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solche Pracht überwältigte, sprach von seiner Herrin mit Tränen in den Augen: er würde sich für sie in Stücke hacken lassen. Madame Cornoiller, die ganz Eugénies Vertraute geworden war, genoß auch in dieser Hinsicht eine Glückseligkeit, die der andern, einen Gatten zu haben, nicht nachstand. Endlich durfte sie selbst die Speisekammer öffnen und schließen und des Morgens die Tagesvorräte austeilen, wie es ihr seliger Herr getan hatte. Ferner herrschte sie über zwei Dienstboten, denn man hatte eine Köchin ins Haus genommen und eine Kammerfrau, die die Hauswäsche auszubessern und die Kleider von Mademoiselle Grandet anzufertigen hatte. Cornoiller vereinigte in sich das Amt eines Wächters und Verwalters. Es erübrigt sich zu sagen, daß die von Nanon aufgenommenen beiden Dienstboten wahre ›Perlen‹ waren. Mademoiselle Grandet hatte also vier Dienstboten, deren Ergebenheit grenzenlos war. Die Pächter spürten nicht den Tod Grandets, so streng hatte dieser seine Geschäftsgrundsätze, sein Arbeitssystem festzulegen gewußt, und Monsieur und Madame Cornoiller führten alles in seinem Sinne weiter.

      Mit dreißig Jahren kannte Eugénie noch nicht eine der Glückseligkeiten des Lebens. Ihre bleiche, traurige Jugend hatte sich im Schatten einer Mutter abgespielt, deren verkanntes, zertretenes Herz nur von Leid wußte. Diese Mutter schied mit Freuden aus dem Leben und beklagte nur die Tochter, weil sie noch leben müsse, und pflanzte in ihre Seele viel Reue und ewiges Wehklagen.

      Eugénies erste, einzige Liebe war für sie Trauer und Schwermut geworden. Als sie ihren Geliebten kaum flüchtig kannte, hatte sie ihm zwischen zwei heimlichen Küssen ihr Herz geschenkt. Dann war er abgereist und hatte eine ganze Welt trennend zwischen sie gelegt. Diese Liebe, die ihr Vater verwünscht und die ihrer Mutter und ihr fast das Leben gekostet hatte, brachte ihr nur tiefe Schmerzen, vermischt mit spärlichen Hoffnungsstrahlen. So hatte sie also bislang dem Glück entgegengestrebt und ihre Kräfte aufgezehrt für nichts und immer wieder nichts.

      Auch im geistigen Leben gibt es wie im körperlichen ein Ein- und Ausatmen. Die Seele hat das Bedürfnis, die Empfindungen einer andern Seele in sich aufzunehmen, einzusaugen, für sich zu verarbeiten und – nun reicher geworden – zurückzuerstatten. Das Herz lebt nicht, solange es dies schöne Wunder noch nicht kennt, es fehlt ihm die Luft, es leidet und siecht dahin. Eugénie begann zu leiden. Für sie hatte das Geld weder Macht noch Tröstung; sie konnte nur in der Liebe leben, im Glauben, in der Hingabe an eine frohe Zukunft. Die Ewigkeit – das war für sie die Liebe. Ihr Herz und das Evangelium verhießen ihr zwei Welten. Tag und Nacht stürzte sie sich in das dunkle Wirrsal zweier unendlicher Gedanken, die wohl für sie in eins verschmolzen. Sie zog sich in sich selbst zurück, liebte und glaubte sich geliebt. Seit sieben Jahren hatte diese Leidenschaft an Macht gewonnen und alles andere erstickt. Eugénies Schätze! Das waren nicht die Millionen, deren Einkünfte sich immer mehr vergrößerten, das war das kleine Köfferchen, das Charles ihr anvertraut hatte; das waren die beiden Porträts, die über ihrem Bett hingen; das waren die ihrem Vater abgekauften Schmucksachen, die in ihrer Kommode sorgsam auf Watte ausgebreitet lagen; das war der Fingerhut ihrer Tante, den auch ihre Mutter benutzt hatte und den sie alle Tage fromm zur Hand nahm, um an einer Stickerei zu arbeiten, einer Penelopearbeit, die nur unternommen wurde, um dieses kostbare, erinnerungsreiche Gold am Finger zu haben.

      Es schien nicht wahrscheinlich, daß Mademoiselle Grandet sich noch während der Trauerzeit verheiraten würde. Ihre aufrichtige Frömmigkeit war zu bekannt. So begnügte sich auch die Familie Cruchot, deren Vorgehen der alte Abbé stets weise leitete, die Erbin durch hingebende Anhänglichkeit zu umgarnen. Jeden Abend füllte sich der graue Saal mit den treuesten und ergebensten Cruchotanern der ganzen Gegend, die einander überboten, in allen Tonarten das Lob der Hausfrau zu singen. Man stellte ihr einen Hausarzt, einen Kaplan, einen Kammerherrn, eine Oberhofmeisterin, einen Premierminister und vor allem einen Kanzler – einen Kanzler, der sie in allem bevormunden wollte. Hätte die Erbin noch einen Schleppenträger gewünscht, man hätte ihr auch den aufgetrieben. Sie war eine Königin, und selten wohl wurde eine Königin so eifrig angebetet.

