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und gebohnert sind. Nichts ist trübseliger als dieser Salon mit seinen Sesseln und Stühlen, die mit hell und dunkel gestreiftem Rips bezogen sind. In der Mitte steht ein runder Tisch mit Marmorplatte, darauf ein Service aus weißem Porzellan mit halbverblichener Goldverzierung, wie man es heute überall antrifft. Das Zimmer, dessen Holzfußboden recht schäbig ist, ist bis zur Reichhöhe getäfelt. Der übrige Teil der Wände ist mit einer lackierten Tapete bedeckt, die die Hauptszenen des »Telemach« darstellt und deren klassische Persönlichkeiten koloriert sind. Die Fläche zwischen den beiden Fenstern zeigt das Fest, das Kalypso zu Ehren des jungen Telemach gibt. Seit 40 Jahren weckt dieses Gemälde die Spottsucht der jüngeren Pensionäre, die über der Situation zu stehen glauben, wenn sie sich über das karge Mahl lustig machen, zu dem ihre Armut sie verurteilt. Den steinernen Kamin, dessen stets sauberer Rost bekundet, daß nur bei großen Gelegenheiten Feuer in ihm entzündet wird, schmücken zwei Vasen mit alten, verstaubten künstlichen Blumen. Sie leisten einer Uhr aus bläulichem Marmor Gesellschaft, die von schlechtestem Geschmack zeugt. Dieser Raum strömt einen Geruch aus, für den es der Sprache an einer Bezeichnung fehlt und den man »Pensionsgeruch« nennen müßte. Es riecht dumpfig, schimmlig, ranzig, es macht einen frösteln, es schlägt auf den Atem, durchdringt die Kleider; es ist die Luft eines Zimmers, in dem gespeist worden ist, es riecht nach Dienstbotenzimmer, nach Speisekammer und Krankenhaus. Aber wenn man dieses Zimmer mit dem daran anstoßenden Speisesaal vergliche, so würde man es, trotz seiner abgeschmackten Scheußlichkeit, so elegant und parfümiert finden, wie ein Boudoir sein soll. Das Speisezimmer, das ganz getäfelt ist, hatte früher einmal einen Anstrich, dessen Farbe heute nicht mehr festzustellen ist. Diese Farbe bildet den Untergrund für eine dicke Schmutzschicht, die bizarre Figuren gebildet hat. Das Zimmer ist rings umgeben von klebrigen Büfetts, auf denen beschädigte trübe Karaffen stehen, metallbeschlagene Filzuntersätze und Haufen von Tellern aus dickem Tournaier Porzellan mit blauen Rändern. In einer Ecke befindet sich ein Schrank mit numerierten Fächern zur Aufnahme der wein- und fettbefleckten Servietten aller Kostgänger. Man findet hier jene sogenannten unverwüstlichen Möbel, die überall längst der Ächtung verfallen sind und die hier wirken wie die Trümmer der Zivilisation in einem Krankenhaus für Unheilbare. Da sieht man ein Barometer mit einem Kapuziner, dessen Erscheinen Regen bedeutet, weiterhin abscheuliche Gravüren, die einem den Appetit nehmen, alle in schwarzen Lackrahmen mit vergoldeten Streifen; dann steht da eine Wanduhr aus Schildpatt mit Messingverzierungen, ferner ein grüner Ofen, Argander Lampen, auf denen der Staub sich mit dem Öl vermengt hat, ein Tisch mit Wachstuchdecke, die so schmutzig ist, daß mutwillige Dinergäste ihren Namen mit dem Finger darauf eintragen können, wacklige Stühle, kleine Strohmatten, deren Flechtwerk sich dauernd auflöst, ohne jedoch je unbrauchbar zu werden, endlich elende Schüsselwärmer mit defekten Scharnieren, deren Holz langsam verkohlt. Um ganz zu schildern, wie alt, wurmstichig, faul, wacklig, verbraucht und dem Ende nahe dieses Mobiliar ist, müßte man eine so lange Beschreibung geben, daß das Interesse an unserer Geschichte davon zu sehr beeinträchtigt würde und daß uns der eilige Leser nicht verzeihen könnte. Der rotgestrichene Fußboden ist voller Vertiefungen, die vom Reinigen und Anstreichen herrühren. Kurzum – hier herrscht überall ein prosaisches Elend, eine sparsame, konzentrierte, fadenscheinige Misere. Was noch nicht völlig vom Dreck überzogen ist, hat auch Schmutzflecke; und wenn es noch keine Löcher hat und sich noch nicht in Lumpen hüllt, es wird doch in Verfall übergehen.

