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brachte Nachrichten von allen Seiten. Nachrichten, die wohl geeignet waren, den Regenten in seiner Auffassung der Lage zu bestärken.

      Die Meldungen vom linken Flügel seiner Kräfte lauteten nicht günstig. Die Übergänge in das Ferghanatal waren durch Sprengungen und künstliche Hindernisse so erschwert, daß nur die Möglichkeit geblieben war, die Truppen in Transportkreuzern vorzubringen. Nur einem Teil dieser Kreuzer war es gelungen, Truppen unversehrt zu landen. Plötzlich waren hier starke Kampfschiffe der Kompagnie aufgetreten und hatten der gelben Flotte schweren Schaden zugefügt. Es sah gerade so aus, als ob die Luftstreitkräfte der Kompagnie hier bewußt Versteck gespielt hätten, um nach dem Durchflug der leichten gelben Luftkräfte nach Westen die schweren Panzerkreuzer, welche die Truppen Konvois begleiteten, mit unverbrauchten Kräften anfallen zu können. Die Lage der dort gelandeten chinesischen Truppen war besorgniserregend, da sie sofort in schwere Kämpfe mit den gegnerischen Truppen verwickelt wurden. Aber schließlich war der Stand der Dinge im Ferghanatal für die Gesamtlage nicht von großer Bedeutung.

      Die weiteren schlechten Nachrichten aus dem Ilital hatte Toghon-Khan beinahe erwartet. Daß der General von Bülow hier in der Linie des Telekdammes einen scharfen Widerstand leisten würde, war für den alten Mongolenfeldherrn eine Selbstverständlichkeit. Deshalb hatte er ja seine Kerntruppen dort angesetzt. Aber die Stärke des Widerstandes überraschte ihn.

      Die Berichte, soweit sie bisher vorlagen, meldeten ungeheure Verluste der Angreifer. Wenn Bülow seinerzeit Georg Isenbrandt gegenüber von einem Thermopylen gesprochen hatte, das er hier errichten wolle, so bewiesen diese Meldungen, wie ernst er seine Worte gemeint hatte. Auch die Truppen, welche die chinesische Heeresleitung zur Umgehung der Telekstellung angesetzt hatte, kamen nur Schritt für Schritt und unter schwersten Opfern vorwärts. Ein Forcieren des Durchbruches an dieser Stelle würde in jedem Falle ungeheure Verluste erfordern und im Erfolg zweifelhaft bleiben.

      Der große Erfolg mußte im Irtyschtale gesucht werden. Die breite dsungarische Pforte erlaubte es, viel stärkere Kräfte vorzuwerfen. Waren sie hier erst einmal bis zum Siedlerland durchgedrungen, wo eine freie Entfaltung der Front möglich wurde, dann war die Ilistellung der Gegner so im Rücken bedroht, daß sie unhaltbar wurde.

      Aus dieser Gesamtlage ergab es sich, den Vormarsch durch das Irtyschtal mit größter Schnelligkeit und stärksten Kräften zu betreiben. Noch am Abend dieses Tages ergingen die Befehle nach allen Seiten, und im Laufe der Nacht begab sich der Regent mit seinem Stabe von Khami nach der dsungarischen Grenze. Hier erreichten ihn am frühen Morgen des 10. Juli die Meldungen, daß seine Spitzen den Gebirgszug zwischen Ust Kamenogorst und Arkatsk gegen schwachen feindlichen Widerstand genommen hätten. Wo einst einhundertvierzehn Kosaken unter dem General Licharew den Feinden widerstanden und ein Bollwerk gegen die gelbe Flut errichteten, da waren die so viel stärkeren Truppen der E. S. C. jetzt fast kampflos gewichen.

      Das strategische Spiel schien gewonnen. Weit offen stand das Völkertor, durch welches sich seit Tausenden von Jahren die asiatischen Stämme nach Westen ergossen hatten.

      Als die Sonne über die Bergkämme des Altai heraufkam, stand Toghon-Khan allein am Ufer des Irtysch, den die Mongolen Kara Erthis nennen. Sinnend schaute er den gen Westen strömenden Wellen des jungen Flusses nach. Hinter ihm war das Land sicher. Die ungünstigen Nachrichten von der Südfront wurden durch die Meldungen wettgemacht, daß die Luftgeschwader in seinem Rücken teils niedergekämpft, teils vertrieben seien.

      Vorwärts ging es mit der Sonne. Er brauchte nur seinem Schatten zu folgen. Kaum hundert Schritte vor ihm lag der Grenzgraben. Er wandte sich um und winkte sein Pferd herbei. Mit einem Schwunge saß er im Sattel.

      Vorwärts! Nach ein paar Sätzen hielt er am Grenzgraben. In diesem Augenblick loderten links und rechts von seinem Wege mächtige Scheiterhaufen auf, die seine Getreuen aus umgestürzten Grenzpfählen errichtet hatten. Mit einem stolzen Lächeln quittierte der Regent die Huldigung.

