Скачать книгу

Gott sei Dank, ich kann meinen Kaffee jeden Morgen für den Rest meiner Tage aus diesem Kännchen trinken. Ich bin nicht zu beklagen, für mich ist Brot genug gebacken.« Schließlich hatte Madame Vauquer mit ihren Elsteraugen auch einige Anleihepapiere entdeckt, die dem vortrefflichen Goriot nach oberflächlicher Schätzung ein Einkommen von 8000 bis 10 000 Francs sicherten. Seit diesem Tage hatte Madame Vauquer, geborene de Conflans, die damals 48 Jahre alt war, aber nur 39 gelten ließ, ihre eigenen Ideen. Obwohl Goriot an einer Schwellung der Tränensäcke litt, die ihn zwang, sich recht häufig die Augen zu wischen, fand sie ihn sehr angenehm und comme il faut. Auch schienen seine vollen Waden, ebenso wie seine lange starke Nase Qualitäten vorauszusagen, auf die die Witwe hielt. Und dies wurde durch das etwas dumme Vollmondgesicht des Alten bestätigt. Das mußte ein trefflich gebauter Kerl sein, fähig, all seinen Geist in Gefühlen auszugeben. Seine Haare, die wie Taubenflügel abstanden und die der Friseur des Polytechnikums jeden Morgen puderte, zeichneten auf seiner niedrigen Stirn fünf Löckchen ab, die seinem Gesicht recht gut standen. Obwohl ein wenig bäuerisch, war er doch stets adrett. Er nahm reichlich aus seiner Tabakdose, als ein Mann, der sicher ist, seine Dose stets voll von dem feinsten Macouba zu finden. Als daher Madame Vauquer am Tage des Einzugs von Monsieur Goriot zu Bett ging, wurde sie wie ein Rebhuhn in seinem Speck von dem Wunsch geröstet, das Bahrtuch Vauquer abzuwerfen und als Frau Goriot wieder aufzuerstehen. Sie träumte davon, sich zu verheiraten, ihre Pension zu verkaufen, an der Seite dieser feinen Blüte des Pariser Bürgertums zu wandeln, eine achtbare Dame im Stadtviertel zu werden, dort für die Armen Kollekten zu sammeln; sie träumte von hübschen Sonntagsausflügen nach Choisy, Soisy, Gentilly, vom Theater, das sie nunmehr nach freiem Belieben besuchen würde, in einer Loge, ohne mehr auf die Freibilletts warten zu müssen, die ihr im Monat Juli manchmal ihre Pensionäre schenkten. Kurz, sie erträumte sich das ganze Dorado des Pariser Bürgertums. Sie hatte noch niemandem verraten, daß sie, Sou bei Sou, 40 000 Francs aufgehäuft hatte. Vom finanziellen Standpunkt aus konnte sie sich somit gewiß als eine gute Partie betrachten. »Was das übrige betrifft, so nehme ich es mit dem Alten noch auf«, sagte sie sich, indem sie sich im Bett herumwälzte, als wollte sie sich selbst die Reize beweisen, deren Abdruck die dicke Sylvia jeden Morgen im Bett vorfand.

      Von diesem Tage ab ließ sich Frau Vauquer drei Monate lang vom Friseur des Monsieur Goriot bedienen. Auch gab sie einiges Geld für ihre Toilette aus, was mit der Notwendigkeit begründet wurde, dem Haus in Anbetracht seiner vornehmen Gäste ein gewisses Dekorum zu verleihen. Sie bemühte sich sehr, einen Wechsel unter ihren Pensionären herbeizuführen und verkündete, daß sie in ihrem Haus in Zukunft nur noch durchaus »erstklassige Persönlichkeiten« aufnehmen werde. Sprach ein Fremder bei ihr vor, so rühmte sie besonders das Vertrauen, das Monsieur Goriot, »einer der angesehensten und größten Geschäftsleute von Paris«, ihr entgegengebracht hatte. Sie ließ Prospekte verteilen, an deren Kopf groß gedruckt prangte: HAUS VAUQUER. Es war, wie der Prospekt ausführte, eine der ältesten und geachtetsten bürgerlichen Pensionen des Quartier Latin. Es gäbe da eine herrliche Aussicht auf das Tal von Gobelins (man konnte es von der dritten Etage aus tatsächlich sehen) und weiter einen »hübschen Garten«, an dessen Ende sich eine Lindenallee hinziehe. Madame Vauquer sprach in dem Prospekt auch von guter Luft und ruhiger Lage.

      Dieser Prospekt führte ihr die Gräfin de l'Ambermesnil zu, eine Frau von 36 Jahren, die die Regelung einer Pension abwarten wollte, welche ihr als Witwe eines »auf dem Felde der Ehre« gefallenen Generals zustand. Madame Vauquer sorgte für besseres Essen, ließ im Salon sechs Monate lang heizen und hielt die Versprechungen des Prospektes so gut, daß sie »zulegte«. Dafür versprach die Gräfin der Madame Vauquer, die sie ihre »liebe Freundin« nannte, daß sie ihr die Baronin Vaumerland und die Witwe des Obersten Graf Picquoiseau zuführen würde, zwei ihrer Freundinnen, die im Viertel von Marais ihre Pension gekündigt hatten, weil sie kostspieliger war als die im Hause Vauquer. Diese Damen würden übrigens ein anständiges Einkommen haben, wenn die Demobilisierungsbüros erst einmal ihre Arbeit beendet hätten.

