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Mal hatte sie die Schlummertaste an ihrem Wecker gedrückt. Jetzt störten Nachtängste und Ruhelosigkeit ihren Schlaf, falls man es überhaupt noch so nennen konnte.

      Sie erschrak, als es plötzlich an der Tür klopfte, und schob sofort eine Hand unter das Kissen, um zu ihrer Pistole zu greifen; einer halbautomatischen Glock 17 9mm.

      »Lexi? Alles in Ordnung bei dir? Ich hab dich schreien hören«, sagte jemand vor der Tür.

      Sie schaute hinüber zur Schwelle, wo schwach Licht einfiel, das jedoch von einem dunklen Schatten unterbrochen wurde. Lexi kannte John nicht wirklich, geschweige denn, dass sie ihm vorbehaltlos traute, immerhin hatte sie ihn erst eine Woche zuvor getroffen.

      Nach ihrer knappen Flucht vor ein paar Plünderern war sie mit dem Motorrad gestürzt, das sie am Highway südlich der Stadt gestohlen hatte. Ein kleines Kommando von Marines war dann auf sie gestoßen und hatte ihr Hilfe angeboten.

      Da die Männer aber selbst nicht gewusst hatten, wo sie unterkommen sollten, waren sie mit ihr zum The Mohawk gefahren. Seit sie in der Stadt angekommen waren, pflegten sie eine gute Beziehung mit John. Crescent war nicht groß und besaß abgesehen von dem Restaurant keine weiteren aktiven Gewerbe mehr, also fand der verbliebene Rest der Gemeinde immer dort zusammen. Weil John keine Familie und auch sonst nichts hatte, lag es für ihn in der Natur der Sache, das The Mohawk als seine einzige Liebe am Laufen zu halten. Verderbliche Lebensmittel waren ihm rasch ausgegangen, wohingegen es ihm aber nicht an Alkohol mangelte, den er nun als Währung benutzen würde. John war ein großer, stämmiger Kerl mit schwarzen Haaren, die mittlerweile von silbergrauen Strähnen durchzogen wurden. Seine Frau hatte ihn schon Jahre zuvor verlassen, und da er kinderlos war, fungierten die Bewohner des Ortes als seine Ersatzfamilie.

      Einige Zeit ihres Aufenthalts hatte Lexi mit Fitnesstraining und Kampfübungen mit ihren langen Fahrtenmessern zugebracht. Hinterher suchte sie üblicherweise nach einer Ausrede – jede war ihr dabei recht – zum Trinken.

      John hatte sich dabei ertappt, sie zu beobachten, und war von ihren Fertigkeiten tief beeindruckt. Genauer gesagt war er neugierig, wen er da in seinem Hinterzimmer wohnen ließ. Heute nahm er sich vor, es endlich herauszufinden.

      »Lexi, bist du da drin?«, fragte er erneut, dieses Mal, während er den Knauf der Tür umdrehte. Aber sie war verschlossen.

      Lexi schaute die Tür an und ihr Instinkt, der bedingt durch die neuen Umstände äußerst geschärft war, sagte ihr, sie nicht zu öffnen. Da sie John noch nicht richtig kannte und im Laufe der Zeit einige schlechte Erfahrungen gemacht hatte, blieb sie zurückhaltend, was ihr Vertrauen anderen gegenüber betraf. Letzten Endes gewann aber ihre vernünftige und pragmatische Seite die Oberhand. Sie wusste nicht, wo sie hinsollte, wohingegen er aber über Mittel verfügte, die sie auf ihrer Jagd nach Rahab gut gebrauchen könnte.

      »Alles klar bei mir!«, rief sie deshalb. Nachdem sie zur Tür gegangen war, sperrte sie diese auf und trat rasch wieder einen Schritt zurück.

      John öffnete sie langsam und schob seinen Kopf vorsichtig durch den Spalt. Seine Lampe warf ein dämmriges gelbliches Licht in den Lagerraum.

      »Ich habe Schreie gehört, darum habe ich mir Sorgen gemacht«, begann er, während er sich umschaute.

      Lexi hatte sich wieder auf den Boden gesetzt und die Pistole zwischen ihre Oberschenkel geklemmt. »Mir geht's gut.«

      »Dann lass ich dich mal weiterschlafen«, erwiderte er lächelnd.

      Aber als er die Tür schließen wollte, rief Lexi: »Warte!«

      John streckte seinen Kopf wieder hinein. »Ja?«

      »Wie spät ist es jetzt?«

      »Oh, äh … gegen fünf Uhr.«

      »Okay, danke.«

      »Bist du hungrig? Ich kann dir schnell was machen.«

      »Eigentlich eher durstig.«

      »Dort in der Ecke steht Wasser, bedien dich einfach«, bot John ihr an. Er stand jetzt mit einem Bein wieder im Zimmer und zeigte auf einen Stapel Flaschen.

