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hatte zwar keine Erfahrungen dahingehend, aber das starke Gefühl, das er selbst, wenn er mit seiner Ex Nachwuchs gezeugt hätte, ein sehr liebevoller und gebefreudiger Vater gewesen wäre.

      »Meine Mom war ein solches Miststück, dass sie meinen Dad vertrieben hat, als ich sechs und meine Schwester noch ein Baby war. Er konnte ihre Launen irgendwann einfach nicht mehr ertragen.«

      »Das tut mir leid.«

      »Mir auch, denn ich habe meinen Dad geliebt. Er gewann zwar dann das Sorgerecht für uns, starb aber nur zwei Wochen danach beim Absturz eines Kleinflugzeuges.«

      Sie stockte kurz, während sie über das Leben fantasierte, das sie hätte führen können. »Wer stirbt denn schon bei einem Flugzeugabsturz? Ich meine, die Wahrscheinlichkeit ist so gering, dass es mir vorkam, als hätte das Schicksal bestimmt, dass ich von Geburt an verflucht war. Gott wollte einfach nicht zulassen, dass Carey und ich normal lebten.«

      »Ich denke nicht, dass Gott …«

      Lexi fiel ihm sofort ins Wort: »Keine Predigt jetzt, okay? Mir ist es egal, ob du an Gott glaubst. Kein Gott, der zulässt, dass Kinder schlecht behandelt werden und so ein Mist wie im Moment passiert, kann ein guter Kerl sein.«

      John grinste. »Wenn du meinst«, sagte er.

      »Mach mein Glas voll.«

      Nachdem John es getan hatte, ließ er sich aus Lexis Schulzeit erzählen, wobei er noch zwei Mal nachschenken musste. Er schaute sie einfach nur an und dachte unterdessen, dass sie im Grunde ihres Herzens lediglich ein kleines Mädchen war, dem im Laufe der Zeit sehr oft wehgetan worden war. Sie hatte ihre Kindheit offenbar in relativ wohlhabenden Verhältnissen verlebt, aber für einen so jungen Menschen spielt so etwas eigentlich keine allzu große Rolle. Am wichtigsten ist Kindern, dass man ihnen Zeit und Aufmerksamkeit schenkt.

      Später hatte sie dann ein Dasein in Armut ohne elterliche Liebe und Fürsorge gefristet. Soweit es John verstanden hatte, war sie ihrer Schwester sehr eng verbunden gewesen. Da sie diese nicht hatte alleinlassen wollen, war sie sogar auf ein College vor Ort gegangen. Danach hatte ihre Schwester wie in einen Film über Enttäuschungen, ihren High-School-Abschluss gemacht und ihre Koffer gepackt, um ein auswärtiges College zu besuchen. Lexi war deswegen tief gekränkt gewesen, hatte es aber wie eine Mutter akzeptiert und sich eingeredet, Carey sei damit nun alt genug, um für sich selbst aufzukommen.

      Nach dem Auszug ihrer Schwester war Lexi in einen oberflächlichen und gleichmäßigen Trott aus Arbeiten und Partys mit Freunden gefallen. Ohne Ziele und Ambitionen hatte sie sich nur noch auf eines freuen können … auf die jeweils nächste Sause. Ihre Mutter war ihr komplett fremd geworden, und trotz gemeinsam verbrachter Ferien hatte Lexi nie schnell genug in einer Kneipe einfallen können, um zu versuchen, ihr Leben zu vergessen. Intime Beziehungen hatten nicht stattgefunden, denn die Männer waren ebenso so schnell gegangen, wie sie gekommen waren. Hatte einer mal aufrichtiges Interesse an ihr gezeigt, hatte sie versucht, ihn so schnell wie möglich loszuwerden. Nicht dass sie den Werbern misstraut hätte, vielmehr ihrem Schicksal. Sich von der Liebe leiten zu lassen, hätte nämlich Verletzlichkeit bedeutet, und jedes Glück, das ihr zugefallen wäre, hätte der Schmerz genau wie andere Dinge in ihrem Leben einfach nur zerstört, sobald die betreffende Person sie verlassen oder enttäuscht hätte. Ohne persönliche Beziehungen außer zu ihrer Schwester Carey hatte sie die Tage bis zu ihrem nächsten Besuch gezählt.

      John hörte einfach nur weiter zu. Nach seiner ersten kurzen Bemerkung und Lexis pampiger Reaktion darauf war er einfach sitzen geblieben und hatte kein Wort mehr gesagt. Hin und wieder füllte er ihr Glas, doch nach ein paar weiteren, trank sie langsamer, weil sie sich mehr und mehr in ihrer Lebensbeichte vertiefte.

      Die lange Tirade hörte auf, als sie vom letzten Treffen mit ihrer Schwester erzählte. Kurz darauf war der Strom ausgefallen und die Welt eine völlig andere geworden. Sie rührte sich nicht mehr, sondern schaute nur auf ihren Wodka und kippte ihn ruckartig hinunter.

