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kam wieder zurück und baute sich direkt vor ihr auf. »Ich habe da draußen eine Menge Scheiße erlebt. Ich habe gesehen, wozu Menschen in der Lage sind. Es ist wirklich widerlich und abstoßend, und ich hasse es wie die Pest«, fuhr sie fort.

      »Ich kann nicht behaupten, das Gleiche wie du erlebt zu haben, weil ich mich dazu entschieden habe, mit meinem Arsch hierzubleiben. Die Stadtgrenzen zu verlassen, hielt ich nie für nötig.«

      »Dann ändere auch nichts daran. Bleib einfach weiter hier. Da draußen existiert nur noch die Hölle.«

      John griff wieder zur Flasche und stellte sie gemeinsam mit ihrem Glas vor Lexi ab.

      Sie streckte sich danach aus, woraufhin er beides ein paar Zoll zurückzog, um anzudeuten, dass er noch nicht gänzlich bereit dazu war, den Wodka wieder herauszurücken.

      Von draußen hörten sie nun leise Johns Truthahn gurren.

      Lexi reckte den Hals und schaute zum nächsten Fenster. Zwischen den dünnen Metalllamellen des Ladens fielen die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen ein.

      Als sie sich John erneut zuwandte, fragte sie: »Was willst du von mir?«

      »Eigentlich nichts Besonderes, aber falls du hierbleiben willst, würde ich wenigstens gern wissen, wer du genau bist. Unschöne Einzelheiten darfst du dir auch gern sparen. Ich bin nur ein alter Mann, der wissen möchte, mit wem er hier spricht. Ich sehe es so: Früher habe ich mich nicht um andere Leute gekümmert und einfach so vor mich hingelebt. Ich war einer derjenigen, die nie irgendetwas auf die Worte von anderen gegeben haben. Während irgendwelcher Unterhaltungen dachte ich immer darüber nach, was ich dazu sagen sollte. Richtig zugehört habe ich aber nie.« Er machte eine kurze Pause, um nachzudenken. »Weißt du, aus diesem Grund ging bestimmt auch meine Ehe in die Brüche. Ich habe nie zugehört, ich habe immer nur geredet und geredet.«

      »So wie jetzt?«, erwiderte Lexi scherzhaft.

      John schmunzelte. »Genau, so wie jetzt. Aber wenn ich das Ganze noch zu Ende bringen darf: Nach allem, was passiert ist, beschloss ich, den anderen von nun an zuzuhören. Ich habe mir vor Augen gehalten, dass das Leben jetzt äußerst gefährlich ist und deshalb jederzeit vorbei sein kann – warum also nicht auf Leute eingehen, um sie richtig kennenzulernen? Jeder hat schließlich irgendetwas zu erzählen.«

      Während Lexi sitzen blieb und John anstarrte, beschlich sie ein trauriges Gefühl. Aber weil sie vor niemandem mit ihren Emotionen hausieren gehen wollte, wählte sie freundlichere Worte anstatt solcher, die eigentlich ihrem brüsken Wesen entsprachen. »Gut, hört sich für mich nach einer gerechten Abmachung an. Du gibst mir zu essen und ein Dach über dem Kopf, also ist das Mindeste, was ich tun kann, dir zu sagen, wer ich eigentlich bin. Dummerweise gibt es über mich nichts Aufregendes zu erzählen, ganz im Gegenteil. Ich bin total langweilig, und der ganze Scheiß, der in letzter Zeit geschehen ist, war einfach nur grässlich. Falls ich aber noch ein oder zwei Drinks kriege, während ich dir meine Geschichte erzähle, dann bitte.« Ein erneutes Lächeln erhellte ihre stoische Miene.

      John erwiderte sie stumm. Er betrachtete die junge Frau, die dort vor ihm saß. Müsste er ihr Alter schätzen, würde er sagen, dass sie Ende zwanzig war. Ihre zotteligen, ungleichmäßig geschnittenen Haare sahen aus, als seien sie einst blond gewesen, doch die dunkelbraunen Ansätze waren mittlerweile so weit herausgewachsen, dass sie nur noch helle Spitzen hatte. Dünn hätte er sie nicht bezeichnet, eher schlank mit sehnigen Muskeln. Zu den hellbraunen Augen passte ihr Teint gut, denn die Haut war goldbraun von der Sonne. In ihrem Gesicht, an den Händen und Armen erkannte man noch Spuren von Schnitten und Schrammen. Woher auch immer sie kam, sie hatte sich definitiv kämpfend bis hierher durchgeschlagen.

      Nachdem er ihr das Glas wieder zugeschoben hatte, drehte er den Verschluss der Flasche auf und schenkte ihr noch einen ein.