      Das Speisezimmer zeigt sich in seinem wahren Glanze in dem Augenblick, wenn gegen 7 Uhr morgens die Katze der Madame Vauquer, noch vor ihrer Herrin, erscheint, auf die Büfetts springt, an der Milch in den mit Tellern zugedeckten Töpfen schnüffelt und ihr Morgenschnurren hören läßt. Bald taucht auch die Witwe Vauquer selbst auf, eine Tüllhaube auf dem Kopf, aus der einige Strähnen schlecht geordneter falscher Haare hervorhängen. Beim Gehen schleppt sie ihre ausgetretenen und sozusagen grimassenschneidenden Pantoffel nach. Ihr verblühtes, fleischiges Gesicht, dessen Mitte eine Nase wie ein Papageienschnabel ziert, ihre kleinen dicken Hände, ihre gedrungene Figur, die sie einer Kirchenratte ähnlich macht, ihre schlotternde Morgenjacke, alles das steht ganz im Einklang mit dem Speisesaal, aus dessen Ecken das Elend grinst, in dem sich der Geiz verkrochen hat, dessen stinkende schale Luft Madame Vauquer aber ohne Beklemmung einatmet. Ihr Gesicht, auf dem etwas von der Frische des Herbstreifes liegt, die in Runzeln gebetteten Augen, deren Ausdruck zwischen einem Balletteusenlächeln und dem sauertöpfischen Blinzeln des Gerichtsvollziehers schwankt, ihre ganze Person überhaupt macht die Atmosphäre ihrer Pension deutlich, ebenso wie die Pension ihre Inhaberin kennzeichnet. Bagno und Kerkermeister, eines läßt sich nicht vom andern trennen. Die Aufgeschwemmtheit dieser kleinen Frau ist das Ergebnis ihrer Lebensweise, so wie der Typhus die Folge der Ausdünstungen des Hospitals ist. Ihr Überwurf aus gestrickter Wolle, unter dem der aus einer alten Robe hergestellte Rock durchscheint – seine Watte quillt aus dem zerschlissenen Stoff sichtbar hervor –, sie sind Symbol und Inbegriff des Salons, des Speisesaales und des Gärtchens, sie lassen auf die Küche schließen und die Pensionäre vorausahnen.

      Wenn Madame Vauquer anwesend ist, ist das Schauspiel vollständig. Sie ist etwa 50 Jahre alt und ähnelt all den Frauen, »die Unglück gehabt haben«. Sie hat den glasigen Blick und die unschuldsvolle Miene einer Kupplerin, die sich gleich ereifern wird, um einen höheren Preis herauszuschlagen, und die zu allem bereit ist, wenn etwas für sie selbst dabei herausspringt, die Georges öder Pichegru ausliefern würde, wenn sie es noch könnte. Trotzdem ist sie im Grunde eine »gute Frau«, wie die Pensionäre sagen, die sie für arm halten, weil sie ebenso hustet und stöhnt wie sie selber. Was war wohl ihr Mann gewesen? Sie selbst äußert sich niemals über den verstorbenen Vauquer. Wie hatte er sein Vermögen verloren? »Er hat Unglück gehabt«, erwidert Madame Vauquer stets, wenn man sie danach fragt. Er hatte sie schlecht behandelt, ihr nur die Augen zum Weinen hinterlassen, ihr Haus, um zu leben, und das Recht, mit keinem Unglücklichen Mitleid zu haben, weil sie, wie sie es ausdrückte, alles erduldet hatte, was man nur erdulden kann. Sobald Sylvia, die dicke Köchin, das Geschlurfe ihrer Herrin hörte, beeilte sie sich, den im Haus wohnenden Pensionären das Frühstück zu servieren.

      In der Regel abonnierten die Gäste, die auswärts wohnten, nur auf das Diner; das kostete 50 Francs im Monat. Zur Zeit, wo diese Geschichte beginnt, betrug die Zahl der Pensionsgäste sieben. In der ersten Etage lagen die beiden besten Wohnungen des Hauses. Madame Vauquer bewohnte das einfachere Appartement, das andere Madame Couture, die Witwe eines Zahlmeisters der republikanischen Armee. Bei ihr lebte ein sehr junges Mädchen, Victorine Taillefer, an dem Madame Couture Mutterstelle vertrat. Beide Damen zahlten 1800 Francs jährlich Pension. Von den beiden Appartements des zweiten Stockes bewohnte das eine ein alter Herr namens Poiret, das andere ein Mann von etwa 40 Jahren mit schwarzer Perücke und gefärbtem Backenbart, der sich als ehemaliger Kaufmann ausgab und Vautrin hieß. Die dritte Etage bestand aus vier Zimmern. Zwei davon waren ständig vermietet, das eine an eine alte Jungfer, Mademoiselle Michonneau, das andere an einen früheren Nudel- und Stärkefabrikanten, der Vater Goriot genannt wurde. Die beiden anderen Zimmer waren für »Zugvögel« bestimmt, für arme Studenten, die ebenso wie Vater Goriot und Mademoiselle Michonneau nur 45 Francs monatlich für Wohnung und Essen ausgeben konnten. Madame Vauquer lag an der Anwesenheit solcher Zugvögel nicht sonderlich viel, und sie nahm sie nur, wenn sich nichts Besseres fand: Sie aßen zu viel Brot. Zur Zeit wurde eines von diesen Zimmern von einem jungen Mann bewohnt, der aus der Gegend von Angoulême stammte und Jura studierte. Seine Familie legte sich die größten Entbehrungen auf, um ihm 1200 Francs jährlich senden zu können. Eugen de Rastignac – so hieß er – war einer von den jungen Menschen, die die Armut zur Arbeit erzieht, die schon in jungen Jahren die Hoffnungen begreifen, die ihre Eltern auf sie setzen, die sich auf eine große Laufbahn vorbereiten, indem sie ihren Studiengang genau regeln und ihn von vornherein den künftigen gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen, um später die ersten zu sein, die sie ausnutzen; ohne Rastignacs sorgsame Beobachtungen und ohne die Geschicklichkeit, mit der er sich in den Pariser Salons zu bewegen wußte, fehlte unserer Geschichte die Wahrheit. Seinem Scharfsinn und seinen Bemühungen ist es gelungen, das Geheimnis eines furchtbaren Schicksals aufzuklären, das ebenso sorgsam von denen verborgen wurde, die es verursacht hatten, wie von dem, der es erdulden mußte.

      Über der dritten Etage befanden sich ein Wäscheboden sowie zwei Mansarden, in denen der Hausbursche Christoph und die dicke Köchin Sylvia schliefen. Neben den sieben Hauspensionären hatte Madame Vauquer jahraus, jahrein noch acht Studenten der Rechte und der

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