Скачать книгу

. Mit dieser Ehe hat es noch gute Wege; der Marquis d'Aubrion wird seine Tochter nicht dem Sohn eines Bankrotteurs geben. Ich hatte den jungen Mann aufgesucht, um ihm mitzuteilen, welche Mühen sein Onkel und ich uns gegeben haben, um die Angelegenheiten seines Vaters zu ordnen, und um ihm Kenntnis zu geben von den Manövern, mittels deren es uns gelungen war, die Gläubiger bis heute ruhig zu halten. Hatte der impertinente Wicht da die Keckheit, mir zu antworten mir, der ich mich seit fünf Jahren Tag und Nacht seinen Interessen und seiner Ehre widmete . . ., daß die Geschäfte seines Vaters nicht die seinigen seien. Ein Rechtsbeistand hätte ihm ein Honorar von dreißig- bis vierzigtausend Francs, d. h. ein Prozent der Schuldsumme, abverlangen können. Aber nur Geduld, er schuldet seinen Gläubigern noch heute eine Million zweihunderttausend Francs, und ich werde seinen Vater bankrott erklären lassen. Ich habe mich in dieser ganzen Sache auf das Wort des alten Krokodils Grandet verlassen und habe im Namen der Familie Versprechungen gemacht. Wenn den Comte d'Aubrion seine Ehre wenig kümmert – die meinige liegt mir sehr am Herzen! Ich werde also den Gläubigern meine Lage dartun. Trotz allem aber habe ich zu viel Hochachtung für Mademoiselle Eugénie, der wir uns in glücklicheren Zeiten zu verbinden gedachten, um zu handeln, ehe Du sie von der Lage der Dinge unterrichtet hast . . .‹

      Hier hörte Eugénie auf zu lesen und gab mit kühler Miene den Brief zurück.

      »Ich danke Ihnen«, sagte sie zu Madame des Grassins; »wir werden sehen . . .«

      »Jetzt haben Sie ganz den Tonfall Ihres seligen Vaters«, sagte Madame des Grassins.

      »Madame«, unterbrach Nanon, »Sie haben uns achttausendeinhundert Francs in Gold auszuzahlen.«

      »Ja, das stimmt, Madame Cornoiller; haben Sie also die Güte, mit mir zu kommen.«

      »Monsieur le Curé«, sagte Eugénie, als sie sich mit ihm allein sah, mit edler Würde, »ist es eine Sünde, in der Ehe Jungfrau zu bleiben?«

      »Das ist eine Gewissensfrage, deren Lösung mir unbekannt ist. Wenn Sie wissen möchten, was der berühmte Sanchez in seiner Abhandlung ›De matrimonio‹ darüber äußert, so könnte ich es Ihnen morgen sagen.«

      Der Pfarrer ging. Mademoiselle Grandet stieg in das Arbeitszimmer ihres Vaters hinauf und verbrachte dort einsam den Tag; trotz der Bitten Nanons erschien sie nicht zum Mittagessen. Erst am Abend, zur Stunde, da sich, wie üblich, die Gäste einfanden, ließ sie sich wieder blicken. Niemals war der Saal der Grandets so voll gewesen wie an diesem Abend. Die Neuigkeit von der Rückkehr und frechen Untreue Charles' hatte sich in der ganzen Stadt verbreitet. Wie aufmerksam aber auch die Neugier der Besucher spähte, sie wurde nicht befriedigt. Eugénie, die dergleichen erwartet hatte, zeigte in ihrem Antlitz kein Abbild der furchtbaren Erschütterungen, von denen ihr Gemüt betroffen worden war. Denen, die ihr bekümmerte Worte sagten, antwortete sie mit heiterem Gesicht; sie verstand es, ihr Unglück hinter der Maske der Höflichkeit zu verbergen.

      Gegen neun Uhr hörten die Spiele auf, die Spieler zahlten sich aus, verließen ihre Plätze, sprachen dabei über ihre Stiche im Whist und gesellten sich zur Gruppe der Plaudernden. Dann, als alles sich erhoben hatte, um nach Hause zu gehen, erfolgte ein Ereignis, ein Theatercoup, der in ganz Saumur, im ganzen Bezirk und in vier umliegenden Provinzen seinen Widerhall fand.

      Eugénie wandte sich an Monsieur de Bonfons, der bereits seinen Stock genommen hatte, und sagte: »Bleiben Sie, Monsieur le Président!«

      Es war nicht ein einziger in dieser großen Versammlung, den diese Worte nicht seltsam bewegt hätten. Der Präsident erbleichte und mußte sich niedersetzen.

      »Dem Präsidenten also die Millionen!« sagte Mademoiselle de Gribeaucourt.

      »Ja, es ist klar: der Präsident de Bonfons wird Mademoiselle Grandet heiraten«, rief Madame d'Orsonval.

      »Seht, das ist die beste Karte, die heute gezogen worden ist«, sagte der Abbé.

