte und seine Wildlederhandschuhe, wenn die Pistolen, die seine Halfter füllten, und der auf der Kruppe seines Pferdes sorgsam befestigte Mantelsack nicht schon den Militär angekündigt hätten, so würden sein braunes, pockennarbiges, aber regelmäßiges und augenscheinliche Sorglosigkeit verratendes Gesicht, seine entschiedenen Bewegungen, die Sicherheit seines Blicks, seine Kopfhaltung, kurz alles, jene Regimentsgewohnheiten angezeigt haben, die ein Soldat niemals, selbst wenn er ins Privatleben zurückgekehrt ist, ablegen kann. Jeder andere würde sich über die Schönheit dieser Alpennatur, die so strahlend ist, wo sie mit den großen Becken Frankreichs verschmilzt, entzückt haben, der Offizier aber, der zweifelsohne die Länder durcheilt hatte, in welche die französischen Armeen durch die kaiserlichen Kriege geführt wurden, genoß diese Landschaft, ohne indes durch die Mannigfaltigkeit ihrer wechselnden Bilder überrascht zu erscheinen. Erstaunen ist ein Gefühl, das Napoleon in der Seele seiner Soldaten zerstört zu haben scheint: so ist denn auch die Ruhe des Antlitzes ein sicheres Zeichen, woran ein Beobachter Männer erkennen kann, die ehedem unter den vergänglichen, aber unvergeßlichen Adlern des großen Kaisers eingereiht gewesen sind. Dieser Mann war tatsächlich

Скачать книгу