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nach Idaho zu ziehen. Anscheinend haben sie da oben eine sichere Bleibe.«

      »Und warum hast du's nicht getan?«

      »Eine berechtigte Frage, denn das waren wirklich nette Leute. Wer weiß, vielleicht tu ich's ja eines Tages, mal sehen.« Lexi stützte den Kopf in die Hände und fuhr sich langsam mit den Fingern durch die Haare. »Im Leben kommt es vor allem auf das richtige Timing an.«

      »Das stimmt wohl.«

      »Unbedingt. Ich war genau zum richtigen Zeitpunkt auf der Straße vor der Stadt, sodass mir diese Marines helfen konnten. Außerdem waren wir ausgerechnet dann unterwegs in Richtung Vegas, als Rahab auf uns gestoßen ist. Timing ist nun einmal das A und O. Nimm hier oder dort eine Minute weg, und alles kommt ganz anders.«

      John nickte, während er darüber nachdachte.

      »Carey sollte eigentlich am Vierten des Monats wieder abreisen, ist aber meinetwegen geblieben. Wäre ich nicht gewesen, könnte sie jetzt noch leben.«

      »Oder auch nicht«, relativierte John.

      »Oder doch«, beharrte Lexi entschieden, weil sie nicht wollte, dass er von der Geschichte ablenkte, die sie gerade erzählte.

      »Du darfst dir aber nicht die Schuld dafür geben.«

      »Das darf ich sehr wohl und ich werde es auch auf ewig tun. Damals war ich so selten dämlich.« Mittlerweile lallte Lexi deutlich.

      »Warum ist sie denn geblieben?«, hakte John deshalb nach.

      »Zum Feiern – jedenfalls habe ich das so genannt«, antwortete sie. Dann schaute sie John kurz an und grinste. »Ich weiß, es mag schwer zu glauben sein, aber ich konnte mal so richtig die Kuh fliegen lassen.«

      John machte ein verdutztes Gesicht und kicherte dann. »Was du nicht sagst.«

      »Jetzt habe ich wenigstens einen richtigen Grund zum Trinken. Es hilft mir beim Vergessen, während ich damals einfach nur zum Spaß gesoffen habe.«

      Er wusste, dass das nicht einmal im Ansatz stimmte.

      »Bist du sicher, dass du dir meine traurige Geschichte noch weiter anhören willst?«

      »Es muss darin doch auch Lichtblicke gegeben haben.«

      »Nein, glaub mir, die gab es nicht. Das ist jetzt nicht auf dich direkt bezogen, aber wieso denken Männer immer, dass sie Frauen zum Besten halten können?«

      »Was meinst du damit?«

      »Nur, dass Männer Frauen andauernd wie Sachgegenstände behandeln, die man befummeln, ausnutzen und dann einfach wegwerfen kann. Das macht mich rasend, und stell dir vor, es war ein Mann – ein kranker, verdorbener und perverser Wichser – der mir dieses ganze Elend eingebrockt hat. Streng genommen brachte dieser Kerl Carey und mich auf den Weg, der schließlich hierher führte, wo ich jetzt sitze.«

      »Rahab ist sein Name, richtig?«

      »Nein, nein, das war noch lange vor Rahab. Der Drecksack, von dem ich jetzt spreche, war mein alter Arbeitgeber.«

      John schenkte ihr den nächsten Wodka ein und schob ihn hinüber.

      Lexi betrachtete das glänzende Glas. Die durchsichtige Flüssigkeit sah wirklich verlockend aus, doch sie widerstand dem Drang, sie sofort zu trinken. »Du schaust mich jetzt an und denkst, du würdest mich kennen, aber vor nicht allzu langer Zeit war ich noch eine ganz andere Frau – ein typisches kalifornisches Mädchen, blond und scharf aufs Feiern ohne konkrete Pläne oder Ziele abgesehen vom nächsten Rave, einer Bar oder Hausparty. Im Nachhinein bedauere ich, mich nicht besser vorbereitet zu haben. Mein früheres Leben war einfach sinnlos und eine massive Zeitverschwendung. Jedes Mal, wenn ich jemanden getroffen habe, der gemeint hat, man müsse sich auf einen Ausnahmezustand vorbereiten, habe ich standardmäßig die Augen verdreht. Wie hätte ich denn ahnen sollen, dass diese ganze verdammte Welt vor die Hunde gehen würde? Wer sieht denn so was tatsächlich kommen?«

      »Ein paar haben es vorausgesehen.«

      Lexi schüttelte den Kopf und klagte weiter: »Ich wünschte mir wirklich, besser darauf gefasst gewesen zu sein, vielleicht hätte ich Carey dann retten können. Ich habe so viele dumme Fehler gemacht, und hinzu kam auch noch mein Pech.« Schließlich ließ sie den Kopf hängen, kniff ihre Augen zusammen und atmete schwer aus.