      »Aber«, sagte sie, »diese Büros werden ja überhaupt nicht fertig.« Die beiden Damen stiegen nach dem Diner meist gemeinsam in das Zimmer der Madame Vauquer hinauf und hielten dort einen kleinen Klatsch, tranken Cassis und aßen Leckerbissen, die für die Herrin des Hauses reserviert waren. Madame de l'Ambermesnil billigte die Absichten ihrer Gastgeberin auf Goriot durchaus, sie seien ausgezeichnet und sie habe sie vom ersten Tage an vermutet; auch sie hielt Herrn Goriot für einen tadellosen Mann.

      »Meine Liebste, er ist so gesund wie ein Fisch im Wasser«, sagte die Witwe, »ein Mann, der sich vollkommen erhalten hat und der einer Frau noch manch vergnügtes Stündchen bereiten kann.«

      Die Gräfin machte in vornehmer Weise Madame Vauquer einige Bemerkungen über ihre Kleidung, die zu ihren Plänen nicht recht passe.

      »Sie müssen sich kriegsmäßig ausrüsten«, meinte sie.

      Nach vielem Hin- und Herreden gingen die beiden Witwen schließlich zum Palais Royal, wo sie in den Galerien einen Federhut und eine Haube kauften. Die Gräfin schleppte ihre Freundin weiter zum Kaufhaus »La Petite Jeannette«, wo man ein Kleid und einen Schal erstand. Als diese Munition nunmehr verfeuert und die Witwe kampfbereit war, glich sie vollkommen der Abbildung auf dem Schild des Wirtshauses »Boeuf à la mode«. Trotzdem fand sie sich so zu ihrem Vorteil verändert, daß sie sich der Gräfin verpflichtet glaubte, und obwohl sie nicht vom Stamme Gib war, bat sie sie, einen Hut für 20 Francs anzunehmen. Sie rechnete darauf, daß die Gräfin Herrn Goriot sondieren und sie bei ihm herausstreichen würde. Madame de l'Ambermesnil gab sich recht gern zu diesem Spiel her und belagerte den alten Nudelfabrikanten, der ihr schließlich eine Unterredung gewährte. Aber als sie fand, daß er ihren Versuchen, ihn für ihre eigene Rechnung zu verführen, tugendhaft, ja geradezu verstockt widerstand, verließ sie ihn empört über sein grobes Benehmen.

      »Mein Engel«, sagte sie zu ihrer lieben Freundin, »aus diesem Mann ist nichts herauszuholen, er ist ganz lächerlich mißtrauisch, er ist ein Pfennigfuchser, ein Trampel, ein Dummkopf, der Ihnen nur Verdruß bereiten wird.«

      Zwischen Herrn Goriot und Madame l'Ambermesnil waren Dinge vorgefallen, daß sich die Gräfin nicht länger mehr mit ihm unter einem Dach wissen wollte. Am nächsten Tage zog sie aus, wobei sie vergaß, ihre Rechnung für 6 Monate Pension zu bezahlen, und nur alten Plunder, den man auf 5 Francs schätzte, zurückließ. Madame Vauquer stellte verzweifelte Nachforschungen nach ihr an, aber sie konnte von der Gräfin in ganz Paris kein Lebenszeichen entdecken. Sie sprach noch oft von dieser traurigen Affäre, wobei sie sich über ihr zu großes Vertrauen beklagte – in Wirklichkeit war sie mißtrauischer als eine Katze. Aber sie hatte mit vielen Leuten den Charakterzug gemeinsam, ihrer nächsten Umgebung zu mißtrauen und sich dafür dem ersten besten auszuliefern. Diese seltsame, aber wahre moralische Tatsache hat eine Wurzel im menschlichen Herzen, die man leicht entdecken kann. Vielleicht haben manche Menschen von den Personen, mit denen sie zusammen leben, nichts mehr zu gewinnen. Nachdem sie nun die Leere ihrer Seele gezeigt haben, fühlen sie sich von ihnen insgeheim mit der verdienten Strenge verurteilt, aber da sie ein unbezwingliches Verlangen nach Schmeicheleien verspüren und gern die Eigenschaften haben möchten, die sie nicht besitzen, hoffen sie, die Achtung oder das Herz der Fremden zu gewinnen, selbst auf die Gefahr hin, dabei eines Tages hereinzufallen. Endlich gibt es sozusagen käuflich geborene Wesen, die ihren Freunden und nächsten Verwandten nichts Gutes tun, weil dies ihre Pflicht ist. Dagegen verspüren sie einen Kitzel ihrer Eigenliebe, wenn sie Unbekannten Dienste erweisen. Je näher der Kreis ihrer Beziehungen bei ihnen liegt, um so weniger lieben sie, je weiter er sich ausdehnt, um so diensteifriger sind sie. Madame Vauquer gehörte ohne Zweifel zu diesen beiden Menschenarten, die im Grunde ihres Herzens schlecht, falsch und verabscheuungswürdig sind.

      »Wenn ich damals schon hier gewesen wäre«, sagte später Vautrin zu ihr, »so wäre dies Unglück nicht geschehen. Ich hätte diese Gaunerin hübsch entlarvt. Ich kenne solche Schliche.«

      Wie alle engherzigen Gemüter verstand es Madame Vauquer nicht, von den Dingen Abstand zu nehmen und ihre Ursachen richtig zu beurteilen. Sie liebte es, sich für ihre eigenen Fehler an anderen schadlos zu halten. Als sie diesen Verlust erlitt, hielt sie den ehrbaren Nudelfabrikanten für die Quelle ihres Unglückes, und sie begann jetzt, wie sie sagte, sich auf seine Rechnung von ihrer zu großen Vertrauensseligkeit zu ernüchtern. Als sie die Zwecklosigkeit ihrer Liebeslockungen und ihrer Repräsentationsunkosten

Скачать книгу