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sagte sie, »erscheint er doch nicht älter als Monsieur Cruchot; er ist Witwer und hat Kinder, das ist wahr; aber er ist Marquis, er wird Pair von Frankreich werden; wo fände man in unserer Zeit eine ähnlich günstige Heirat? Ich weiß von gewissen Absichten, die Vater Grandet hatte, als er seine Güter mit dem Grundbesitz von Froidfond vereinigte; er hatte die Absicht, sich mit den Froidfonds zu liieren; das hat er mir oft gesagt. Er war schlau, der gute Mann.« –

      »Was mag das nur heißen, Nanon«, sagte Eugénie eines Abends beim Schlafengehen, »in sieben Jahren hat er mir nicht ein einziges Mal geschrieben! . . .«

      Während sich diese Dinge in Saumur ereigneten, machte Charles in Indien sein Glück. Seinen Vorrat an europäischen Waren hatte er sofort gut verkauft und eine Summe von sechstausend Dollar dafür eingeheimst. Die Taufe, die ihm beim Passieren des Äquators zuteil geworden, hatte manches Vorurteil von ihm abgewaschen. Er wurde sich klar, daß das beste Mittel, zu Geld zu gelangen, in den Tropen wie in Europa im Handel mit Menschen bestand. Er begab sich also an die afrikanische Küste und betrieb den Sklavenhandel, indem er seiner Menschenware auch noch allerlei andere Handelsartikel zugesellte, die er auf den verschiedenen Märkten als Tauschware vorteilhaft verhandelte. Er entfaltete eine rege geschäftliche Tätigkeit, die ihm keine freie Minute ließ. Es war ein Gedanke, der ihn völlig beherrschte: er wollte in Paris in allem Glanze eines riesigen Vermögens wieder einziehen und eine noch glänzendere Stellung erwerben, als er früher innegehabt hatte. Sein Beruf, der ihn von Land zu Land führte und ihn mit Menschen aller Klassen in Berührung brachte, ihm die entgegengesetztesten Sitten vor Augen führte, nahm ihm gar bald den idealen Sinn und machte ihn zum Skeptiker. Er hatte keine feststehenden Anschauungen mehr über Recht und Unrecht, da er im einen Lande als Verbrechen verurteilt sah, was im andern als Tugend gewertet wurde. Das beständige Geschäftemachen stumpfte sein Herz ab, machte es kalt, eng und dürr. Das Blut der Grandets verleugnete sich auch in ihm nicht: Charles wurde hart, geldgierig. Er verkaufte Chinesen, Neger, Schwalbennester, Kinder, Artisten; er betrieb den Wucher im großen. Wie er die Rechte des Staates mißachtete, indem er ihn um den Zoll betrog, so galten ihm auch Menschenrechte nichts mehr. Er ging auch nach St. Thomas und kaufte dort zu Spottpreisen die von den Piraten erbeuteten Waren, um sie da wieder zu verkaufen, wo sie gerade gebraucht werden konnten.

      Wenn ihn auf seiner ersten großen Reise die edle und reine Gestalt Eugénies begleitete, wie die spanischen Seeleute das Bild der heiligen Jungfrau mit auf die Schiffe nehmen, und wenn er seine ersten Erfolge dem magischen Einfluß der Schwüre und Gebete dieses sanften Herzens zuschrieb, so wurde dies bald anders: Negerinnen, Mulattinnen, Weiße, Javanerinnen, Bajaderen, die Orgien aller Rassen und die Abenteuer, die er in diesen südlichen Ländern erlebte, verlöschten vollkommen die Erinnerung an seine Cousine, an Saumur, an das alte Haus, an die morsche Bank und an die im Hausflur geraubten Küsse. Er entsann sich nur des kleinen, von alten Mauern umschlossenen Gärtchens, weil hier sein unsicheres Geschick seinen Anfang genommen hatte; seine Familie aber verleugnete er: sein Onkel war ein alter Hund, der ihm seine Schmucksachen abgegaunert hatte; Eugénie erfüllte weder sein Herz noch seine Gedanken; ihr Name war – als Gläubigerin von sechstausend Francs – lediglich mit seiner Berufsarbeit verknüpft.

      Diese Lebensführung und diese Anschauungen erklären das Schweigen Charles Grandets zur Genüge. Der Spekulant hatte sich einen Decknamen beigelegt, unter dem es ihm leichter wurde, seine dunklen Geschäfte in Indien, St. Thomas, an der afrikanischen Küste, in Lissabon und in den Vereinigten Staaten abzuschließen: Carl Sepherd durfte sich ja überall als unermüdlich, verwegen, habgierig erweisen, als ein Mann, der beabsichtigt, quibuscumque viis sein Glück zu machen, und der sich auf schlechten, unehrlichen Wegen beeilt, um für den Rest seiner Tage als anständiger Mensch leben zu können. Bei solchen Grundsätzen kam er sehr bald zu einem glänzenden Vermögen.

      Im Jahre 1827 kehrte er also mit der hübschen Brigg ›Marie Caroline‹, die einem royalistischen Handelshause gehörte, nach Bordeaux zurück. Er besaß eine Million neunhunderttausend Francs in Goldstaub, der drei starke Fässer füllte und den er mit sieben bis acht Prozent Gewinn in Paris zu Geld zu machen gedachte.