      »Ich dachte eher an etwas, das ein klein wenig härter ist«, druckste Lexi herum, die sich nun ebenfalls zu einem Lächeln hinreißen ließ.

      John, der dem Alkohol selbst beileibe nicht abgeneigt war, überlegte kurz und drückte dann die Tür ganz auf. »Irgendein Anlass dafür findet sich doch immer, oder?«

      Lexi nahm das Schnapsglas in die Hand. Es war übergelaufen und deshalb außen klebrig. Eines hatte sich nicht geändert, nachdem die Lichter ausgegangen waren. Sie liebte das Feiern und Hochprozentiges immer noch. Zuvor hatte sie nicht viel vertragen, aber da es mittlerweile weder Eis noch Mixer gab, musste sie nun einmal auf ihre Lieblingsgetränke verzichten. Mit dem Vorsatz, sich zu berauschen, was mit Alkohol ja hervorragend funktionierte, kippte sie sich alles hinter die Binde, was sie in die Finger bekam. Als sie nun auf die Flasche Grey Goose Wodka schaute, kicherte sie vor sich hin. Vor ihrer Ankunft in Crescent war sie einer Familie über den Weg gelaufen. Diese Leute waren so gastfreundlich gewesen, dass sie ihre selbst gebrannten Spirituosen mit Lexi geteilt hatten. Trotz des ekelhaften Geschmacks hatte sie das Zeug getrunken. Wenngleich sie nicht wusste, wie Abbeizmittel schmeckte, hatte sie es sich ungefähr so vorgestellt.

      Nun hob sie ihr Glas und fragte: »Worauf stoßen wir denn an?«

      »Ach, ich weiß nicht. Worauf haben wir denn noch nicht angestoßen?«, entgegnete John mit Bezug auf die sechs Gläser, die sie beide schon intus hatten.

      »Ich weiß was!«, rief Lexi dann und hob das Glas noch höher. »Auf den Tod aller Dreckschweine. Mögen sie langsam und qualvoll verrecken!«

      Verwundert zog John die Augenbrauen hoch. Er war zwar nicht zimperlich, aber Lexis loses Mundwerk und offensichtlich rabiates Ethos bestürzten ihn trotzdem.

      Sie führte den Wodka an ihren Mund und stürzte ihn in einem Rutsch hinunter. »Ah, das tut gut!«, stöhnte sie begeistert, während sie das Glas auf die Theke knallte.

      John zögerte zuerst, tat es ihr aber kurz darauf gleich und schluckte seinen Wodka ebenfalls hinunter.

      »Noch einen, Barkeeper«, meinte Lexi grinsend und schob ihm ihr Glas hin.

      Aber er ignorierte ihre Aufforderung und stellte ihr endlich die erste intime und persönliche Frage: »Lexi, was ist mit dir passiert?«

      Sie sah ihn abfällig an, antwortete aber nicht.

      »Warum bist du nur … so aggressiv?«

      »Meinst du das ernst? Echt jetzt? Schau dich doch mal um. Wer kann denn in dieser Lage nicht aggressiv sein?«

      »Ich!«

      »Dann bist du ein Idiot!«, blaffte sie ihn an.

      »Ha, ich finde, du hast jetzt eindeutig genug«, erwiderte John und nahm ihr das Glas weg.

      »Warte, warte, warte, es tut mir leid. Das war zu …«

      »… zu aggressiv«, ergänzte John.

      Er ging mit dem Glas hinter den Tresen und stellte es dort zusammen mit der Wodkaflasche ab.

      »Du hast ja recht, tut mir leid. Nicht du bist der Idiot, sondern ich. Ich will einfach nicht über … das Ganze sprechen.« Sie schwenkte beide Arme hin und her, um auf die Umgebung zu verweisen.

      »Du setzt dich an meinen Tresen, schläfst unter meinem Dach, isst mein Essen, säufst meinen Wodka und bist trotzdem nicht bereit, mir ein bisschen von dir zu erzählen? Du wohnst jetzt schon eine Woche hier, aber ich weiß immer noch nichts weiter von dir, als dass du viel trinkst, trainierst und mit Messern spielst.«

      Lexi dachte kurz über Johns Worte nach und sah ein, dass sein Ärger durchaus berechtigt war. »Du hast ja recht und ich bin manchmal wirklich eine Zicke. Es ist aber eben so, dass ich, äh … nicht über bestimmte Dinge reden will, weil mir dann unweigerlich bewusst wird, dass sie real sind. Einfach hier zu sitzen, wie wir es in den letzten zwei Stunden getan haben, und nur

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