      John wollte ihr erneut einschenken, doch sie sagte: »Warte, ich bin gleich wieder da.« Nachdem sie abrupt aufgestanden war, hielt sie sich fest, weil der Alkohol ein Schwindelgefühl in ihr auslöste, und sie ging vorsichtig zur Toilette.

      Sie konnte sich aber nicht schnell genug entziehen. Es kam ihr so vor, als erleide sie gerade eine Panikattacke. Noch nie zuvor hatte sie so viel von sich preisgegeben. Sich zu öffnen und ehrlich von sich selbst und ihrer Herkunft zu sprechen, gehörte definitiv nicht zu Lexis Stärken. Sie hatte nie Freunde gehabt, die an so etwas interessiert gewesen wären, und diese auch genau deshalb zu schätzen gewusst. Ihr war bewusst geworden, dass es einfacher war, andere auf Abstand zu halten, denn wenn sie jemanden genauer kennenlernte, stellte sie nachher womöglich fest, dass sie diese Person gar nicht mochte.

      Als sie in den Schankraum zurückkehrte, war John nicht mehr da. Sie schaute sich um, fand ihn aber nirgendwo. Auf einmal polterte es laut in der Küche. Sie trat ein und sah, dass er gerade Eier in eine große Pfanne schlug.

      »Hey, du warst ganz schön lange auf dem Klo.«

      Lexi lehnte sich gegen die Wand. »Muss an den Doritos gelegen haben«, scherzte sie.

      »Magst du ein Spiegelei? Ich dachte, du könntest ein wenig Proteine vertragen.« Er behielt das Brutzeln im Auge, während er dies sagte.

      »Ich liebe Eier, gern. Aber jetzt erzählst du mir deine Geschichte.«

      »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich kam ein paar Meilen von hier entfernt auf die Welt, ging in der Stadt zur Highschool, heiratete meine Freundin und fand 'ne Stelle bei einer Holzfirma. Dabei träumte ich aber immer von einem Lokal wie diesem. Meine Frau wollte etwas anderes mit ihrem Leben anfangen. In einer Kleinstadt zu wohnen wurde ihr irgendwann einfach zu langweilig. Sie hat sich schon vor Jahren von mir getrennt, und statt wieder zu heiraten, habe ich kurzerhand diesen Laden hier aufgemacht. Seitdem waren diese Arbeit und meine treuen Stammgäste die einzige Familie, die ich hatte.«

      »Keine Kinder?«

      »Nein, dieses Glück war mir leider nie beschieden.«

      »Sei froh. Glaub mir, mit Kindern ist es ein Kreuz.«

      »Oh nein, das finde ich nicht«, widersprach er ihr, während er vorsichtig einen Teil der Eier auf einen Teller gab.

      Diesen nahm Lexi ihm ab und lächelte, als sie sah, dass das Eigelb noch flüssig und damit perfekt für sie war.

      John ging zum Herd zurück und schlug noch ein paar Eier für sich selbst. »Ich danke dir«, sagte sie.

      »Keine Ursache, Schätzchen.«

      Lexi schaute dabei zu, wie sorgfältig er vorging. Mit dem Heber, den er fest in einer seiner breiten, runzligen Hände hielt, und der fleckigen weißen Schürze, die er sich vor den Bauch gebunden hatte, sah er aus wie ein professioneller Schnellkoch, was er als Besitzer eines Imbissrestaurants ja gewissermaßen auch war.

      »Hast du auch Angestellte?«

      »Ja, aber die lassen sich schon seit Wochen nicht mehr hier blicken. Angeblich sind sie nach Portland gezogen.«

      Trotz der schrecklichen und brutalen Umstände auf der Welt hatte Lexi hier einen sanftmütigen, netten und großzügigen Mann vor sich. Jemanden wie ihn kennenzulernen war wirklich eine angenehme Überraschung.

      Auf ihren Irrwegen, nachdem das Stromnetz im Zuge des Elektromagnetpulses zusammengebrochen war, hatte sie extreme Beispiele für gute und schlechte Menschen gesehen. Es schien so, als seien alle charakterlich zutiefst verkommenen oder schlechten Menschen plötzlich ans Tageslicht gekrochen, sobald sich die Gesetzesordnung mitsamt ihren abschreckenden Konsequenzen aufgelöst hatte. Sie waren zwar schon immer da gewesen, doch erst jetzt, wo sie nicht mehr befürchten mussten, festgenommen zu werden, auf die Straße gegangen. Die entgegengesetzte Seite – viele gute Menschen, risiko- und opferbereit – hatten das Gleiche getan. Lexi wusste zwar, dass es beides gab, rechnete aber immerzu mit dem Schlechten.

      Sie schaute wieder auf ihren Teller. Auf solch eine Weise an sie zu denken und so umsichtig zu sein, nicht nur Eier für sie zuzubereiten, sondern dies auch noch auf genau die Art zu tun,

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