      Die Schmeichelei ist keine Eigenschaft der großen Seelen, sie ist die Lebensbedingnis der kleinen Geister, die dadurch Erfolg suchen, daß sie sich kleiner machen, als sie schon sind, um so leichter in die Lebenssphäre desjenigen, zu dem sie hinstreben, eindringen zu können. Die Schmeichelei hat immer ein egoistisches Motiv. Auch diese Leute, die da alle Abende den Saal von Mademoiselle Grandet füllten, die sie Mademoiselle de Froidfond nannten, verstanden es wunderbar, Loblieder zu singen.

      Dieses Konzert, das Eugénie neu war, ließ sie zuerst erröten; aber nach und nach, wie plump diese Schmeicheleien auch sein mochten, gewöhnte sich ihr Ohr so sehr daran, ihre Schönheit rühmen zu hören, daß, wenn irgendein neuer Gast sie häßlich gefunden haben würde, solch ein Vorwurf sie weit empfindlicher getroffen hätte als vor acht Jahren. Schließlich gewann sie diese Süßigkeiten lieb, die sie im stillen ihrem Idol zu Füßen legte. Sie gewöhnte sich allmählich daran, sich als Königin verehrt und ihr Hoflager alle Abende gefüllt zu sehen.

      Monsieur le Président de Bonfons war der Held dieses kleinen Kreises, wo man seinen Geist, seine Persönlichkeit, sein Wissen, seine Liebenswürdigkeit ohne Unterlaß rühmte. Der eine machte darauf aufmerksam, daß er seit sieben Jahren sein Vermögen sehr vergrößert habe, daß die Besitzung Bonfons wenigstens zehntausend Francs Rente einbringe und sich, wie alle Güter der Cruchots, als Enklave inmitten der ausgedehnten Liegenschaften der Erbin befinde.

      »Wissen Sie wohl, Mademoiselle«, sagte einer der Hausfreunde, »daß die Cruchots über vierzigtausend Livres Rente verfügen?«

      »Und ihre Ersparnisse!« fuhr eine alte Cruchotanerin, Mademoiselle de Gribeaucourt, fort. »Ein Monsieur aus Paris hat unlängst Monsieur Cruchot zweihunderttausend Francs für seine Notariatspraxis geboten. Er sollte sie aufgeben, da er zum Friedensrichter ernannt werden kann.«

      »Er will Monsieur de Bonfons' Stellung als Gerichtspräsident übernehmen und sich dafür vorbereiten«, erwiderte Madame d'Orsonval; »denn der Präsident wird Rat werden und später noch zu den höchsten Ämtern kommen; ihm stehen gar viele Mittel zur Verfügung, um hochzukommen.«

      »Ja, das ist ein ganz ausgezeichneter Mann«, sagte ein anderer. »Finden Sie nicht auch, Mademoiselle Grandet?«

      Der Präsident hatte versucht, sich mit der Rolle, die er zu spielen gedachte, in Harmonie zu setzen; trotz seiner vierzig Jahre, trotz seines braunen und abstoßenden Gesichts, das mürrisch und verbissen war wie alle Juristengesichter, gebärdete er sich als junger Mann, schlenkerte ein Rohrstöckchen, hatte sich bei Mademoiselle de Froidfond das Schnupfen abgewöhnt und erschien dort stets mit weißer Krawatte und einem frischen Hemd, dessen mächtige Spitzenfalten ihm eine gewisse Verwandtschaft mit der Familie der Truthühner verschaffte. Er sprach mit der schönen Erbin recht vertraut und nannte sie ›unsere liebe Eugénie‹. Wenn man von der großen Zahl der Gäste und dem Fehlen von Monsieur und Madame Grandet absah und das Lotto durch das Whistspiel ersetzte, so glichen die Abende jetzt gar sehr der Szene, wie sie sich eingangs dieser Geschichte im grauen Saale abzuspielen pflegte. Eugénie und ihre Millionen waren nach wie vor von der Meute verfolgt, aber die Meute war nun zahlreicher, bellte besser und umkreiste ihr Opfer in brüderlicher Eintracht. Wäre Charles plötzlich aus Indien zurückgekehrt, er hätte dieselben Personen hier angetroffen und dieselben Interessen: Madame des Grassins, für die Eugénie voll Liebenswürdigkeit und Güte war, verstand sich noch immer darauf, die Cruchots zu quälen; aber auch jetzt – wie ehemals – hätte die Gestalt Eugénies das Bild beherrscht, wie ehemals wäre Charles der Überragende gewesen.

      Dennoch war da ein Fortschritt zu verzeichnen. Das Bukett, das der Präsident früher Eugénie zu ihrem Geburtstag überreichte, war nun ein ständiges Requisit geworden. Jeden Abend überbrachte er der reichen Erbin einen mächtigen und kostbaren Strauß, den Madame Cornoiller feierlich in eine Vase stellte und, sobald die Besucher sich empfohlen hatten, heimlich in einen Winkel des Hofes warf.

      Zu Beginn des Frühlings versuchte Madame des Grassins das Glück der Cruchotaner zu trüben, indem sie zu Eugénie vom Marquis de Froidfond sprach, dessen Ruin behoben werden könne, falls die Erbin ihm durch einen Ehevertrag seinen Grundbesitz wieder zuführen würde. Madame des Grassins redete hohe Töne von der Pairswürde, von dem Titel einer Marquise und nahm das verächtliche Lächeln Eugénies als Entgegenkommen auf, so daß sie erzählen ging, die Ehepläne des Präsidenten Cruchot näherten

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