      Jeder machte seine Bemerkung, jeder machte seinen Witz, alle erblickten die Erbin auf ihren Millionen thronen wie auf einem Piedestal. Das vor neun Jahren begonnene Drama fand endlich seinen Abschluß. Vor den Augen von ganz Saumur den Präsidenten zum Bleiben bitten – was konnte das anders heißen, als daß sie ihn zu ihrem Gemahl machen wollte! In einer Kleinstadt werden die gesellschaftlichen Regeln so streng befolgt, daß ein solcher Bruch der Etikette einem feierlichen Versprechen gleichkam.

      »Monsieur le Président«, sagte Eugénie bewegt, als sie sich mit ihm allein sah, »ich weiß, was Ihnen an mir gefällt. Schwören Sie mir, mir mein Leben lang die Freiheit zu lassen, mir gegenüber keins der Rechte auszuüben, welche die Ehe Ihnen einräumt – und meine Hand gehört Ihnen. Oh!« fuhr sie fort, als sie sah, daß er in die Knie sank, »ich habe noch nicht alles gesagt. Ich darf Sie nicht betrügen: ich trage eine unsterbliche Liebe im Herzen. Das einzige Gefühl, das ich meinem Gatten schenken kann, ist Freundschaft. Ich will ihn nicht kränken, doch ebensowenig die Stimme meines Herzens ersticken. Noch eins: Ich kann Ihnen meine Hand und mein Vermögen nur gegen den Preis eines großen Dienstes, den Sie mir erweisen müßten, anvertrauen.«

      »Sie sehen mich zu allem bereit«, sagte der Präsident.

      »Hier sind eine Million fünfhunderttausend Francs, Monsieur le Président«, sagte sie und zog aus ihrem Busen eine Quittung über hundert Aktien der Bank von Frankreich; »reisen Sie nach Paris, nicht morgen, nicht heute nacht, sondern augenblicklich. Begeben Sie sich zu Monsieur des Grassins, erkundigen Sie sich nach den Namen aller Gläubiger meines Onkels, versammeln Sie diese, bezahlen Sie alles, was noch zu bezahlen ist – Kapital und Zinsen zu fünf Prozent vom Tage der Schuld bis zum Tage der Einlösung; ferner sorgen Sie dafür, daß eine notariell beglaubigte Generalquittung ausgestellt wird. Sie sind Richter – ich kann in dieser Sache einzig und allein in Sie mein Vertrauen setzen. Sie sind ein gerechter, ein vornehmer Mann; ich vertraue auf Ihr Wort und werde den Gefahren des Lebens im Schutze Ihres Namens entgegentreten. Wir werden einer dem andern Nachsicht entgegenbringen. Wir kennen uns nun so lange, wir sind fast Verwandte, Sie werden mich nicht unglücklich machen wollen.«

      Der Präsident fiel der reichen Erbin zu Füßen; er zitterte vor Glück und Bangigkeit. »Ich bin Ihr Sklave!« sagte er.

      »Wenn Sie die Quittung haben, Monsieur le Président«, fuhr sie mit einem kalten Blick fort, »so bringen Sie sie mit allen Schuldtiteln meinem Cousin Grandet und übergeben Sie ihm diesen Brief. Bei Ihrer Rückkehr werde ich mein Wort einlösen.«

      Der Präsident begriff, ja er begriff, daß er den Besitz Mademoiselle Grandets einer enttäuschten Liebe verdanke; daher beeilte er sich, die ihm gegebenen Befehle mit aller Eile auszuführen, damit nicht etwa noch eine Versöhnung zwischen den beiden Liebenden stattfinden könne.

      Als Monsieur de Bonfons fort war, sank Eugénie in einen Sessel und zerfloß in Tränen. Nun war es vollbracht. Alles war zu Ende.

      Der Präsident stieg in die Post und traf am andern Abend in Paris ein. Am folgenden Morgen ging er zu des Grassins. Der Beamte berief die Gläubiger in das Büro des Notars, bei dem die Schuldverschreibungen deponiert waren. Obwohl es Gläubiger waren, muß man ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie kamen alle pünktlich.

      Dort also bezahlte ihnen der Präsident de Bonfons im Namen von Mademoiselle Grandet die ganze Schuld – Kapital und Zinsen. Die Begleichung auch der Zinsen war für die Pariser Handelswelt ein ganz unerhörtes Ereignis.

      Nachdem die Quittung ausgefertigt war und des Grassins für seine Mühen die Summe von fünfzigtausend Francs erhalten hatte, die Eugénie ihm bewilligt hatte, begab sich der Präsident in das Palais d'Aubrion und traf dort: Charles, gerade als er nach einer ernsten Unterredung mit seinem Schwiegervater seine Gemächer wieder betrat. Der alte Marquis hatte ihm soeben erklärt, daß seine Tochter ihm nur dann angehören könne, wenn alle Gläubiger Guillaume Grandets bezahlt worden wären.

      Der Präsident übergab zunächst folgenden Brief:

      ›Lieber Cousin!

      Monsieur le président de Bonfons hat es übernommen, Ihnen eine Quittung über alle von meinem Onkel geschuldeten Summen zu übergeben, sowie auch eine solche, in der ich bestätige, diese Summe von Ihnen erhalten zu haben. Man hat mir von Bankrotterklärung gesprochen. Da dachte ich, daß der Sohn eines Bankrotteurs vielleicht

Скачать книгу