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Ringen um den Tod, die Augen tränenüberströmt, das Antlitz flammend, in dieser fürchterlichen Verzweiflung enthüllte sie dem liebestrunkenen Raphael tausend Schönheiten, die seinen rasenden Taumel noch steigerten. Behend wie ein Raubvogel stürzte er sich auf sie, zerriß den Schal und wollte sie umfangen.

      Der Sterbende suchte nach Worten, um das Verlangen auszudrücken, das all seine Kräfte verzehrte; aber nur ersticktes Röcheln entrang sich seiner Brust, immer tiefer bohrte sich jeder Atemzug in seinen Körper und schien schließlich aus den Eingeweiden aufzusteigen. Als er zuletzt fast keinen Ton mehr hervorbrachte, grub er seine Zähne in Paulines Busen. Entsetzt von den Schreien, die er vernahm, kam Jonathas herbeigeeilt und versuchte dem jungen Mädchen den Leichnam zu entreißen, auf dem sie in einem Winkel des Gemachs kauerte.

      »Was wollen Sie?« sagte sie; »er gehört mir, ich habe ihn getötet. Hatte ich es nicht vorhergesagt?«

      Epilog

      Und was wurde aus Pauline? –

      Ah! Pauline? Ja. Bist du manchmal an einem stillen Winterabend daheim geblieben, am Kamin hast du dich, während du die Streifen betrachtetest, die das Feuer auf einem Eichenscheit hervorzauberte, schmerzlich-süß in Erinnerung an Liebe und Jugend verloren? Hier zeichnet das Feuer die roten Felder eines Damebretts; dort schimmert es wie Samt; kleine graue Flammen laufen über die heiße Glut, hüpfen und züngeln spielerisch. Da kommt ein unbekannter Maler, er bedient sich dieser Flamme; mit einzigartiger Kunst zeichnet er mitten in diese flammenden violetten und purpurroten Töne eine übernatürliche Gestalt von wundervoller Zartheit, eine flüchtige Erscheinung, die der Zufall nie wieder erschaffen wird: Es ist eine Frau, ihre Haare wehen im Wind, ihr Antlitz atmet glückselige Leidenschaft: Feuer im Feuer! Sie lächelt, sie haucht aus, du wirst sie nie wieder erblicken! Leb wohl, du Blume der Flamme! Leb wohl, du unerwartetes, unvollendetes Element; du kamst zu früh oder zu spät, um ein schöner Diamant zu werden.

      Aber Pauline? –

      Du hast es nicht verstanden! Ich will noch einmal beginnen. Platz! Platz! Sie kommt, sie ist da, die Königin der Illusionen, die Frau, die wie ein Kuß vorübergeht, die Frau, die, wie ein Blitz zündend, vom Himmel zuckt, das ungeschaffene Wesen, ganz Geist, ganz Liebe! Sie ist in einen Flammenkörper geschlüpft, oder die Flamme hat sich für sie einen Augenblick lang beseelt! Ihre Konturen sind so rein, daß du weißt: sie ist vom Himmel herniedergestiegen. Strahlt sie nicht wie ein Engel? Hörst du nicht das Rauschen ihrer Flügelschläge? Leichter als ein Vogel läßt sie sich zu dir nieder, und von ihren furchtbaren Augen bist du wie gebannt; ihr Atem ist sanft und stark und zieht deine Lippen mit magischer Gewalt an sich; sie flieht und reißt dich mit sich empor; du fühlst die Erde nicht mehr unter dir. Du möchtest ein einziges Mal mit deiner bebenden Hand, mit deiner verzückten Hand über diesen schneeigen Leib streichen, in ihre goldenen Haare greifen, ihre funkelnden Augen küssen. Ein Duft berauscht dich, eine bezaubernde Musik umkost dich! Ein Zittern durchschauert dich, du bist ganz Sehnen, ganz Qual. O namenloses Glück! Du hast die Lippen dieser Frau berührt; aber mit einem Male weckt dich ein wahnsinniger Schmerz. Ha! Ha! du bist mit dem Kopf gegen die Bettkante gestoßen, du hast braunes Mahagoni, kalte Vergoldung, ein bronzenes Bildwerk, einen kupfernen Amor umarmt.

      Aber Monsieur, Pauline? –

      Noch nicht genug? So höre! Eines schönen Morgens verließ ein junger Mann mit seiner hübschen jungen Frau Tours an Bord der »Ville d'Angers«. Sie standen lange Hand in Hand auf dem Deck und bewunderten über der weiten Fläche der Loire eine weiße Gestalt, die wie aus Wasser und Sonne geboren oder wie ein launisches Gebilde aus Luft und Wolken dem Nebel entstiegen war. Bald Undine, bald Sylphide, schwebte das wesenlose Geschöpf in den Lüften wie ein vergebens gesuchtes Wort, das im Gedächtnis da und dort auftaucht und sich nicht fassen läßt; es wandelte zwischen den Inseln, es lugte aus den Zweigen der hohen Pappeln hervor; dann wurde es riesengroß, ließ die tausend Falten seines Gewandes erglänzen oder den Strahlenkranz, den die Sonne um sein Antlitz wob, aufleuchten; es schwebte über die Dörfer, über die Hügel dahin und schien dem Dampfschiff verwehren zu wollen, am Schloß Ussé vorüberzufahren. Man mochte sie für die »Dame des belles Cousines« halten, die ihr Reich gegen das Eindringen der modernen Zeit schützen wollte.