      Auf dieser Brigg befand sich auch ein Kammerherr Seiner Majestät König Karls X., Monsieur d’Aubrion, ein guter alter Herr, der die Dummheit begangen hatte, eine femme à la mode zu heiraten, und der auf den Antillen Ländereien besessen hatte. Infolge der Verschwendungssucht seiner Gattin hatte er seine dortigen Besitzungen verkaufen müssen. Monsieur und Madame d’Aubrion – vom Hause d’Aubrion de Buch, dessen letzter Landeshauptmann vor 1789 gestorben war – hatten ein Einkommen von etwa zwanzigtausend Francs und eine recht häßliche Tochter, welche die Mutter ohne Mitgift zu verheiraten gedachte, da das Vermögen kaum für die Pariser Lebensführung genügte. Dies war ein Unterfangen, dessen Erfolg jedermann fraglich erscheinen mußte, ungeachtet der Geschicklichkeit, die man den Damen von Welt zuzusprechen pflegt. Madame d'Aubrion selber verzweifelte beim Anblick ihrer Tochter an der Möglichkeit, einen Mann für sie zu finden, sei es auch ein Mann, der den Ehrgeiz hatte, sich mit einer Adelsfamilie zu liieren.

      Mademoiselle d'Aubrion war lang und dünn, wie das Insekt, dessen Namen sie trug; sie war bleich und schmächtig, hatte einen verächtlichen Mund, auf den sich eine zu lange, unten verdickte Nase herabsenkte. Diese Nase, die in normalem Zustand gelb war, erstrahlte nach jeder Mahlzeit in tiefem Rot – ein naturwissenschaftliches Phänomen, das sich in diesem bleichen und gelangweilten Antlitz noch unangenehmer ausnahm als irgendwo sonst. Kurz, sie war ganz so, wie eine noch schöne Mutter von achtunddreißig Jahren sich nur die Tochter wünschen kann. Als Gegengewicht gegen alle diese Nachteile aber hatte die Marquise d'Aubrion ihrer Tochter ein vornehmes Auftreten beigebracht, hatte sie einer hygienischen Kur unterworfen, die der Nase wenigstens zeitweise ein annehmbares Aussehen verlieh; sie hatte ferner die Tochter die Kunst gelehrt, sich geschmackvoll zu kleiden, hatte ihr kokette Manieren beigebracht und den melancholischen Augenaufschlag, der den Mann interessiert und ihn glauben macht, den lang erträumten Engel auf Erden vor sich zu sehen; sie hatte ihr gezeigt, wie sie jedesmal dann, wenn die Nase sich röte, ihr Füßchen sehen lassen müsse, damit man seine Niedlichkeit bewundern könne – sie hatte also aus ihrer Tochter das Menschenmögliche gemacht. Mit Hilfe weiter Ärmel, lügnerischer Taille, bauschiger, reichgarnierter Kleider und einem hochschnürenden Korsett hatte sie eine so reizvolle Weiblichkeit zustande gebracht, daß sie sie zur Belehrung der Mütter eigentlich in einem Museum hätte ausstellen müssen.

      Charles schloß sich sehr an Madame d'Aubrion an, die dies natürlich bezweckt hatte. Einige Leute behaupten sogar, daß die schöne Madame d'Aubrion während der Überfahrt kein Mittel unversucht ließ, um einen so reichen Schwiegersohn zu fangen. Als man sich im Juni 1827 in Bordeaux ausschiffte, stieg die Familie d'Aubrion mit Charles in dem nämlichen Hotel ab und reiste dann zusammen mit ihm nach Paris weiter.

      Das Palais d'Aubrion war über und über mit Hypotheken belastet; Charles sollte es davon befreien. Die Mutter hatte schon davon gesprochen, daß es sie beglücken werde, ihrem Schwiegersohn und ihrer Tochter das ganze Erdgeschoß zur Verfügung zu stellen. Da sie Monsieur d'Aubrions adlige Vorurteile nicht teilte, hatte sie Charles versprochen, von Karl X. eine königliche Verfügung zu erwirken, derzufolge er, Grandet, den Namen d'Aubrion annehmen und sich das Wappen zulegen könne; auch wolle sie erreichen, daß er, vermittelst der Gründung eines Majorates von sechsunddreißigtausend Livres Rente, von d'Aubrion den Titel eines Landeshauptmann de Buch und Marquis d'Aubrion erben könne. Wenn man alles Geld zusammenwarf und in gutem Einvernehmen lebte, so konnte man mit Hilfe einiger Sinekuren für das Palais d'Aubrion eine Rente von über hunderttausend Livres erzielen.

      »Und wenn man hunderttausend Livres Rente hat, einen Namen, eine Familie, wenn man hoffähig ist – denn ich werde Sie zum Kammerherrn machen –, so kann man alles werden, was man eben werden will«, sagte sie zu Charles. »Wenn Sie nur wollen, so können Sie Berichterstatter über die Bittschriften im Staatsrat werden, Präfekt, Gesandtschaftssekretär, Gesandter. Karl X. liebt d'Aubrion sehr, sie kennen sich seit ihrer Kindheit.«

      Charles, den diese Frau zum Ehrgeiz aufgestachelt hatte, hatte während der Überfahrt alle diese Hoffnungen geliebkost, die ihm da von geschickter Hand und mit den Zeichen größter Vertraulichkeit dargereicht wurden. Da er die Schulden seines Vaters von seinem Onkel getilgt glaubte, sah er sich nun als großen Herrn im Faubourg Saint-Germain, wohin jetzt alles strebte, vor Anker gehen, wo er im Schatten

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