      Sie schnappte sich den Wodka und wollte ihn sofort trinken, aber er hielt sie auf.

      »Moment, Schätzchen. Worauf stoßen wir denn jetzt an?«

      Lexi lächelte wieder und ihre Antwort kam sofort: »Darauf, dass wir einander jetzt kennenlernen.«

      »Das gefällt mir.«

      Sie stießen an und tranken dann.

      Wie zuvor knallte sie das Schnapsglas auf die Theke und fuhr sich über das Gesicht. Der Wodka wirkte allmählich. »Hast du vielleicht eine Kleinigkeit zu essen da?«

      »Ich kann Frühstück machen.«

      »Ich bin ziemlich pflegeleicht, eine Tüte Chips oder so etwas genügt vollkommen.«

      »Würde ich dir gern geben, aber ich habe kein … oh, warte mal kurz.« John stand auf und verschwand eilig im Hinterzimmer.

      Während er fort war, sah sich Lexi in der Bar um. Ihr früheres Ich hätte nie ein solches Lokal aufgesucht, weil es ihr zu »hinterwäldlerisch« vorgekommen wäre, wie eine Kneipe für die weiße Unterschicht. Sie hatte sich nie für solche Absteigen wie The Mohawk beziehungsweise eine Kombination aus Tränke und Fressbude für die Familie erwärmen können. Nun drehte sie sich auf ihrem Hocker um, bis sie die Jukebox erkennen konnte. Sie brauchte nicht aufzustehen und hinüberzugehen, um ungefähr zu ahnen, welche Scheiben darin steckten.

      Als John zurückkam, war er fast überschwänglich vor Begeisterung. »Hätte ich fast vergessen, dass ich die noch habe«, sagte er und hielt eine Großpackung Cool Ranch Doritos hoch.

      »Is' nicht wahr«, quietschte Lexi wie ein kleines Kind.

      »Ist es doch!«

      »Das ist meine Lieblingssorte.«

      »Meine auch«, erwiderte er lachend.

      »Du, mein Freund, bist absolut kein Idiot, sondern der Held des Tages«, sagte sie laut und war kaum imstande, ihre Freude zu verbergen.

      »Falls du den Geschmack doch nicht magst, hab ich auch …« Er zog eine Tüte normale Nachos hinter seinem Rücken hervor.

      »Ich bin nicht mal besoffen und glaube trotzdem, dass ich eine ganze Packung allein verdrücken könnte«, entgegnete Lexi aufgeregt.

      »Nur zu.« John öffnete beide Beutel und legte sie auf die Theke.

      Lexi fiel sofort darüber her. Die Nachos waren noch kross und knackig. Sie ging zwar davon aus, dass das Verfallsdatum abgelaufen war, konnte aber nicht feststellen, ob das etwas an der Qualität änderte. Vielleicht lag es daran, dass sie dergleichen schon so lange nicht mehr gegessen oder ganz vergessen hatte, wie es schmeckte.

      »Wenn du dir jetzt noch einen Twinkie oder HoHo aus dem Arsch ziehst, steig ich vielleicht mit dir in die Kiste«, sagte sie grinsend.

      »Um genau zu sein …«

      »Ohne Scheiß?«, nuschelte sie, wobei Krümel aus ihrem offenen Mund fielen.

      John wandte sich ab, um wieder zu verschwinden, hielt dann jedoch inne, drehte sich noch einmal um und sagte grinsend: »War nur ein Witz.«

      »Bei mir auch. Ich würde nicht mit dir schlafen, bedauere. Du bist einfach ein bisschen zu alt für mich.« Lexi steckte sich eine weitere Handvoll Nachos in den Mund.

      »Ha, nimm's mir nicht übel, Schätzchen, aber ich betrachte dich ohnehin eher wie jemanden, der meine Tochter sein könnte.«

      »Da du dich schließlich über uns unterhalten wolltest, fängst du auch an«, forderte ihn Lexi auf.

      »Nichts da, du zuerst. Ich stelle immerhin Snacks und Erfrischungsgetränke zur Verfügung.«

      Nachdem sie sich noch ein paar Nachos in den Mund geschoben hatte, fing sie an: »Geboren und aufgewachsen bin ich in einer gar nicht mal so üblen Kleinstadt namens La Jolla. Meine Schlampe von Mutter kümmerte sich allerdings lieber um ihre nächste Dinnerparty oder um ihre Rolle als Gesellschaftsdame als um meine Schwester und mich. Heute kann ich darüber lachen, für sie waren wir eher so etwas wie Staffage. Unsere Erziehung übernahmen stets Kindermädchen, die im Laufe der Jahre ständig wechselten.«

      Als

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