      Schön, ich verstehe; soviel von Pauline. Aber Fœdora? – Oh! Fœdora, du wirst ihr begegnen. Sie war gestern in den Bouffons, heute abend geht sie in die Oper, sie ist überall. Sie ist, wenn du so willst, die Gesellschaft.

      Paris, 1830-1831

      Anmerkungen

      Nach mehrfachen Veröffentlichungen von Fragmenten des Werkes in verschiedenen Zeitschriften – Dezember 1830 in »La Caricature« unter dem Titel »Le Dernier Napoléon« (Der letzte Napoleon), Mai 1831 in der »Revue des Deux Mondes« unter dem Titel »Une Débauche« (Eine Ausschweifung) und unter dem Titel »Le Suicide d'un poëte« (Der Selbstmord eines Dichters) in der »Revue de Paris« im Mai 1831 – erfolgte die erste vollständige Ausgabe unter dem Titel »La Peau de chagrin« (Das Chagrinleder) im August 1831. Im gleichen Jahr wurde der Roman mit zwölf weiteren Erzählungen in einer Ausgabe unter dem Titel »Romans et Contes philosophiques« (Philosophische Romane und Erzählungen) veröffentlicht; in gleicher Form die dritte Auflage 1833. 1835 erschien bei Werdet »La Peau de chagrin« in Band I bis IV der »Études philosophiques« (Philosophische Studien) und wurde 1845 in den Band I der »Études philosophiques« der »Comédie humaine« (Menschliche Komödie) eingereiht.

      Louis Lambert

      (1832)

      Louis Lambert wurde 1797 in Montoire geboren, einem kleinen Städtchen in der Landschaft Vendôme, wo sein Vater eine kleine Gerberei betrieb. Er hatte den Sohn zu seinem Nachfolger bestimmt, aber die Neigungen, die derselbe schon frühzeitig für das Studium zeigte, änderten die Pläne des Vaters. Zudem liebten die Gerbersleute Louis so, wie man eben einen einzigen Sohn liebt, und legten ihm keinerlei Hindernisse in den Weg. Mit fünf Jahren war Louis das alte und neue Testament in die Hände gefallen, und dieses Buch, das so viele Bücher umfaßt, hatte sein Schicksal bestimmt. Begriff der kindliche Verstand schon die geheimnisvolle Tiefe der Heiligen Schrift, konnte er dem Heiligen Geist in seinem Fluge durch die Welt folgen; liebte er nur den romantischen Zauber, der in diesen orientalischen Dichtungen enthalten war; oder sympathisierte diese Seele in ihrer ersten Unschuld mit dem religiös Erhabenen, das göttliche Hände in diesem Buche ausgestreut haben? Einigen Lesern wird unsere Erzählung diese Fragen beantworten. Eine Folge hatte diese erste Lektüre der Bibel jedenfalls: Louis ging durch ganz Montoire und sammelte Bücher, die er auch bekam, dank jener Unwiderstehlichkeit, die allein das Geheimnis der Kinder ist und der niemand etwas abschlagen kann. Bei dieser Art Studium, das von keinem Menschen überwacht wurde, erreichte er sein zehntes Lebensjahr. Damals waren Ersatzmänner für den militärischen Dienst sehr selten zu bekommen; viele reiche Familien sicherten sie sich daher schon im voraus, um dann bei der Aushebung nicht in Verlegenheit zu kommen. Aber das geringe Vermögen der armen Gerbersleute gestattete es ihnen nicht, für ihren Sohn auch einen Ersatzmann zu kaufen. So fanden sie nur in dem geistlichen Stand das einzige ihnen vom Gesetz übriggelassene Mittel, ihren Sohn vor dem Militär zu bewahren. Sie schickten ihn daher im Jahre 1807 zu seinem Onkel mütterlicherseits, dem Pfarrer von Mer, einer anderen kleinen Stadt, die an der Loire, in der Nähe von Blois, gelegen ist. Diese Wahl befriedigte sowohl die Leidenschaft Louis' für die Wissenschaft wie auch den Wunsch seiner Eltern, ihn nicht den Zufälligkeiten des Krieges ausgesetzt zu sehen. Seine Neigung für das Studium und sein frühreifer Geist gaben zudem zu der Hoffnung Anlaß, daß er es in seiner kirchlichen Laufbahn noch einmal weit bringen werde. Nachdem Louis ungefähr drei Jahre bei seinem Onkel geblieben war, einem alten gelehrten Oratorianer, verließ er diesen zu Anfang des Jahres 1811, um in das Institut zu Vendôme einzutreten, wo er auf Madame de Staëls Veranlassung und Kosten untergebracht worden war.

      Lambert verdankte die Protektion dieser berühmten Frau dem Zufall oder besser der Vorsehung, die dem hilflosen Genie stets die Wege zu ebnen weiß. Aber uns, deren Blicke an der Oberfläche der menschlichen Dinge haften bleiben, erscheinen diese Schicksalswendungen, für die das Leben der großen Männer uns so viele Beispiele gibt, nur als das Resultat eines rein natürlichen Vorganges. Und für die meisten Biographen erhebt sich das Haupt eines Genies über die Massen wie eine schöne Pflanze,

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