      Ein Spornstoß! Sein Roß sprang in einem mächtigen Satz über den Graben. Ein Ruck in den Zügeln, das Pferd stand wie aus Erz gegossen.

      Er war auf erobertem Boden. Von allen Seiten umbrauste ihn der Jubel der vorüberziehenden Truppen.

      Toghon-Khan saß starr auf seinem Pferde. Die schwarzen Glutaugen weit offen nach Westen gerichtet. Der Ring an seiner Linken schien zu glühen. Seine Sinne wanderten.

      Aus den Truppen, die da neben ihm in modernster Ausrüstung vorwärts hasteten, wurden die Krieger der goldenen Horde, wie sie der große Dschingis-Khan vor acht Jahrhunderten nach Westen geführt hatte.

      Er sah sie vorwärtsstürmen. Er sah sie die weiten Steppen Vorderasiens überschwemmen. Er sah, wie die uralten Königreiche unter ihren Tritten zusammenbrachen. Er sah, wie sie ihre Rosse an den blauen Wassern des Hellespontes tränkten, wie sie die Donau stromaufwärts zogen, über das Balkangebirge gingen … und bis in das Herz Europas stießen.

      Ihm nach!

      Seine Sporen stießen gegen die Flanken seines Pferdes.

      Wütend stürzte das edle Tier vorwärts. Erst nach einer Weile brachte er es in seine Gewalt zurück. Er war erwacht.

      Sein Auge überflog eine Abteilung marschierender Artillerie. Sein Auge hing an den glitzernden Rohren. Die Geschütze waren von chinesischen Konstrukteuren gebaut. Ihre Leistungen waren von einer bisher unbekannten Größe, und er wußte, daß Europa dergleichen nicht hatte. Die Artillerie war seine alte Waffe. Die Batterien dort neben ihm … waren sie nicht auch sein eigenes Werk? Wie würde diese neue Waffe den weißen Gegner treffen?

      Ein kalter, frischer Wind fuhr ihm über das Antlitz. Er hob den Helm und badete seine heißen Schläfen in dem erquickenden Luftzug.

      Vorwärts! Vorwärts! … Ihm nach!

      Er beugte den Kopf über seine Linke. Wie rotes Feuer erglänzte der Ring des Dschingis-Khan in den Strahlen der Morgensonne. Seine Lippen berührten das Gold. Ein Schauer rann durch seinen Körper.

      Wetteifernd mit den Fluten des Irtysch, strömten die mongolischen Myriaden an seinen Ufern westwärts. Meile um Meile gewannen sie, bis die Gebirge zurückwichen und der Fluß sich zum See weitete. Jetzt strömten auch die Massen auseinander. Die niedere Gebirgskette quer vor ihnen war das letzte Hindernis.

      Die Sonne war höher gekommen. Doch der kühle Morgenwind hatte sich auch um die Mittagszeit nicht gelegt. Im Gegenteil. Er war von Stunde zu Stunde kälter geworden.

      Jetzt ging eine seltsame Veränderung des Himmels vor sich. Die Sonne verschwand hinter einem grauen Dunstschleier. Ein eisiger Luftstrom aus Nordwesten kam den Marschierenden entgegen. Welk und schwarz, wie verbrannt, hing das saftige Julilaub an Bäumen und Sträuchern.

      Die Luft füllte sich mit Nebeln, die sich da und dort zu schwerem dunklen Gewölk zusammenballten. Aber die Dunstwolken fielen nicht in Tropfen zur Erde, sondern wurden von den Windstößen bald nach oben, bald nach unten gerissen. Kurz auftretende Windstille ließ auch sie manchmal stillstehen, daß sich die bizarren Formen wie dunkle Felswände vom Himmel abhoben.

      Die Kälte nahm immer mehr zu. Der Wind wehte mit immer stärkerer Kraft. Dann war es plötzlich, als bräche das ganze Himmelsgewölbe zusammen. Erde und Himmel verschwanden in einem rasenden Schneesturm, der sein unermeßliches Netz weithin über seine Beute warf. Nur hin und wieder vermochte das Auge durch das dichte Treiben der weißen Flocken dünne Ketten geduckter Gestalten zu erblicken, die sich mühsam durch das Chaos vorwärts kämpften. Die Räder der Fahrzeuge schnitten bis an die Achsen in den Boden ein, der sich mit dem Schnee zu einem eisigen Kot vermischte.

      Peitschenhiebe und Rufe! Flüche in allen Zungen Asiens schallten durch die Luft. Dazwischen das ängstliche Schnauben der Pferde und das Gebrüll der Kamele.

      Immer häufiger brachen Tiere und Menschen erschöpft zusammen. Was auf dem Wege liegenblieb, wurde rücksichtslos zur Seite gestoßen. Die Hilferufe verhallten ungehört im Geheul des Sturmes.

      Dazwischen die anspornenden Rufe der Offiziere.

      Vorwärts! … Vorwärts! … Jenseits der Berge winken die warmen Fluren Turkestans … Vorwärts! … Jenseits der

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