      Sie tat John leid. Er hatte keine Angehörigen verloren und wusste noch dazu sehr wenig von den äußeren Umständen.

      Als sie den Kopf wieder anhob, nahm sie das Schnapsglas in die Hand und trank. Während sie es in der linken Hand hielt, zeigte sie auf John und sagte: »Eines garantiere ich dir, ich werde nie wieder zulassen, dass irgendjemand, ob Mann oder Frau, mich oder andere Unschuldige ausnutzt.«

      »Das ehrt dich.«

      Sie warf John einen abwertenden Blick zu und reagierte gereizt. »Das hat überhaupt nichts mit Ehre zu tun.«

      »Um auf deinen ehemaligen Arbeitgeber zurückzukommen. Was war denn da los? Was hat er getan?«

      Lexi schob ihm das Glas zu und antwortete: »Mach voll, dann sag ich's dir.«

      3. Dezember 2014

      »Was wir den Anfang nennen, ist oft das Ende, und ein Ende zu machen heißt, einen Anfang zu machen.« – T.S. Eliot

       Rancho Bernardo, Kalifornien

      Lexi schaute auf die Uhrzeit auf ihrem Handy. Sie schnaubte, weil nur wenige Minuten vergangen waren, seit sie zuletzt nachgesehen hatte.

      »Müssen Sie vielleicht irgendwohin?«, fragte Adam.

      »Oh, Verzeihung«, antwortete sie und klemmte sich nervös eine lange Haarsträhne hinter das Ohr. Auf die Bitte ihres Bosses Adam hin war sie aus dem Urlaub in den Betrieb zurückgekehrt, um bei einem außerordentlichen Projekt zu helfen. Ihre Schwester Carey war gerade bei ihr zu Besuch, und mit ihr zusammen zu sein hielt Lexi zwar für wichtig, doch dies galt auch für ihre berufliche Karriere, in der sie schließlich vorankommen wollte.

      Adam legte den Stift hin, lehnte sich in seinem großen Ledersessel zurück und fragte: »Wie lange arbeiten Sie jetzt schon für mich?«

      Lexi schaute hoch und erwiderte: »Äh, ich glaube, mittlerweile zwei Jahre. Warum?«

      »Aus reiner Neugierde.« Sein Lächeln hatte etwas von einem teuflischen Grinsen, das er aber meistens zu überspielen versuchte.

      Lexi runzelte die Stirn, als sie seinem Blick begegnete, und wich ihm schnell aus. Da sie den Gesichtsausdruck schon kannte, wurde ihr unwohl zumute. »Wäre es vielleicht irgendwie möglich, das Ganze morgen abzuschließen? Denn für meine Schwester ist heute der letzte Abend in der Stadt, bevor sie wieder abreisen muss.«

      »Ich wusste ja gar nicht, dass Sie eine Schwester haben«, entgegnete Adam.

      »Habe ich aber, und sie fliegt morgen wieder nach Hause«, sagte Lexi, während sie die Papiere auf dem breiten Tisch zusammenraffte.

      Er beugte sich nach vorn und berührte ihre Hand. »Nicht so eilig.«

      Sie kniff ihre Augen ein wenig zusammen und zog die Hand rasch zurück.

      Adam lachte kurz auf. Seine perlweißen Zähne strahlten, und beim Lächeln spannten sich die dünnen Lippen in seinem schmalen Gesicht. Er war Anfang vierzig, geschieden und betriebsintern als Aufreißer bekannt. Während der zwei Jahre, die Lexi bisher als seine Assistentin hinter sich gebracht hatte, war sie allerdings nie von ihm angemacht worden. Doch über seine Avancen zerriss man sich in dem großen Biotechnikkonzern, wo die beiden arbeiteten, bereits längere Zeit das Maul.

      Lexi fuhr mit dem Packen ihrer Sachen fort, beeilte sich nun allerdings noch mehr.

      »Ich habe endlich die Zeit gefunden, mir Ihre Bewerbung für den Posten als Mitarbeiterin in der Geschäftsleitung anzusehen«, meinte Adam nun.

      Ohne aufzublicken,

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